Finanzexperte Runde: Ein sehr gutes Urteil

Moderation: Marie Sagenschneider |
Ortwin Runde (SPD) hat das Verfassungsgerichtsurteil zur Berliner Finanzklage begrüßt. Der 2001 neu geregelte Länderfinanzausgleich müsse auch für Berlin gelten, sagte das Mitglied im Finanzausschuss des Bundestages. Wenn man das Urteil jetzt infrage stelle, würde unter den Bundesländern "ein Hauen und Stechen" beginnen.
Marie Sagenschneider: Berlin bleibt sexy, aber Berlin bleibt auch arm. Es wird keine zusätzliche Hilfe vom Bund oder von den anderen Ländern geben. 60 Milliarden Schulden, das sein noch kein Grund, von extremer Haushaltsnotlage zu sprechen, verkündete gestern das Bundesverfassungsgericht. Sehr zur Freude der anderen Länder natürlich. Mit Ausnahme von Bremen oder des Saarlandes, die derzeit auch in Karlsruhe klagen, weil sie finanziell allein nicht mehr zurechtkommen. Hat das Bundesverfassungsgericht Recht, wenn es meint, Berlin sei vielleicht auch deswegen so sexy, weil es gar nicht so arm ist, wie es tut? Oder verkennen die Karlsruher Richter die besonderen Schwierigkeiten der Hauptstadt? Auch das wollen wir nun hier im Deutschlandradio Kultur Ortwin Runde fragen. Er gehört der SPD an, ist Mitglied im Finanzausschuss des Bundestages und war bis 2001 selbst Regierungschef eines Stadtstaates, erster Bürgermeister von Hamburg nämlich, Herr Runde, ich grüße Sie.

Ortwin Runde: Ja, guten Morgen.

Sagenschneider: Berlin hat eisern gespart in den letzten Jahren, mehr als andere Länder, aber es reicht offenbar immer noch nicht. Halten Sie das Urteil insgesamt für gerechtfertig?

Runde: Ich war ja Verhandlungsführer beim Länderfinanzausgleich 2001 und weiß, wie schwer das ist, einen solchen Länderfinanzausgleich zustande zu bringen. Deswegen begrüße ich das Urteil. Denn eines muss man sehen: 2001 haben wir die Finanzen zwischen Bund und Ländern bis 2019 verteilt, und zwar so, dass die neuen Länder einbezogen worden sind in den Finanzausgleich und mit dem Solidarpakt II ihre besondere Situation berücksichtig worden ist. Das betrifft auch Berlin. Das war die günstigste Situation für die finanzschwachen Länder, die man sich vorstellen kann. Wenn dieser Finanzausgleich jetzt infrage gestellt wird, würde ein Hauen und Stechen beginnen und am Ende würde nicht nur Berlin weniger bekommen, sondern auch die östlichen Länder. Deswegen sage ich, ist es gut, dass das Urteil so gewesen ist.

Sagenschneider: Das heißt, Sie finden es aber auch richtig, dass das Bundesverfassungsgericht Berlin auffordert, jetzt auch noch das letzte Tafelsilber zu verscherbeln und bei Kultur und Bildung zu kürzen?

Runde: Das finde ich, ist der schwierige Punkt bei diesem Urteil. Privatisierungen lösen ja keine Probleme. Wenn Länder Wohnungsbestände und gerade wenn große Städte Wohnungsbestände haben, dann sind das Instrumente für Stadtpolitik, für Stadtentwicklungspolitik, sind wichtig für die Versorgung der Menschen in der Stadt mit Wohnraum, und wir wissen ja, was die Verunsicherungen am Arbeitsmarkt bereits bringen und wenn die sich übertragen auch auf den Bereich des Wohnens durch Privatisierung, dann ist das schrecklich. Aber man muss eben kritisch zu Berlin sagen, auch im Bereich der Wohnungswirtschaft, man kann effizienter sein und hier muss Berlin einiges leisten.

Sagenschneider: Na gut, man kann effizienter sein, aber irgendwo hat man eben diese 60 Milliarden Euro auf dem Buckel und irgendwie müssen die ja weg und selbst wenn man jetzt anfängt, da noch effizienter zu sein und hier ein bisschen zu sparen und da noch Tafelsilber zu verkaufen, dann wird man Ende vielleicht bei 30 Milliarden Euro Schulden sein, aber trotzdem immer noch auf diesem Riesenberg sitzen.

Runde: Sehen Sie, die Maßstäbe jetzt bei diesem Gerichtsprozess und Verfassungsgerichtsprozess haben sich verschoben. Wenn es allen schlecht geht, sind die Maßstäbe eben andere und deswegen ist die Lösung nicht die, dass ein Einzelner mehr bekommt, sondern insgesamt müssen die Steuern und muss das Steueraufkommen aller Länder, aber auch der Kommunen, angehoben werden. Wir haben zu verzeichnen in den letzten Jahren, dass wir, was die volkswirtschaftliche Steuerquote angeht, auf einen Stand abgesackt sind, auf 20 Prozent, das ist in Europa gerade noch in Slowenien vergleichbar, ist innerhalb der OECD mit die niedrigste Steuerquote. Das ist zu wenig. Deswegen müssen die Länder, wenn sie solidarisch miteinander verfahren wollen, Steuerpolitik verändern, Steuerschlupflöcher schließen, Subventionen abbauen und in bestimmten Bereichen dann auch ihre Steuermöglichkeiten ausschöpfen.

Sagenschneider: Wie wird denn dieses Urteil den zweiten und wie wir alle wissen, sehr viel schwierigeren Teil der Föderalismusreform beeinflussen, in dem es um die Neuregelung der Finanzbeziehung zwischen Bund und Ländern geht, denn das ist ja eine Debatte, die langsam mal in den Gänge kommen müsste.

Runde: Also vor der Reform ist immer nach der Reform. Ich habe ja miterlebt den Länderfinanzausgleich 2001, der die Finanzbeziehung zwischen Bund und Ländern und unter den Ländern bis 2019 regelt. Also dass es keine Finanzverfassung gäbe, ist ja ein Fehler. Dann haben wir erlebt, dass die südlichen Länder sagten, "aber nachdem wir die Finanzverfassung verändert haben, müssen wir jetzt auch die Kompetenzen auf Bund und Länder neu verteilen". Das ist mit der Föderalismusreform II geschehen. Jetzt geht es wieder zurück in Richtung auf die Finanzverfassung und da haben wir zu verzeichnen, wir haben im Grundgesetz geregelt den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt und die Anwendung auf die innerstaatliche Situation. Jetzt wird es noch darum gehen, im Bereich Prävention etwas zu machen. In der Finanzverfassung wird es auf eines ankommen: dass wir die Möglichkeiten, die das Grundgesetz bietet, präventiv über Finanzhilfen, Gemeinschaftsaufgaben dann die Situation finanzschwacher Länder zu verbessern, die auch zu nutzen.

Sagenschneider: Heißt Prävention auch, dass man sich eben jetzt auf ein Reglement verständigen sollte, wie künftig schwierige Haushaltslagen verhindert werden können, also möglicherweise ja auch klare Schuldengrenzen für die Landesregierung zu ziehen?

Runde: Prävention durch solche Regeln ist das eine, aber Sie sehen, die Maastrichtkriterien haben nicht verhindert, dass wir in Deutschland dann in der Kreditaufnahme darüber hinausgehen mussten.

Sagenschneider: Das stimmt, aber man macht es dann mit schlechtem Gewissen, das ist ja immerhin schon etwas.

Runde: Ja, oder wir haben im Grundgesetz den Artikel 115, dass die Schuldenaufnahme begrenzt wird durch die Höhe der Investitionen. Hat der Bund und haben ja 11 von 16 Ländern auch über Jahre dagegen verstoßen. Also die Geschichte mit Kriterien, in dem man da eine Zwangsjacke schafft, dann Probleme zu lösen, ist eine Vorstellung von Juristen, hat aber mit Realität in der Gesellschaftspolitik, in der Finanzpolitik wenig zu tun. Da kann man ein bisschen was tun. Das Entscheidende ist aber was anderes: Wir brauchen eine solide Finanzierung von öffentlichen Aufgaben und da muss Politik auch den Mut haben, den sie ja nach der Vereinigung schon nicht gehabt hat, neue Aufgaben und zusätzliche Aufgaben über Steuern zu finanzieren. Da kann man nicht sagen, ich mache das aus der Portokasse, da kann nicht der Kohl den Diepgen auf kalten Entzug setzen, in dem die Berlinhilfen radikal zurückgefahren worden sind. Also da muss es ansetzen.

Sagenschneider: Der SPD-Politiker Ortwind Runde im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur. Ich Danke Ihnen.