Finanzexperte der Regierung: Brauchen weltweite Aufsicht für Märkte

Jan Pieter Krahnen, Mitglied der Expertenkommission der Bundesregierung zur Reform des Finanzsystems, hat eine weltweite "Makroaufsicht" für die internationalen Finanzmärkte gefordert. Eine solche Makroaufsicht, an der derzeit intensiv gearbeitet werde, sei eine Herkulesaufgabe, sagte Krahnen.
Jörg Degenhardt: Anzug, Hemd und Schlips sollten im Schrank bleiben. Beim Weltfinanzgipfel Anfang April in London galt diese Empfehlung für Angestellte aus der Finanzbranche. Um nicht zur Zielscheibe von Protesten zu werden, schien während des letzten G20-Treffens das Tragen von Freizeitkleidung angemessener. Jetzt schreiben wir Mitte Juni, Sommeranfang, und schon gibt es wieder Institute, die dicke, schwarze Zahlen schreiben - als habe es nie eine Krise gegeben. Mehrere US-Großbanken haben inzwischen die Rückzahlung staatlicher Finanzhilfen eingeleitet, um sich von staatlicher Kontrolle zu befreien, an welche die Hilfszahlungen geknüpft waren. Also: Alles wieder auf Anfang. Und was ist mit den neuen Regeln für die Finanzmärkte? Sind sie nur etwas für geduldiges Papier? Dazu jetzt Fragen an Jan Pieter Krahnen. Er ist Finanzwissenschaftler, hat einen Lehrstuhl am Center for Financial Studies der Uni Frankfurt und er gehört der von der Bundesregierung zusammengestellten Expertenkommission zur Reform des internationalen Finanzsystems an. Guten Morgen, Herr Krahnen!

Jan Pieter Krahnen: Guten Morgen, Herr Degenhardt!

Degenhardt: Die Bundeskanzlerin meinte jüngst beim EU-Gipfel, man sei bei der Umsetzung der G20-Beschlüsse zur Reform der Finanzmärkte ein gutes Stück vorangekommen. Ist das wirklich so?

Krahnen: Nun, vorangekommen sind wir vor allen Dingen bei den Plänen: Was könnte gemacht werden, was soll gemacht werden? Und da gibt es natürlich eine lange Latte von Dingen, die man erzählen könnte. Sowohl was die nationale Ebene anbelangt - in vielen Ländern ist was passiert - aber auch das, was vor allen Dingen in Europa passiert ist und das, was wir jetzt in Amerika sehen, sind von der Planungsseite her gesehen große Fortschritte.

Degenhardt: Ich sehe jedenfalls, dass Geschäfte mit Zockerpapieren immer noch möglich sind. Das sollte doch eigentlich verhindert werden?

Krahnen: Ja, bisher hat sich in der tatsächlichen Praxis in den Finanzmärkten noch sehr wenig geändert. Wir haben natürlich einige Märkte, die liegen praktisch brach, da findet kein Handel mehr statt, und wenn, dann nur noch mit Zentralbanken und nicht mehr zwischen Marktakteuren selber, aber insgesamt sind die Änderungen, die wir eigentlich für den Finanzsektor wollen, noch in weiter Ferne.

Degenhardt: Obama hat letzte Woche die Botschaft vermittelt, die US-Notenbank halte jetzt alle Macht in ihren Händen. Warum gibt es aber dennoch sechs weitere Behörden, die über den Finanzmarkt wachen und sich ja quasi dann auch gegenseitig behindern?

Krahnen: Der erste Schritt, der in Amerika gemacht werden muss, ist, die Vielfalt der Institutionen in irgendeiner Weise zu koordinieren, und ich glaube, das ist das, was die Obama-Administration jetzt als Erstes vorhat. Das war etwas, was in Amerika einen immer schon gewundert hat, wie so viele unterschiedliche Institutionen im Grunde ganz ähnliche Aufgaben wahrnehmen. Dass dann Lücken in der Regulierungslandschaft sich auftun, das war fast zu erwarten.

Degenhardt: Ist es nicht doch so, dass sich weder die Europäer noch die Amerikaner wirklich trauen, nur eine Zulassungsbehörde einzurichten, die dann entscheidet, was an Finanzprodukten erlaubt ist und was nicht, wie es ja zum Beispiel bei Arzneimitteln schon längst gang und gäbe ist?

Krahnen: Ja, ich glaube auch, dass das bei Finanzprodukten in der Form nicht kommen kann und auch schon aus dem Grunde wahrscheinlich nicht kommen wird. Wir haben natürlich, wenn wir mal Europa anschauen, so viele unterschiedliche nationale Interessen. Die zu überwinden und auch zu einer internationalen Vereinbarung zu kommen - alleine was die Makroaufsicht, also die Aufsicht über das Finanzsystem insgesamt, anbelangt - ist eine Herkules-Aufgabe, an der man derzeit intensiv arbeitet. Ich glaube, dass das das Hauptthema ist. Schaffen wir es, eine Makroaufsicht zu schaffen, die es bisher in der Welt weder in Europa noch in Amerika überhaupt gegeben hat? Und hier sind bisher Konzepte auf dem Tisch, die noch sehr vage sind, und ich denke, das Zeitfenster, in dessen Verlauf man eine solche grundlegende Veränderung der Aufsicht hinbekommen kann, wird immer enger. Da muss also ganz schnell was passieren.

Degenhardt: Wie ist das eigentlich, ich habe es eingangs gesagt: Einige Banken, Geldhäuser schreiben schon wieder schwarze Zahlen, die Investmentbanker sind zurück. Sinkt mit dem Abklingen der Krisensymptome auf der anderen Seite der Reformeifer? Ich könnte auch fragen: Nimmt die Sorglosigkeit schon wieder zu - wenn ich daran denke, dass die Deutsche Bank bereits wieder von Renditezielen um 25 Prozent spricht?

Krahnen: Ich glaube, die Sorglosigkeit greift noch nicht um sich. Es ist allen Akteuren klar, der Öffentlichkeit insbesondere, den Politikern natürlich, dass jetzt eine massive Änderung, ein massiver Eingriff passieren muss. Die Gefahr besteht einfach, dass sich aber neben dieser Einsicht zunehmend die, ich würde mal sagen, die nationalen Wettbewerbsinteressen zu Wort melden, die dann eine Einigung etwa auf europäischer Ebene oder sogar auf der G20-Ebene immer schwerer machen. Wir dürfen ja nicht vergessen, dass wir es hier mit verschiedenen Finanzplätzen zu tun haben, und wenn ich jetzt mal unseren eigenen hier in Deutschland, oder Frankfurt als Finanzplatz herausgreife: Der spielt im internationalen Konzert eine untergeordnete Rolle. Also können unsere schönen Vorstellungen auch nicht mit so viel, wie soll ich sagen, Durchsetzungskraft beladen werden wie das etwa für die Engländer, für London oder New York gilt.

Degenhardt: Aber es ist wenigstens so, dass die Europäer und die Amerikaner in eine Richtung marschieren?

Krahnen: Sie sind, wenn Sie mal den neuen Geithner und von Geithner und Summers vorgelegten Plan von vor wenigen Tagen mit dem Plan vergleichen, der jetzt von der Europäischen Kommission in Anlehnung an den De Larosière Report vorgelegt worden ist, dann finden Sie sehr, sehr viele Übereinstimmungen und vor allen Dingen auch – und das finde ich das Bemerkenswerte – einen Hinweis darauf, dass wir nur auf globaler Ebene eine systemische, also eine alle Banken umfassende Aufsicht haben werden. Dahinter steht am Ende die Anforderung, dass wir in der Lage sein werden, Informationen, die eigentlich bisher nur national verfügbar sind, auch international verfügbar zu machen zwischen den Aufsichtsbehörden. Das wäre der Durchbruch.

Degenhardt: Herr Krahnen, wie ist das: Die Politiker, hören die noch oder schon wieder zu sehr auf die Banker und zu wenig auf die Ökonomen?

Krahnen: Ich glaube nicht, dass sie im Moment sehr positiv der Banklandschaft insgesamt gegenüberstehen, sondern mit großer Skepsis beobachten und im Moment denke ich, dass die Ökonomen, die sich beratend hier engagieren, noch gut zugehört wird.

Degenhardt: Pieter Krahnen, der Finanzwissenschaftler gehört der von der Bundesregierung zusammengestellten Expertenkommission zur Reform des internationalen Finanzsystems an. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Krahnen!

Krahnen: Danke, Herr Degenhardt!