Finanzexperte André Tomfort

"Wir sind auf dem Weg zur nächsten Finanzkrise"

Während Börsianer am 29.06.2015 in der Börse in Frankfurt am Main (Hessen) an ihren Plätzen arbeiten, wird auf einer großen Tafel unter anderem "Tiefst" angezeigt.
Eine Tafel an der Börse in Frankfurt/Main zeigt "Tiefst" an. © dpa
André Tomfort im Gespräch mit Christine Watty  · 11.07.2017
Die Aktienkurse zeigen nach oben, die Wirtschaft boomt. Dennoch – oder gerade deswegen – droht die nächste Finanzkrise, warnt der Professor für Finanzanalyse, André Tomfort. Und die Politik schaue zu.
Der Finanzexperte André Tomfort ist davon überzeugt, dass es verschiedenen Indizien dafür gibt, dass sich die nächste Finanzkrise aufbaut. So habe sich ein massiver Geldüberhang an den Finanzmärkten aufgebaut. "Die Geldmenge seit der letzten Finanzkrise ist viel stärker gewachsen als das Sozialprodukt. Dieser Unterschied ist das Potenzial für die nächste Finanzkrise", erklärt der Wissenschaftler am Dienstag im Deutschlandfunk Kultur. Dass zeige sich auch daran, dass an den Aktien und Immobilienmärkten neue Rekordstände erreicht worden seien und die Kreditexpansion sich beschleunige sich.

Kritik an bisherigen Reformen des Finanzsystems

Um die Preisblase zu unterbinden, müsste man sich mit neuen Krediten zurückhalten und Anlagen und Spekulationen an den Finanzmärkten zurückfahren. "Solange alles gut läuft und die Kurse neue Höchststände erreichen, solange hat natürlich niemand einen Anreiz, das zu tun. Das heißt der Prozess geht solange weiter, bis es eben irgendwann abstürzt."
Die Reformen des Finanzsystems gingen zwar in die richtige Richtung, aber nicht weit genug, so die Kritik Tomforts, der an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin lehrt. Die Eigenkapitalvorsorge der Banken reiche nicht aus und die Schattenbanken, die ebenfalls im Kreditgeschäft tätig sind, seien bisher kaum reguliert. "Die Sicherheiten, die geschaffen wurden, reichen nicht aus, um eine Finanzkrise abwehren zu können", kritisiert Tomfort.

Die Politik habe das Thema nicht auf der Agenda

Gemessen an den verfügbaren Indikatoren stünden wir zwar nicht unmittelbar vor einer Finanzkrise. "Aber wir sind auf dem Weg dorthin." Um diese zu verhindern, müssten die Zentralbanken die Zinsen schneller erhöhen und das Geldangebot zurückfahren und die Reformen des Finanzsystems müssten weiter durchgeführt werden. "Das heißt höhere Eigenkapitalvorsorge der Banken und auch endlich die Schattenbanken in Angriff nehmen."
Doch derzeit stehe das Thema Finanzkrise derzeit nicht auf der politischen Agenda, das habe auch der G20-Gipfel am Wochenende gezeigt. Das liege daran, dass die Märkte und die Wirtschaft gut laufen. "Aber die Gefahren bauen sich gerade jetzt auf." Jetzt sei der Zeitpunkt, eine Krise zu verhindern.
(uz)
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Das Interview im Wortlaut:

Christine Watty: Jetzt unternehmen wir einen Ausflug in die Finanzwirtschaft. Nach dem aufgeregten G20-Gipfel und dem Fokus nun auf die Bearbeitung der Auswirkungen hat man ja so ein bisschen das Gefühl, dass man die Inhalte hinterhertragen muss, und so versorgen wir die Rufe nach antikapitalistischer Welt mit einem Blick auf unsere Situation derzeit, denn die Frage ist: Sind wir noch in einer Finanzkrise oder steht die nächste bereits vor der Tür? Da ist eine im Anmarsch, befindet André Tomfort. Er ist Professor für Finanzwirtschaft an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin. Schönen guten Tag, Herr Tomfort!
André Tomfort: Guten Morgen, Frau Watty!
Watty: Also wenn Sie eine Finanzkrise vor uns sehen, dann kann das nach meiner naiven Schlussfolgerung eigentlich nur heißen, dass wir zumindest jetzt gerade in keiner mehr sind. Es geht also von vorne los finanzkrisentechnisch demnächst?
Tomfort: Das ist richtig. Also wir haben verschiedene Indizien dafür, dass sich eine Finanzkrise aufbaut. So hat sich zum Beispiel massiver Geldüberhang an den internationalen Finanzmärkten gebildet. Das heißt, die Geldmenge seit der letzten Finanzkrise ist viel stärker gewachsen als das Sozialprodukt, und dieser Unterschied ist das Potential für die nächste Finanzkrise, und das sehen wir auch schon daran, dass wir an den Aktien- und Immobilienmärkten neue Rekordstände erreicht haben, und auch die Kreditexpansion beschleunigt sich wieder, und das sind Warnsignale, die wir haben.

Reformen in die richtige Richtung, aber nicht weit genug

Watty: Diese Warnsignale, die Experten wie Sie und auch viele andere ja natürlich deutlich wahrnehmen, müssten die nicht eigentlich schon viel früher erkannt werden, da man ja mit Finanzkrisen im Allgemeinen eigentlich Erfahrung haben müsste und genau das ja eigentlich immer vermeiden wollte?
Tomfort: Na ja, wir haben gesehen, dass einige Reformen des Finanzsystems gemacht wurden, um Finanzkrisen zu verhindern. Diese Reformen gingen im Prinzip auch in die richtige Richtung, aber nicht weit genug. Das heißt zum Beispiel, die Eigenkapitalvorsorge der Banken ist nicht ausreichend, und auch die Schattenbanken, die ebenfalls im Kreditgeschäft tätig sind, sind bisher kaum reguliert. Das heißt, es ist nicht genug passiert, sodass die Sicherheiten, die geschaffen wurden, nicht ausreichen, um eine Finanzkrise abwehren zu können.
Watty: Das heißt, wie kurz bevor steht diese Finanzkrise beziehungsweise wann werden wir sie direkt spüren?
Tomfort: Na ja, ich habe auch keine Kristallkugel und kann Ihnen das jetzt nicht perfekt voraussagen. Ich würde nach den Indikatoren, die mir zur Verfügung stehen, nicht sagen, dass wir unmittelbar vor einer Finanzkrise stehen. Dazu müssten wir noch höhere Preise an den Aktien- und Immobilienmärkten sehen, noch mehr Investition in der Realwirtschaft und eine stärkere Kreditexpansion, aber wir sind auf dem Weg dorthin.

Solange, bis es wieder kracht

Watty: Was kann man denn dann tun? Auf dem Weg dorthin bedeutet ja zumindest, es gibt noch irgendwelche Möglichkeiten abzubiegen. Was würden Sie denn zum Beispiel der Politik empfehlen, wenn Sie jetzt so direkten Einfluss hätten?
Tomfort: Genau. Also als erstes wären die Zentralbanken gefragt. Sie müssten die Zinsen schneller erhöhen als sie das tun und auch das Geldangebot zurückfahren, und die Reformen des Finanzsystems müssten weiter durchgeführt werden. Das heißt, wie gesagt, frühere Eigenkapitalvorsorge der Banken und auch endlich die Schattenbanken in den Angriff nehmen.
Watty: Vielleicht noch mal ein weiteres Mal naiv gefragt: Sie können es nicht direkt empfehlen, die Banken aber wissen ja darum. Warum passiert das nicht?
Tomfort: Na ja, das ist eine gute Frage. Solange das Geschäft läuft, macht man das natürlich. Also wenn man die Preisblase unterbinden wollte, dann müsste man sich mit neuen Krediten zurückhalten. Man müsste Anlagen und Spekulationen an den Finanzmärkten zurückfahren, und solange alles gut läuft und die Kurse neue Höchststände erreichen, solange hat natürlich niemand einen Anreiz, das zu tun. Das heißt, der Prozess geht so lange weiter, bis es eben irgendwann abstürzt. Das war in der Wirtschaftsgeschichte häufig so, und wir haben wenig Grund zur Annahme, dass sich das diesmal ändern wird.

Kritik: nicht auf der politischen Agenda

Watty: Also ein klarer Fall von history repeating, warum auch immer und man nicht so genau weiß, wie oft das eigentlich noch passieren muss, aber es gab ja da diesen Gipfel am Wochenende, über den wir mehrfach gesprochen haben und viel mehr über das ganze Drumherum sprachen bisher als über die Inhalte. Gab es denn irgendwelche Erkenntnisse oder gewichtige Entscheidungen, die auf dem G20-Gipfel getroffen wurden, die auch in die Richtung blicken, was passiert eigentlich mit unserer Finanzwelt?
Tomfort: Also ich hatte nicht den Eindruck, dass dieses Thema eine wichtige Rolle auf dem Gipfel gespielt hat. Im Moment ist das Thema sowieso nicht mehr so im politischen Fokus, was eben auch daran liegt, dass eben die Märkte gut laufen, die Wirtschaft läuft gut, und da ist das Thema Finanzkrise eben nicht mehr auf der Agenda, aber die Gefahren bauen sich gerade jetzt auf, und deshalb habe ich auch mein Buch "Crash und Geldflut" um jetzigen Zeitpunkt veröffentlich, um halt darauf hinzuweisen, dass jetzt der Zeitpunkt ist, um eine Krise zu verhindern.
Watty: Also der Gipfel kümmert sich um nicht, die Politiker machen auch aus den Gründen, aus denen es immer schon passiert ist, auch nicht die richtigen Schritte an dieser Stelle. Dann müssten wir doch mal fragen, wie sieht es aus mit uns Bürgerinnen und Bürgern: Können wir irgendwas tun an dieser Stelle?
Tomfort: Ja, die Bürger können immer was tun, zum Beispiel …
Watty: Demonstrieren zum Beispiel, genau.

Forderung: Weniger Spekulationen an den Finanzmärkten

Tomfort: Ja, oder sie sollten die Politiker, die sie wählen, auf ihre Sorgen aufmerksam machen, um politischen Druck auszuüben. Man kann sie ja kontaktieren, anrufen und von den Sorgen und Problemen erzählen, und dann sollte man sich selber auch mit Spekulationen an den Finanzmärkten zurückhalten, auch mit der Inanspruchnahme von Krediten, denn wenn das viele Menschen tun, dann baut sich eine solche Preisblase nicht in dem Maße auf.
Watty: Danke schön, André Tomfort! Er ist Professor für Finanzwirtschaft mit dem Forschungsschwerpunkt Finanzmärkte an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin und sieht die nächste Finanzkrise auf uns zukommen. Schönen Tag Ihnen trotzdem! Danke für das Gespräch!
Tomfort: Sehr gerne, Frau Watty! Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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