Finanzdebakel

Documenta-Chef soll schon im Februar mit Rücktritt gedroht haben

documenta-Leiter Adam Szymczyk, aufgenommen am 07.03.2017 auf einer Pressekonferenz im Fridericianum in Kassel
Adam Szymczyk soll bereits im Februar mit Rücktritt gedroht haben. © picture alliance / Uwe Zucchi/dpa
Von Ludger Fittkau · 26.09.2017
Ex-Aufsichtsratschef Bertram Hilgen wehrt sich gegen einen Bericht der "Hessisch-Niedersächsisch Allgemeinen" zum documenta-Finanzdebakel. Er habe keinen Millionenverlust in Kauf genommen und auch einer Drohung des künstlerisches Leiters Adam Szymczyk nicht nachgegeben.
Bertram Hilgen, der ehemalige documenta-Aufsichtsratschef, bezeichnet die Berichterstattung der "Hessisch-Niedersächsischen Allgemeinen" - kurz "HNA" - vom Dienstag zu seiner Rolle im documenta-Finanzdebakel als "grob falsch". Insbesondere habe er nicht einen "Millionenverlust in Kauf genommen", wie das Kasseler Regionalmedium mit Bezug auf eine Studie des renommierten Wirtschaftsprüfungsinstituts PwC berichtet:
"Richtig ist, das wir Anfang des Jahres,- ich bin nicht im Besitz dieser PwC-Studie, weil die ist ja vertraulich im Aufsichtsrat, wie diese Zeitung drankommt, kann ich vermuten, aber das spielt keine Rolle – dass im Februar wir eine Situation hatten, in der die Sorge bestand, dass Adam Szymczyk sein Amt als Kurator der documenta niederlegt, weil das Konzept zur Bespielung des EMST den festgelegten Finanzrahmen überschritten hätte."
Gemeinsam mit der documenta-Geschäftsführerin Annette Kuhlenkampff habe er dann Adam Szymczyk im Gespräch deutlich gemacht, dass es keine Erhöhung des Etats geben werde. Deswegen, weil im Sommer des Jahres 2016 die Gesellschafter der documenta GmbH - also das Land Hessen sowie die Stadt Kassel – gemeinsam mit der Bundeskulturstiftung bereits fünf Millionen Euro zusätzlich zur Finanzierung der documenta 14 bereitgestellt hätten. Die documenta-Geschäftsführerin und der damalige Aufsichtsratsvorsitzende seien sich einig darüber gewesen, dass es damit genug sei.
Bertram Hilgen: "Und das haben wir Herrn Szymczyk mitgeteilt und haben auf der anderen Seite gesagt, wenn er für die Bespielung des EMST mehr Geld braucht, dann muss er an anderer Stelle Geld einsparen. Und dann haben wir eine Liste verabredet, die Geschäftsführerin, Herr Szymczyk und ich, wo wir für rund 550.000 Euro Einsparungen in Kunstprojekten festgelegt haben, so dass die Mehraufwendungen im EMST durch diese Reduzierungen ausgeglichen werden konnten. Und wir waren alle sehr froh, dass Herr Szymczyk da mitgegangen ist und am Ende gesagt hat: Ich bleibe an Bord der documenta 14."

"Aufsichtsrat löchrig wie Käse"

Dass man für die Mehrkosten durch die Einsparungen eine Kompensation vereinbart habe, hätte die "HNA" nicht berichtet, und das sei "der zentrale Fehler" in der Berichterstattung, kritisiert Hilgen.
"Der Oberbürgermeister und Aufsichtsratsvorsitzende hat keine freie Hand gegeben und hat sich nicht erpressen lassen. Auf der anderen Seite sage ich sehr deutlich: Ich war sehr froh nach diesen ein, zwei schlaflosen Nächten, das Adam Szymczyk bei der Fahne geblieben ist. Stellen sie sich vor, wir hätten im Februar die Eröffnung in Athen im April und im Juni in Kassel absagen müssen. Was das reputationsmäßig bedeutet hätte und vor allem auch finanziell. Denn wir hatten die ganzen Vorlaufkosten, wir haben Verträge für die documenta gehabt. Die Sponsoren hätten ihr Geld zurück verlangt, das hätte auch finanziell einen Riesenschaden verursacht, unabhängig vom Reputationsschaden, wenn eine documenta ausfällt."
Richtig sei die Darstellung der "Hessisch-Niedersächsischen Allgemeinen", dass er den Aufsichtsrat nicht unterrichtet habe, so Hilgen. Er habe Sorgen gehabt, dass der Aufsichtsrat diese Informationen nicht vertraulich behandelt hätte:
"Und eine Nachricht zwei Monate vor der Eröffnung in Athen, dass Szymczyk kurz vor dem Rücktritt stand, die hilft der documenta nicht. Und dass dieser Aufsichtsrat löchrig wie ein Käse ist, zeigt sich nun, indem die 'HNA' nun offensichtlich im Besitz einer vertraulichen Studie der PwC ist, die letzte Woche im Aufsichtsrat behandelt worden ist und auch die finanziell schwierige Situation ganz offensichtlich aus dem Kreis des Aufsichtsrates an die Öffentlichkeit gelangte."

"So ist der Schverhalt, und alles andere ist falsch"

Dem documenta-Aufsichtsrat könne man nichts Vertrauliches übermitteln, so der ehemalige Vorsitzende des Gremiums und deswegen habe er das damals auch nicht gemacht, betont Bertram Hilgen:
"Ich habe informiert die Bundeskulturstiftung und meinen Stellvertreter, Herrn Staatsminister Boris Rhein über den Umstand, dass wir Einsparungen vereinbart haben, die die Mehraufwendungen im Zusammenhang mit der Bespielung des EMST kompensieren und dass wir froh sind, dass Szymczyk sein Amt weiter wahrnimmt. So ist der Sachverhalt, und alles andere ist falsch."
Am 12. Juni habe er ein letztes Gespräch mit dem documenta-Prokuristen und der Geschäftsführerin der Kunstausstellung gehabt, sagt Hilgen. Am 26. Juni sei er dann als Oberbürgermeister von Kassel und als Aufsichtsratschef der documenta GmbH verabschiedet worden, so der SPD-Politiker. Zu diesem Zeitpunkt habe das voraussichtliche Defizit "um zwei Millionen" gelegen, dass sich durch Rücklagen aus Vorjahren auf die Hälfte hätte reduzieren lassen. Er habe erwartet, dass dieses Restdefizit über den Verkauf von Eintrittskarten gedeckt werden könnte, meint Hilgen:
"Und deswegen bin ich in dieser Situation sehr entspannt aus dem Amt des Aufsichtsratsvorsitzenden und Oberbürgermeisters geschieden."
Woher die nun fünf bis acht Millionen Defizit kämen, die nun im Raum stehen, wisse er nicht, betont Bertram Hilgen. Er sei seit Ende Juni 2017 nicht mehr im Kasseler Rathaus gewesen.

Zur Frage, ab wann die Überziehung des Budgets bei der diesjährigen documenta bekannt war, hören Sie auch einen Beitrag von Florian Hagemann aus der Sendung "Studio 9":
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