Finanzbetrüger

"Welche Rolle spielen wir in diesem Finanzzirkus?"

Moderation: Ulrike Timm · 14.01.2014
In "The Wolf of Wall Street" stellt Regisseur Martin Scorsese einen amerikanischen Finanzbetrüger in den Mittelpunkt. Der Film erzählt die wahre Geschichte eines Brokers. Wie hoch der Realitätsgehalt des Hollywood-Streifens ist, erklärt die Finanzmarktexpertin Heike Buchter.
Ulrike Timm: "The Wolf of Wall Street" - am Donnerstag kommt der Film von Martin Scorsese in die Kinos, und wenn die Bankenkrise vielleicht auch eine Tragödie war, dann ist dieser Film die Farce dazu. Und sogleich heben einige den Finger und sagen, das darf man doch nicht, das ist doch unmoralisch. Ohne, so hoffe ich, moralinsauer zu werden, wollen wir mit Heike Buchter mal darüber sprechen, wie es an der Wall Street tatsächlich zugeht, ob sich bei den Brokern, die ja 2008 ziemlich nachhaltig ihr Image ruiniert haben, Veränderungen zeigen, oder ob das berühmte Gordon-Gecko-Motto "Gier ist gut" immer noch die vorherrschende Antriebsfeder ist. Heike Buchter ist Finanzmarktbeobachterin. Sie schreibt über die Wall Street, vor allem für "Die Zeit". Frau Buchter, ich grüße Sie herzlich!
Heike Buchter: Hallo!
Timm: Sie haben den Film in Teilen gesehen. Haben Sie sich vergnügt oder waren Sie abgestoßen.
Buchter: Ja, natürlich habe ich mich vergnügt wie jeder andere auch, es ist ein sehr guter Hollywood-Film. Aber mit dem, was ich täglich an der Wall Street beobachte, hat das nichts zu tun.
Timm: Sind Ihnen denn noch nie Jordan Belforts begegnet?
Buchter: An der Wall Street direkt eigentlich nicht. Denn wenn Sie die Wall Street ein bisschen kennen, es ist wie ein großes Ökosystem. Sie haben Haie, Sie haben Putzerfischchen, Sie haben Hummer, Sie haben Schnecken, Sie haben Seeanemonen. Und es gibt eben auch die Broker, das ist richtig, und in den 90er-Jahren, wo der Film ja auch letztendlich spielt, gab es sicherlich solche Partys, und es gab gewisse Exzesse, ganz klar. Das war zuzeiten auch der Dot-com bubble, aber das bezog sich halt im Wesentlichen auf einen Teil der Broker. Und wenn wir jetzt den "Wolf of Wall Street" genauer betrachten, dann war das eben ein Anlagebetrüger auf Long Island. Wenn Sie sagen, das ist die Wall Street, kann man sagen, nein, das ist es nicht. Es ist, wie wenn Sie einen Drogendealer an der Ecke vergleichen mit einem großen Pharmakonzern.
Timm: Sehr erbost über den Film, der ja eine Riesendiskussion ausgelöst hat schon vorab, war Christina McDowell, deren Vater mit dem echten John Belfort unter einer Decke gesteckt hat. Und sie schrieb an Martin Scorsese und seinen Hauptdarsteller, ihr seid gefährlich, und weiter, ihr verschlimmert unsere nationale Besessenheit von Reichtum und Status. Nun hat der Bösewicht immer die bessere Rolle, und eine Farce ist keine Aufklärungsdokumentation. Sie hat aber in den USA eine Debatte ausgelöst, und wie Sie diese Diskussion sehen, das interessiert mich.
Buchter: Ich meine, die moralische Debatte über die soziale Ungleichheit, das hat jetzt auch nicht unbedingt allein mit der Wall Street zu tun. Es ist natürlich so, dass Sie Leute im Finanzbereich haben, vor allen Dingen auf der Hedge-Fonds-Seite, die haben in den letzten Jahren gewaltig abkassiert. Es gibt natürlich auch Profiteure der Krise, John Paulson zum Beispiel, der allein vier Milliarden Dollar gut gemacht hat. Das sind unvorstellbare Summen.
Aber die Frage ist natürlich, was dieser Film, der ja die Exzesse eines Anlagebetrügers darstellt, ob das jetzt wirklich uns hilft zu verstehen, welche Dynamik hinter dieser zunehmenden Ungleichheit stecktund wie wir das in den Griff bekommen. Das weiß keiner so richtig. Und in der Tat kann man sich fragen, ob die moralische Entrüstung uns da so viel weiter hilft. Und ich denke, es ist so ein bisschen auch einfach, dann zu sagen, ja, das sind die gierigen Finanzhaie, und die haben uns das beschert und die sind schuld.
Timm: "The Wolf of Wall Street" kommt Donnerstag in die Kinos. Wir sprechen mit der Finanzjournalistin Heike Buchter über die Realitäten an der Wall Street. Sie haben eben ein bisschen abgewogen, dass man vielleicht auch auf die Wall Street zu sehr einschlägt. Nun hat sie ja – 2008 haben die Investment-Banker ihr Image ziemlich ruiniert. Hat sich denn seitdem wirklich etwas geändert?
Buchter: Die Finanzbranche ändert sich nicht, weil sich die Einstellung dort verändert hat der Leute, die da hingehen. Es sind doch ganz andere Leute, die da heute hingehen. Wenn Sie heute hingehen in eine große Wall-Street-Bank, dann werden Sie dort fast mehr Leute mit einem Technologiehintergrund finden. Das sind Leute, die schreiben Algorithmen, die schreiben Software. Die Finanzbranche, würde ich sagen, ist ganz klar eine der Branchen, wo die Globalisierung und die Digitalisierung mit am weitesten fortgeschritten sind. Und das verändert natürlich auch die Art, wie die Finanzbranche funktioniert.
"Diese Produkte halte ich für falsch"
Timm: Jetzt sprechen Sie aber über eine so globale Gemengelage, bei der alles mit allem zusammenhängt, das beruhigt mich auch nicht wirklich. Hat sich denn bei den Investmentbankern oder an der Wall Street ein anderes Bewusstsein ergeben in den letzten Jahren?
Buchter: Das glaube ich nicht. Ich glaube, das ist immer das, was immer schön behauptet wird, aber ich glaube, die Wall Street, die gibt es ja schon eine ganze Weile, die wird auch das überleben. Wenn Sie in diese Branche gehen, dann haben Sie über kurz oder lang eine andere Art, über Geld nachzudenken. Sie haben eine andere Art, über globale Zusammenhänge nachzudenken. Das mögen Sie moralisch verurteilen und Sie mögen das ablehnen, Sie werden das aber nicht ändern.
Wenn ich jetzt sage, ich mache jetzt zum Beispiel keine Geschäfte mit Lebensmitteln, das wird ja in Deutschland immer sehr groß gefahren, diese Geschichte, wir spekulieren nicht mit den Reisschalen der kleinen Kinder in Asien. Da muss man sich einfach auch mal überlegen, was da dahintersteckt: Es ist halt einfach sehr schwierig, heute für die Altersvorsorge genug Rendite aufzubringen. Und das Problem haben wir ja alle, das haben natürlich auch Leute, die in Deutschland gerne sich auf ein gut gepolstertes Alter vorbereiten wollen. Jetzt ist es aber so, dass Sie bei anderen Bereichen halt einfach nicht mehr so viel sehen an Rendite. Das brauchen Sie aber, um das langfristig darstellen zu können. Und dann hat man sich in der Branche halt einfach umgetan, und dann hat man gesehen, Rohstoffe sind natürlich ein Bereich, in dem sie relativ gute Profite gemacht haben in den letzten Jahren.
Und jetzt ist es aber so, diese Märkte sind immer schon Spekulationsmärkte gewesen, das ist auch nichts Verwerfliches. Sie können keinen reinen Absicherungsmarkt im Rohstoffbereich darstellen. Sie brauchen die Spekulanten, um das zwischenzufinanzieren, jemanden, der Ihnen das Risiko als Erzeuger oder Produzent abnimmt. Das haben Sie immer gehabt, solange es diese Märkte gibt, und das werden Sie auch weiter haben. Die Gefahr ist erst gekommen, als wir als Anleger da reingegangen sind, ganz massiv, und ich sage bewusst wir. Weil, es gibt ganz viele Leute, ganz normale Leute, die sich auch in Leserbriefen sehr oft entrüsten über die Lebensmittelspekulation, die aber gleichzeitig in einen Rohstoffindex investiert haben.
Diese Produkte halte ich für falsch. Die halte ich nicht für falsch, weil da Gier dahintersteckt, sondern die halte ich einfach für falsch, weil der Mechanismus des Marktes, der ja ganz gut funktioniert hat, der wird außer Kraft gesetzt. Aber daran sind nicht irgendwelche gierigen "Wolfs of Wall Street" beteiligt, daran sind natürlich auch Leute beteiligt, die Altersvorsorge betreiben. Die wissen das vielleicht nicht ganz, und weil sie das nicht wissen, wird dann immer irgendwie auf die Banker gezeigt. Ich denke nur einfach, wir müssen uns auch selber klar machen, welche Rolle spielen wir in diesem Finanzzirkus, wo haben wir denn unser Geld, und was machen wir mit unserem Geld und was wollen wir mit unserem Geld machen, was wollen wir finanzieren? Und dann müssen wir vielleicht einfach mal anfangen, das Ding anzugucken, wie wenn wir Joghurt einkaufen, da sind wir ja auch immer bestens informiert. Im Finanzbereich tun wir immer alle so, als wenn wir das den Bankern überlassen können. Und dann sind wir total erstaunt, wenn die dann irgendwelche Sachen machen, mit denen wir nicht einverstanden sind.
Timm: Das heißt, moralisch oder nicht, ist mit Blick auf die Wall Street eigentlich die falsche Frage?
Buchter: Das ist in der Tat so. Aber Sie werden das ja auch – bei anderen Branchen machen Sie das ja auch nicht. Wir berichten ja auch nicht ständig über die Autobranche unter dem einzigen Aspekt des Umweltschutzes und reden von potenziellen Klimakillern.
Timm: Heike Buchter ist Finanzmarktbeobachterin für "Die Zeit". Frau Buchter, ich danke Ihnen!
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