Filmregisseur über "Vom Gießen des Zitronenbaums"

Irrfahrt in die Abgründe unserer Zeit

11:18 Minuten
Porträt des palästinensischen Regisseurs Elia Suleiman.
Regisseur Elia Suleiman hält "Vom Gießen des Zitronenbaums" für seinen bislang lustigsten Film. © picture alliance/Marechal Aurore/ABACA
Elia Suleiman im Gespräch mit Susanne Burg  · 11.01.2020
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Der Regisseur Elia Suleiman geht in seinem Film "Vom Gießen des Zitronenbaums" in die Welt und zeigt darin, dass seine Heimat Palästina längst überall ist. Er thematisiert so auch sein eigenes nomadisches Leben.
Susanne Burg: Der Künstler Elia wundert sich über die Welt, über den Zitronen stehlenden Nachbarn in seiner Heimat Nazareth, aber auch über die westlichen Metropolen Paris und New York, wo das Leben und die Kunst doch so frei sein sollen. In Elia Suleimans neuem Film "Vom Gießen des Zitronenbaums" streift der Protagonist durch die Straßen verschiedener Städte und beobachtet aggressive Parkbesucher, ferngesteuerte Touristen oder auch französische Perfektion bei der Obdachlosenhilfe.
Es ist eine fremde, seltsame und teilweise auch absurde Welt, die der palästinensische Regisseur in seiner Anthologie von stilisierten Tableaus zeigt. Über diese Irrfahrt in die Abgründe unserer Zeit habe ich mit Elia Suleiman gesprochen. Elia Suleiman, Ihre anderen Filme spielten zumeist in Palästina. Jetzt gehen Sie in die Welt und zeigen, dass Palästina überall ist. Was hat Sie an dieser Perspektivänderung interessiert?
Elia Suleiman: Ich würde nicht sagen, dass all meine vorherigen Filme immer über Palästina waren. Für mich war das eher Palästina in Israel, aber das Kino reist ja bekanntlich, und trage mich schon lange mit der Idee herum, mein nomadisches Leben, das ich führe, das mich bis nach New York oder Paris geführt hat, irgendwie auch filmisch zu thematisieren.
Mich hat dabei interessiert, was für eine Stimmung herrscht an diesen vielen Orten, an denen ich lebe, denn es ist etwas passiert mit der Welt in letzter Zeit, die Spannungen haben ja ungemein zugenommen, und wenn man sich beispielsweise heutzutage irgendwo an einen Flughafen begibt, dann spürt man das, nämlich alles hat sich so wahnsinnig militarisiert. Das hat mit diesen zunehmenden Spannungen in der Welt zu tun, und daher ähneln die Orte, an denen ich heute gedreht habe, oft dem Ort, von dem ich eigentlich herstamme. Der Humor ist an jedem Ort ein bisschen anders, aber es ist offensichtlich, dass er viel mit der Weltlage zu tun hat. Insgesamt würde ich dennoch behaupten, dass ich bisher meinen lustigsten Film gedreht habe.
Das Ensemble des Films "Vom Giessen des Zitronenbaums" auf dem roten Teppich in Cannes.
Das Ensemble des Films "Vom Giessen des Zitronenbaums" auf dem roten Teppich in Cannes.© picture alliance/capitalpictures/Rick Gold
Burg: Es ist sehr viel visueller Humor. Ihr Protagonist, gespielt von Ihnen selbst, streift durch die Welt und beobachtet, wie sich Panzer durch die engen Straßen von Paris schieben oder wie er beim Autofahren von einem Polizeiwagen überholt wird, in dem eine gefesselte Frau sitzt. Es gibt keine traditionelle Erzählstruktur, es ist eher eine Montage. Wenn Sie sagen, dass Sie beobachtet haben, wie die Welt der Situation in Palästina immer ähnlicher wurde, wie haben Sie diese kleinen Szenen, diese Vignetten gesammelt und sie dann montiert?

Wie ein Maler in einer Galerie

Suleiman: Ich arbeite nie so, dass ich mir sage, ich möchte einen Film über ein gewisses Thema drehen, sondern bei mir ist es so, dass ich mich immer frage, welches Bild möchte ich sehen, welches Bild macht mir Spaß. Da bin ich eher wie ein Maler, der ein Tableau malt, wie ein Maler in einer Galerie. Ich mache mir Notizen, und einige Notizen mache ich mir seit Jahren, und das sind immer auch Bilder, die ich dann im Kopf habe und die dann zu einer Geschichte in einer Geschichte oder zu einer Geschichte in einer Szene werden. Ich nenne das eine sublimierte Montage, und das unterscheidet sich natürlich sehr vom konventionellen Kino, das meiner Meinung nach der Intelligenz des Zuschauers untergräbt. Kino, das ist ja gerade das Erzählen in Bildern und das Lesen von Bildern.
Burg: Es heißt immer, dass Sie sehr stark vom Stummfilm beeinflusst sind. Stimmen Sie zu?
Suleiman: Eigentlich hat mein Kino überhaupt nichts mit dem Stummfilmkino zu tun. Ich verstehe aber, warum man das immer wieder behauptet. Dieses Missverständnis mit dem Stummfilm entsteht nur dadurch, dass es in meinen Filmen sehr wenige Dialoge gibt. Ich meine sehr wenig verbale Dialoge, denn der Film hat viele Möglichkeiten zu kommunizieren. Die Stille ist zum Beispiel eine Filmsprache, die Musik ist eine weitere Filmsprache.
Ich würde von einer Vielsprachigkeit im Film sprechen, die aber nicht auf der Verbalisierung der Dialoge beruht, weil ich finde, dass die verbale Sprache im Kino eigentlich missbraucht wird, Informationen an den Zuschauer weiterzugeben, die er eigentlich gar nicht braucht, weil die Informationen sich ja bereits in den Bildern befinden. Deswegen bin ich der Meinung, dass man mit zu vielen verbalen Dialogen im Kino die Schönheit der Bilder und die Schönheit des Kinos, der Sprache des Kinos irgendwo auch zerstört.
Burg: Apropos Dialoge im Film: Ihr Protagonist, also Sie, sagen nur zwei Sätze im ganzen Film. Einmal sitzen Sie im Taxi in New York und werden gefragt, woher Sie kommen, und Sie antworten: Nazareth, und Sie sagen, ich bin Palästinenser. Läuft es darauf hinaus, dass die Leute letztendlich nur an dieser Information bei Ihrer Person interessiert sind?

Nazareth als Ghetto

Suleiman: Ja, das sind Worte, die ich sage. Zum ersten Mal ist die Figur die ich in meinem Film spiele, überhaupt in der Lage, Worte zu sagen. Ich habe bisher in meinen Filmen noch nie gesprochen. Es ging mir aber eigentlich mehr darum, einen gewissen Rhythmus damit auch auszudrücken, aber natürlich geht es hier um die Frage der Identität. In gewisser Weise ist das natürlich auch politisch, weil wer sind wir Palästinenser denn eigentlich? Wir leben innerhalb der Grenzen Israels, eines Staates, dessen Pass wir zwar besitzen, aber mit dem wir sonst nichts anfangen können.
Wir Palästinenser sind auch nicht Teil dieses Staates, sondern wir sind besetzt worden, wir leben immer noch in einem besetzten Land, und mittlerweile ist diese Besatzung allerdings psychologisch und wirtschaftlich. Das zeige ich auch zu Beginn des Films, weil ich Nazareth wie eine Art gewalttätiges Ghetto darstelle. Dieses Element war mir durchaus wichtig, es sollte aber nicht ein Film nur über Palästinenser werden, weil in gewisser Weise, egal, wo wir heutzutage in der Welt leben, wir sind alle in gewisser Weise besetzt.
Wir leben alle in einer Form von Besatzung. Wann immer wir Polizeisirenen hören, machen wir das Radio an, versuchen herauszubekommen, was nun schon wieder passiert ist. Ich möchte aber in meinen Filmen nicht die Gewalt zeigen, sondern ich möchte mit Humor versuchen, Hoffnung mitzuteilen. Hoffnung in einer eigentlich verzweifelten Situation, aber es ist wichtig zu zeigen, dass das Leben nach wie vor möglich ist und dass es nach wie vor Momente der Hoffnung und auch der Zärtlichkeit gibt im Leben.
Burg: Gewalt ist ja auch im Kino schon so viel gezeigt worden, und in gewisser Weise spielen Sie auch mit den Erwartungen der Zuschauer, oder, indem Sie zum Beispiel Polizisten in Paris zeigen, die in einer Reihe etwas bedrohlich die Straße entlangpatrouillieren, und plötzlich löst sich die Formation auf, und es wirkt wie ein kleiner Tanz, den sie aufführen auf ihren Segways.

Der Gewalt den Rücken kehren

Suleiman: Ich habe mich in meinen Filmen ja immer mit Autoritäten, mit Machtstrukturen auseinandergesetzt und bin dabei eigentlich immer ähnlich verfahren. Autoritäten basieren ja nur darauf, dass sie Angst ausstrahlen, und ich möchte das untergraben. Ich finde es kontraproduktiv, auch ihre Gewalt noch darzustellen, sondern ich möchte dieser Gewalt in gewisser Weise auch den Rücken kehren.
Ich finde, Gewalt im Kino zu zeigen, verstärkt letztendlich nur die Gewalt, und das wird redundant. Ich habe da andere Mittel, die ich für sehr viel subtiler und witziger halte, und das ist, beispielsweise Absurdität oder Humor zu zeigen und nicht so etwas Vulgäres darzustellen, was man viel zu oft im heutigen Kino sieht.
Burg: Sie arbeiten viel mit kunstvoll arrangierten Tableaus, in denen nur wenige Menschen zu sehen sind. Abgesehen von einem Gefühl der Bedrohung gibt es auch eines der Einsamkeit, der Entfremdung, der Ortslosigkeit.
Suleiman: Nun, das ist eine Art und Weise, wie ich Bilder komponiere. Ich mag eigentlich ein Bild, was fast nackt ist, in dem sich eher so leere Orte befinden, in dem auch die Ruhe noch eine sehr große Rolle spielt, weil der Lärm der Realität, der interessiert mich eigentlich nicht. Ich möchte eher diesem Lärm der Realität in gewisser Weise eine Referenz erweisen, ohne ihn darzustellen.

Das ausgestorbene Paris

Wenn Sie jetzt auf Paris anspielen, diese leeren Straßen, das war eine ästhetische Notwendigkeit für mich. Meine Figur kommt plötzlich in Paris an, und Paris ist wie ausgestorben. Was er nicht weiß, meine Hauptfigur, ist eben, dass es sich um den Nationalfeiertag, dem 14. Juli und die Militärparade handelt und dass deshalb die Straßen so leer sind. Gleicherweise wollte ich damit eine sehr seltsame, auch bedrückende Atmosphäre schaffen und irgendwie die Gewalt evozieren und irgendwie zeigen, dass man sich in einem Land befindet, das dem Land ähnelt, was das Kriegsrecht vielleicht ausgerufen haben könnte.
Burg: Sie reflektieren im Film auch über Ihre Rolle als Filmemacher. In einer Szene gehen Sie mit einem neuen Projekt zu einem Filmproduzenten in Paris, aber der findet, dass zu wenig palästinensische Realität in dem Konzept vorkommt und lehnt es ab. Das ist wahrscheinlich eine Situation, die für Sie nicht ganz unbekannt ist, oder?
Suleiman: Ja, das ist mir wirklich mit meinem ersten Film passiert, und das ist natürlich sehr paradox, weil es hat etwas von einem rassistischen Diskurs, und das passiert nicht nur Palästinensern. Das passiert auch in Genderfragen, wenn es darum geht, ob Frauen Filme machen sollen, das passiert auch, wenn es um Rassismus geht, um Afroamerikaner oder die "Dritte Welt". Das sind postkoloniale Diskurse, die in gewisser Weise immer wieder zurückkehren. Interessanterweise kommen diese Vorbehalte nicht aus der rechten Ecke, sondern eher aus dem linken politischen Spektrum. Das ist natürlich auch meinerseits eine Kritik an dieser liberalen Linken, die sich immer so darstellt, als würde sie die Ungerechtigkeit der Welt bekämpfen wollen, aber letztendlich geht es auch um ihre Macht, die sie bewahren wollen und die den Status quo letztendlich aufrechterhält.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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