Filmmusik

Die besten Soundtracks

Musiker des HR-Sinfonieorchesters proben in einem abgedunkelten Raum. An einer Wand wird der Stummfilm "die Nibelungen" gezeigt.
Ein guter Soundtrack macht aus einem guten Film ein Meisterwerk. © picture alliance / AP / Herbert Knosowski
Von Goetz Steeger · 05.08.2022
Egal ob Actionszene oder der emotionale Höhepunkt eines Films: Musik spielt fast immer die wichtigste Rolle, um die Stimmung zu transportieren. Wir haben fünf Beispiele herausgesucht, bei denen das am besten gelingt.

Trainspotting

Sex, Drugs and Rock’n’Roll – die coole Clique um Mark Renton, gespielt von Ewan McGregor, bevorzugt ein Leben abseits der tristen Realität, die ihnen im prekären Viertel Leith in Edinburgh ohnehin nichts zu bieten hat.
Der ekstatische Kick beim Drücken, originell-freche Beschaffungsaktionen, markige Sprüche wie „Wer braucht schon Gründe für etwas, wenn er Heroin hat“. All das flankiert „Trainspotting“ mit Rock’n’Roll Songs wie Iggy Pops „Lust For life“: nach vorne preschender Backbeat, der jugendliche Energie, Draufgängertum und Abenteuerlust ausstrahlt.
Filmplakat für Trainspotting
© imago images / Everett Collection
Erst allmählich, aber umso eindringlicher kommen die elenden Seiten des Junkie-Daseins zum Vorschein, ein vernachlässigtes Baby einer Freundin stirbt, und einer aus der Clique infiziert sich mit Aids und stirbt an den Folgen.
Mark pendelt immer wieder zwischen Methadon-Entzug und Rückfällen, dann kommt der Tag seiner Überdosis – eine entscheidende Wendung, tragikomisch inszeniert und untermalt mit Lou Reed. Mit „Perfect Day" spielte der Sänger seinerzeit auf die eigene Heroinsucht an.
Nach dem Horror eines Entzuges bei seinen Eltern ändert Mark sein Leben, zieht nach London und wird Makler. Ab hier ändert sich auch der Sound: Rock’n Roll hat ausgedient, der Sound des neuen, businessorientierten Lifestyles sind knallige Electrobeats.
Aus der Skrupellosigkeit des Junkies, der jeden übers Ohr haut, um an Stoff zu kommen, gibt es allerdings kein Entkommen – zumal die Welt, in der er sich jetzt aufhält, nicht anders funktioniert.
„Ich bin ein schlechter Mensch“, sagt er, nachdem er seinen Freunden 16.000 Pfund aus einem gemeinsamen Heroin-Deal gestohlen hat. Aber damit will er jetzt wirklich ein neues Leben anfangen – als besserer Mensch. Diese in sich gefangene Euphorie, die sich wie auch immer permanent wiederholt spiegelt sich treffend in diesen zwei Synthesizer-Akkorden von Underworlds „Born Slippy“.

Moonlight

„Moonlight“ ist die Geschichte von Chiron, dessen cracksüchtige Mutter ihn vernachlässigt, der Mann aus der Szene ist ausgerechnet ihr Dealer. Er und seine Lebensgefährtin sind aber Chirons einzige Vertraute, die ihn so akzeptieren, wie er ist. Die anderen Kinder verspotten ihn und nennen ihn „Little“ wegen seiner Scheu und seiner Zartheit.
Ebenso zart und verhalten ist das musikalische Thema, das Filmmusik-Shooting Star Nicolas Britell für Little komponiert hat.
Das Filmposter für Moonlight
© imago images / Everett Collection
„Little“ heißt auch das Erste der drei Kapitel, aus denen der Film besteht. Im Zweiten, schlicht „Chiron“ genannt, hat er seine erste sexuelle Erfahrung mit Kevin, einem Jungen aus seiner Schule. Ausgerechnet der wird kurz später auf dem Schulhof angestachelt, ihn zu verprügeln. Eine bittere, demütigende Enttäuschung.
Bei deren musikalischer Umsetzung hat sich Britell von der Hip-Hop-Technik des Chopping & Screwing inspirieren lassen. Dabei wird ein Track langsamer abgespielt und die Parts werden anders aneinandergereiht. Chirons Thema klingt dadurch angeschlagen und verletzt.
„Black“ heißt das dritte Kapitel. So nennt sich Chiron mittlerweile, er lebt in Atlanta und setzt in seinem Äußeren auf Stärke. Er trägt u.a. goldene Grills, das ist der unter vielen Hip-Hoppern übliche Zahnschmuck.
Das Thema ist jetzt ein bisschen opulenter arrangiert, aber die Zartheit ist immer noch da. Man nimmt sie durch die Musik sofort an ihm wahr, auch wenn er sie zunächst nicht zeigen kann.
Chiron ist, meint Regisseur Barry Jenkins, als Black so geworden, wie es die Welt nun mal von ihm erwarte. Männlich und stark, so werden schwarze Männer meist dargestellt.
Zum einen als brutalisiertes Klischee wie etwa im Gangster-Rap. Zum anderen auch „aus Gründen des Überlebens“, wie André Holland, der den erwachsenen Kevin spielt, es ausdrückt. Keine Verwundbarkeit, keine Gefühle zeigen, um nicht unterworfen und unterdrückt werden zu können.

A Clockwork Orange

In der futuristisch gestalteten Korovo-Milchbar, mit weiblichen Plastikpuppen, aus deren Brüsten die mit Drogen versetzten Drinks kommen, sitzt Alex mit seiner Gang, den Droogs. Überfälle und Vergewaltigungen sind ihr Betätigungsfeld, hier planen sie ihre Grausamkeiten.
Auch die Musik ist futuristisch, bedrohlich, bizarr, zugleich majestätisch. Ein Synthesizer-Arrangement von Henry Purcells Trauermusik anno 1695 „Music For The Funeral Of Queen Mary“.
Eine sarkastische Musikwahl, denn die, um die hier zu trauern wäre, werden in Kürze genüsslich gequält oder umgebracht. Pauken, Bläser, Streicher: Alle Sounds wurden von Wendy Carlos auf dem Moog-Synthesizer erzeugt.
Das Poster für A Clockwork Orange
© imago images / Everett Collection
Aufgeputscht von den Drinks, rasen sie durch die Nacht und überfallen einen Schriftsteller und seine Frau, die an den Folgen des Missbrauchs und der Gewalt stirbt, er überlebt zwar, ist aber von jetzt an an den Rollstuhl gefesselt.
Diese Szenen sind oft mit klassischer Musik im Original unterlegt, Alex ist ein großer Beethoven-Fan. Auch hier wieder der ironisch bis zynische Dreh, bürgerliche Hochkultur als gewalteuphorisierendes Stilmittel einzusetzen.
Überzogen, fast albern ist auch eine schneller abgespielte Sequenz, in der Alex Sex mit zwei Frauen hat, dazu erklingt Rossinis Wilhelm Tell-Ouvertüre, in der absurd schnellen Synthesizer-Version von Wendy Carlos. 
Bei einem weiteren Ausflug mit den Droogs bringt Alex auf sadistische Weise eine Frau um, kommt wegen Mordes ins Gefängnis, dort schafft er es wegen guter Führung, für einen Modellversuch ausgesucht zu werden, der baldige Entlassung verspricht.
Bei einer Aversionstherapie wird er zwangsfixiert und muss stundenlang die grausamsten Filme sehen, durch Klammern an den Augenlidern kann er nicht wegsehen. Dazu läuft permanent Beethovens Neunte, seine Lieblingsmusik. Vorab bekommt er jeweils ein Übelkeit erzeugendes Serum.
Die Therapie springt an: Weder Gewalt, noch Sex, noch Beethoven-Musik kann er mehr ertragen. Er gilt als geheilt und wird entlassen, einer nach dem anderen rächt sich an dem wehrlos gewordenen Alex, auch zwei der ehemaligen Droogs-Freunde, die Polizisten geworden sind, schlagen ihn mit ihren Knüppeln zusammen.
Der Synthesizer synchronisiert jeden Schlag mit Echo und Phaser-Effekt zur laufenden Titelmusik. Dann landet er noch bei dem im Rollstuhl sitzenden Schriftsteller, als der ihn erkennt, foltert er ihn mit Beethovens Neunter, die hier im Film so albtraumhaft, synthetisch und verzerrt klingt, wie Alex sie hört.
Der Tod scheint ihm der einzige Ausweg aus der Qual, er springt aus dem Fenster und überlebt. Nachdem er im Krankenhaus erwacht, genießt er bald größte Medienaufmerksamkeit, wird von ranghöchsten Politikern am Krankenbett besucht, an seinem diabolischen Grinsen erkennt man sofort: Er ist jetzt wieder ganz der Alte.

The Grand Budapest Hotel

Ein holzgetäfelter, aristokratisch eingerichteter Raum, schätzungsweise aus der Gründerzeit, mit Kronleuchtern und allerlei teurer Dekoration. Zwei Männer betreten den Raum, der eine gut gekleidet im violetten Frack, der andere, kleiner und jünger, trägt Pagenmontur im selben Violett. Ihr ehrfürchtiger Blick richtet sich auf das Bild an der hinteren Wand, auf die sie zugehen.
Der ältere erklärt, von welch unschätzbarem Wert es sei. Der Page holt einen Hocker und nickt dem Vorgesetzten vielsagend zu, worauf der entschlossen auf den Hocker steigt und das Bild von der Wand nimmt. Eilig verlassen beide den Raum, eine rasante Flucht beginnt.
Filmposter für The Grand Budapest Hotel
© imago / Cinema Publishers Collection
Balalaikas, Cimbalon, Perkussion und Orchester: Der mitreißende und melancholische Sound passt zu der Gegend, in der sich das Grand Budapest Hotel befindet: Zubrowka, ein imaginäres Land am östlichsten Rand Europas.
Eingespielt wurde der Soundtrack vom renommierten Osipov State Russian Folk Orchestra. Komponist Alexandre Desplats hundertprozentiges Gespür für Timing und Pausen genau an den richtigen Stellen bestimmt hier das Tempo der Ereignisse.
Die meisten Charaktere haben auch ihr eigenes musikalisches Motiv, wie zum Beispiel das für Zéro Moustafa, Hotelpage, fast noch ein Junge und Kriegsflüchtling. Eine schwelgende Balalaika-Melodie, darüber chromatische Abwärtsläufe, die eine beflissene Emsigkeit ausstrahlen. Zusammengehalten durch die swingende Vorwärtsbewegung von Besenschlagzeug und „Walking Bass“.
Die Musikmotive sind sich ähnlich genug, sodass sie je nach Handlungsstrang miteinander kombiniert werden können, wodurch ein rasanter Flow entsteht. Inspiriert von der Literatur Stefan Zweigs hat Wes Anderson ein zwar frei erfundenes Setting gewählt, aber die politischen Verhältnisse im Jahr 1932, in dem ein Großteil der Geschichte spielt, sind der Realität nachempfunden. Der Faschismus ist an der Macht.
Das, was man von „Grand Budapest Hotel“ in Erinnerung behält, ist nicht in erster Linie die verwobene Handlung. Es sind die Charaktere in ihrer Verschmitztheit und Empathie, der Zauber der Orte und Gegenden und deren effektvolle musikalische Umsetzung.

Dead Man

Die Eisenbahn rattert, die Petroleumlampe an der Decke des Waggons wackelt quietschend hin und her und ein junger Mann mit Nickelbrille und scheuem Blick sitzt inmitten von gut gekleideten Reisenden.
Dann die E-Gitarre, verzerrt, mit jeder Menge Echo, ein leichtes Schubbern auf den Saiten genügt, um einen bedrohlichen Sound zu erzeugen, die Anmutung eines Zeitsprungs. Jetzt sehen die Mitreisenden eher nach Arbeiterklasse aus, der junge Mann sieht aus dem Fenster, zwei zerstörte Tipi-Zelte sind zu sehen, kommentiert von einem schrillen Gitarrenton.
Filmposter für Dead Man
Dead Man (1995)© imago images/Ronald Grant
Der Gitarrensound wird insgesamt harscher, nach dem nächsten Zeitsprung sitzen gefährlich aussehende Trapper im Abteil, die irgendwann ihre Flinten nehmen und aus dem Fenster nach Büffeln schießen.
So beginnt die mystische Reise des William Blake, Buchhalter aus Cleveland, der am äußersten Rand des Wilden Westens ein neues Leben beginnen will. Ständig begleitet wird er dabei von Neil Youngs E-Gitarre, zu der sich ab und zu eine Akustische oder auch eine Orgel gesellt.
Das Dead Man-Thema, das im Laufe des Filmes immer psychedelischer und verfremdeter klingt, wird im Vorspann gesetzt. Weiße Knochen auf schwarzem Hintergrund bilden den Dead Man-Schriftzug. Mit dem ersten Gitarrenton bersten sie in alle Richtungen auseinander.
Kurt Cobain war gerade gestorben und Neil Young hatte zunächst die Idee, den Soundtrack zusammen mit den restlichen beiden Nirvana-Mitgliedern einzuspielen. Jarmusch konnte ihn überzeugen, das seine Gitarre allein der mystischen Atmosphäre besser entspricht.
So wie auch die Entscheidung, den Film in schwarz-weiß zu drehen, damit die Landschaften nichts Vertrautes mehr an sich haben, sollte auch die Musik eher eine Losgelöstheit ausstrahlen, die sich auf nichts bezieht. Und er sollte recht behalten.
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