Filmmetropole an der Spree

01.10.2007
Nach dem Zweiten Weltkrieg avancierte Berlin zu einem wichtigen Filmort: Mauer- und Fluchtgeschichten im Kalten Krieg boten dort reichlich Stoff für Drehs. Und seit der Wiedervereinigung kommen immer mehr Produktionsfirmen zurück in die Hauptstadt. Das Buch "Berlin: Reisen - Ein Film" bietet einen Überblick über die Stars und Filmemacher der verschiedenen Jahrzehnte.
Die Komödie "Eins, Zwei, Drei" war einer der ungewöhnlichsten Berlin-Filme. Billy Wilder drehte ihn 1961. Er handelt von einem jungen Ost-Berliner-Kommunisten, der sich in West-Berlin in die Tochter des Coca-Cola Konzerns verliebt. Ein Geniestreich über den damals zur Zeit des Mauerbaus aber niemand lachen konnte. Doch bevor die Autoren Michaela Schubert und Wolfgang Bernschein auf Billy Wilders Werke und all die anderen Filme eingehen, die in der Stadt gedreht wurden, erzählen sie, wie sich die Filmindustrie an der Spree entwickelte, beschreiben die Atmosphäre der 20er Jahre und zeigen die Wohnorte der Filmstars. Dazu gibt es sehr viele Fotos, Zeichnungen und Filmplakate zu sehen; das Ganze optisch schön aufgebaut.

Die Texte sind präzise und knapp gehalten, aber dennoch genügend in den historischen Fluss eingebettet, so dass man nie den Eindruck hat, nur an der Oberfläche durch die Stadt zu schwimmen. Zudem setzen die Autoren einen gut funktionierenden Trick ein: Immer wieder erscheinen am Rand Tipps, die über das Buch hinaus weisen: auf DVDs, andere Bücher, Kulturzentren oder auch Verkehrsverbindungen, um historische Orte aufzufinden. Außerdem geht Wolffang Bernschein in dem Buch immer wieder auf eine Schauspielerin ein, die eine Art roten Faden bildet:

"Hildegard Knef speziell ist eigentlich die Protagonistin des Buches. Für uns war einerseits dieses Verhältnis dieser Frau zu der Stadt interessant, auf der anderen Seite ihre ganze Karriere mit so vielen Brüchen und ‚Wenn und Abers’ und diese vielen Dinge, die sie neben dem Film gemacht und immer wieder neu angefangen hat. … Alles das hat uns an dieser Figur fasziniert. Und ich glaube, Hildegard Knef ist, wie kaum eine andere Schauspielerin, so eng mit Berlin verbunden. Eben auch gerade in der Zeit nach dem Krieg. Wir glauben, dass diese Frau eine besondere Beziehung zu Berlin hatte."

Als 17-Jährige zeichnet sie 1942 für die UFA. Ein Jahr später beginnt sie eine Schauspielausbildung, bekommt erste Rollen, wird die Geliebte eines hohen Nazi-Funktionärs, dann, nach dem Krieg, die Frau eines US-Offiziers. Erfolge und Misserfolge wechseln bei ihr ständig: Dabei agiert sie nicht nur als Schauspielerin, sondern auch als Schriftstellerin, Sängerin und als Repräsentantin für Berlin, so Knef:

"Weil ich zum Beispiel für Willy Brandt nach Amerika gefahren bin, nach dem Bau der Mauer. Und ich bin als sein ‚Embassery’, als seine Vertretung durch ganz Amerika gefahren und habe versucht, im Fernsehen den Menschen klar zu machen, was es heißt, mitten in einer Großstadt eine Mauer zu haben."

Das Buch bietet viele Informationen über die Stars und Filmemacher in den verschiedenen Jahrzehnten: Wo sie wohnten, wo sie sich trafen, wie sie ihre Karrieren aufbauten oder auch in welche Skandale sie verwickelt waren. Dinge, die man der charmanten Unterhaltung zuordnen kann. Wirklich interessant sind hingegen die vielen Anekdoten: Nur wenige wissen, dass Max Reinhardt seine Theater-Schauspieler ermutigte, sich auch im Film auszuprobieren. Oder dass General Ludendorff maßgeblich die Gründung der UFA 1917 mitinitiierte, weil er stark von einem amerikanischen Propagandafilm beeindruckt war. Dass der Filmpionier Max Skladanowsky begeisterter Anhänger des Nazi-Regimes war, sich sein Sohn Erich hingegen für den Aufbau der DDR engagierte. Oder dass Marlene Dietrich gezielt an ihrem Ruhm arbeitete, in dem sie zum Beispiel 1931 dem Weltstar Charlie Chaplin in Berlin hinterherfuhr, um sich mit ihm fotografieren zu lassen.

In den Kapiteln über die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts taucht oft der Produzent Artur Brauner auf, sein ambivalenter Charakter aber wird nur angedeutet. Während Horst Wendtland, der erfolgreichste deutsche Produzent überhaupt, nur ein einziges Mal erwähnt wird. Da stimmen die Verhältnisse nicht. Gut gelungen ist dafür die Geschichte der Berliner-Filmfestspiele. Zuerst boykottiert vom Ostblock wurde die Berlinale in den 70er und 80er Jahren zur Ost-West-Begegnungsstätte, auf der zum Beispiel 1980 "Solo Sunny" gefeiert wurde. Für ihre Rolle als unangepasste Sängerin gewann Renate Krößner den 'Silbernen Bären' als beste Darstellerin.

Das Buch "Berlin: Reisen - Ein Film" zeigt Glanz und Glamour ebenso wie die Instrumentalisierung des Filmbranche zur Propaganda. Sicherlich ist es in erster Linie ein Reiseführer. Aber das Buch kann ebenso als filmgeschichtlicher Streifzug durch die Metropole bis in die Gegenwart einfach nur so gelesen werden. Wolfgang Bernschein berichtet:

"Es war für uns wichtig, trotz der vielen Fakten und Details zu versuchen, irgendwie den Geist und die Atmosphäre dieser Stadt Berlin durch die verschiedenen Zeiten zu fassen, irgendwie zu begreifen und das ein bisschen wiederzugeben – dass man ein bisschen Gefühl dafür bekommt, wie diese Großstadt getickt hat und wie sie jetzt tickt."

Rezensiert von Bernd Sobolla

Michaela Schubert und Wolfgang Bernschein: Berlin: Reisen - Ein Film
Wolbern Verlag 2007, Potsdam
300 Seiten, 22,80 Euro