Filmmarkt

Wie westliche Medienkonzerne Afrika kolonisieren

03:45 Minuten
Eine nigeriansche Filmcrew steht zusammen unter einem Zelt.
Die Macht über das Copyright: Viele afrikanische Film entstehen mit europäischem und US-amerikanischem Geld. (Symbolbild von einem Filmdreh in Nigeria). © AFP / Florian Plaucheur
Ein Standpunkt von Dorothee Wenner · 12.05.2021
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Fast im Wochentakt kündigt etwa Netflix derzeit neue afrikanische Serien an. Geplant und ausgedacht werden diese allerdings in Paris oder Kalifornien. Dagegen regt sich unter afrikanischen Filmschaffenden Widerstand. Zu Recht, meint Dorothee Wenner.
"Was macht die Coronapandemie mit der afrikanischen Kinolandschaft?" In der deutschen Satire-Debatte hätte dieses Thema derzeit gute Chancen, die Goldmedaille in der Kategorie "crazy topics" zu gewinnen: Darum können wir uns jetzt nicht auch noch kümmern!
Dieser mediale Windschatten bietet denen, die ihn nutzen wollen, optimale Bewegungsfreiheit. Ende April schloss der französische Bezahlfernsehsender "Canal+" mit Äthiopien einen gigantischen Deal ab: In den nächsten fünf Jahren werden eine Million neue äthiopische Abonnenten erwartet.
Auch Netflix kündigt fast allwöchentlich neue afrikanische Serien an. Über die Produktionsbedingungen, Inhalte, Erzählformen und Finanzierungsmodelle wird in Paris oder Kalifornien entschieden. Jetzt sei die Zeit, in den kaum erschlossenen afrikanischen Markt zu investieren, raten Branchenblätter.

In der DR Kongo gibt es nur ein Kino – für Ausländer!

Unter afrikanischen Film- und Kinoschaffenden regt sich Widerstand. Ein Beispiel: In der Demokratischen Republik Kongo, fast siebenmal so groß wie Deutschland, gibt es derzeit nur drei Kinos. Doch das ist für "Ex-Pats", es laufen nur Hollywood-Filme und die Eintrittskarten kosten so viel wie in Berlin. (*)
"Ciné na biso", ein Zusammenschluss von kongolesischen Filmprofessionellen, organisiert seit drei Jahren Filmvorführungen in den Schulen von Kinshasa. Hier laufen vor begeistertem Publikum in provisorisch abgedunkelten Sälen vorrangig kongolesische Filme.
Jetzt will Ciné na biso ein eigenes Containerkino bauen, ein Pilotprojekt, das noch in diesem Jahr den Betrieb aufnehmen könnte. Wenn alles nach Plan läuft, sollen die Containerkinos bald in Serie gehen und damit kongolesische, aber auch andere afrikanische Filme einem breiten Publikum zugänglich machen. Und sie sollen den kongolesischen Filmschaffenden Geld für ihre nächsten Produktionen einspielen.
Initiativen wie Ciné na biso existieren in vielen afrikanischen Ländern. Es gibt ein riesiges Publikumsinteresse und nachhaltige Geschäftsmodelle. Doch im Unterschied zu etwa Canal+, der mal eben die Rechte für 500 existierende äthiopische Filmen gekauft hat, stehen lokale Kinobetreiber vor der entscheidenden Hürde, für ihren regelmäßigen Betrieb geeignete Filmen zu finden.
Für ein einzelnes afrikanisches Kino ist es zu teuer, zu kompliziert, zu aufwendig, mit Sales Agents, Archiven oder Produzenten in Europa oder den USA Aufführungsmodalitäten zu verhandeln – viele afrikanische Kinoproduktionen entstehen aber immer noch mit finanzieller Beteiligung und damit der Copyrightmacht westlicher Länder.

Weltbilder sollten an den Orten der Welt entstehen

Ein neuer Zusammenschluss von Kinobetreibern aus afrikanischen Ländern, das "Cinema Spaces Network", will das ändern. Über eine quasi genossenschaftlich organisierte Struktur wird derzeit ein Katalog von afrikanischen Filmen zusammengestellt, der geeignete Filme unkompliziert und zu realistischen Konditionen vor Ort verfügbar machen will. Im Verbund könnte das klappen, nicht zuletzt, weil es sich so für die beteiligten westlichen Partner rechnet.
Dem Netzwerk geht auch darum, Afrika wieder auf die Agenda zu bringen. Dass in Deutschland derzeit wenig Interesse daran besteht, liegt auch an der Bilderlosigkeit: Wo sind die Filme, die unser Mitgefühl dafür wecken, was Menschen in Kinshasa bewegt, worüber in Khartum gelacht wird, was Jugendliche in den Dörfern von Mali so umtreibt?
Solche Filme aber können nur entstehen, wenn afrikanische Filmschaffende die Kontrolle über die Inhalte und über die Auswertung ihrer Produktionen behalten. Kinos spielen dabei immer noch eine Schlüsselrolle – und nicht Netflix und Co.

Dorothee Wenner lebt als Filmemacherin und Kuratorin in Berlin, sie arbeitet unter anderem als externe Beraterin für Film und Kino des Berliner Humboldt Forums. Das Cinema Spaces Network wird vom Humboldt Forum unterstützt.

© Svenja Harten
*Redaktioneller Hinweis: Ein Nutzer hat uns auf einen Fehler bei der Anzahl von Kinos hingewiesen, die wir nach Recherche um zwei gegenüber der ersten Version erhöht haben.
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