Filmisches Requiem von großer Sprengkraft
Der russische Filmemacher Andrej Nekrassov traf den ehemaligen Spion Alexander Litwinenko im Rahmen seiner Recherche für einen Dokumentarfilm über den Tschetschenienkrieg im Jahr 2002. Die beiden wurden Freunde und teilten dieselbe Kritik an den autoritären Strukturen in ihrer Heimat Russland. Litwinenko starb im letzten Herbst an einer Vergiftung. Nekrassov setzt ihm nun mit "My friend Sasha" ein sehr persönliches filmisches Denkmal.
Andrej Nekrassov: "Das ist ein Film über Alexander, aber auch über mich selbst. Das ist ein Film darüber, wie ein ehrlicher Mensch heute in Russland überleben kann. Also Alexander hat nicht überlebt. Ich bleibe ein Optimist. Ich beschuldige die Leute, die das gemacht haben, ohne sie zu nennen. Weil juristisch haben wir noch kein Recht, sie zu nennen. Aber ich beschuldige die Unmenschlichkeit dieser Tat, auch ganz einfache Unerbittlichkeit. Aber auch diesen Verfall der Werte, diese vollkommene moralische Orientierungslosigkeit, die leider jetzt ein Teil des russischen Lebens ist und die solche Sachen möglich macht. Und diesen Hass. Und diese Feind/Freund-, Schwarz-Weißmalerei. Diese Kampfansagen, Aufrufe zum Kampf mit den Feinden Russlands, diese Hassatmosphäre, die wächst. Und wir müssen das stoppen. Wir müssen alle helfen, die ehrlichen Menschen in Russland, das zu stoppen."
Leider wird die morgen beginnende Berlinale dem russischen Filmemacher Andrej Nekrassovs und seiner Dokumentation "My friend Sascha. A very russian murder" kein Forum bieten. Denn nachdem die Festivalmitarbeiter erst darauf gedrängt hatten, den Film noch in der Rohfassung sehen zu dürfen, bekam Nekrassov eine Absage. Bei der entscheidenden Sichtung mit den Mitgliedern des Auswahlkomitees war auch ein Anwalt zugegen, doch, so Christoph Terhechte vom "Internationalen Forum", "an der Entscheidung nahm er keinen Anteil."
Fest steht, dieser Film wird die Zuschauer polarisieren. Die einen werden ihm vorhalten, außer den üblichen Verschwörungstheorien um eine Beteiligung des russischen Geheimdienstes am Vergiftungstod Litwinenkos nichts Neues zu bieten. Sie werden sich auch gegen die Anschuldigungen an die russische Regierung verwehren und gegen die Kritik am Schweigen der Öffentlichkeit in Ost und West polemisieren. Die anderen jedoch werden sich von Nekrassovs filmischem Requiem in den Bann ziehen lassen, denn der Film ist intim und hochpolitisch, gesellschaftlich brisant und philosophisch, leise und von großer Sprengkraft. Ein Kammerspiel, das uns suggestiv hineinzieht ins schwarze Herz der russischen Politik der letzten Jahre.
Andrej Nekrassov: "Ich habe Litwinenko sterben gesehen und das werde ich nie vergessen, das werde ich nie in meinem Leben vergessen. Und das ist beängstigend. Das könnte sein, dass Politkowskaja und Litwinenko wurden umgebracht, um anderen zu zeigen, was mit der Opposition passieren könnte. Man braucht nicht alle umzubringen, das ist eine alte Regel, man muss nur einige ganz laut und mit publicity umbringen, unter den Augen der Öffentlichkeit, damit alle andere das als Beispiel vor Augen haben, als Warnung."
Nekrassovs Dokumentarfilm "Disbelief" von 2004 durfte aus politischen Gründen weder auf deutschen Festivals noch im Fernsehen gezeigt werden. Ab Donnerstag kommt eine DVD der deutschen Fassung aber immerhin über das Kulturkaufhaus Dussmann bundesweit in den Handel.
Nekrassovs neuer Film "My friend Sascha" schildert nebenbei auch die Entstehungsgeschichte von "Disbelief". Denn die Bekanntschaft mit Litwinenko in London im Herbst 2002 führte den Filmemacher überhaupt erst auf die Zweifelspur eines Verdachtes und damit zu seinem Thema: dass nämlich der russische Geheimdienst und nicht tschetschenische Terroristen 1999 die Hochhausexplosionen im Moskau und Rjasan verursacht hätten. Sie führten zum Zweiten Tschetschenienkrieg und inthronisierten Vladimir Putin auf einer Woge der Popularität als Präsidenten.
Unspektakulär, einfach und ehrlich ist Nekrassovs Film gleichzeitig auch die Geschichte zweier ungleicher Freunde. Bei ihrem ersten großen Gespräch im Frühjahr 2003 hocken der Künstler und der Ex-Spion wie Verschwörer in Litwinenkos kleiner Londoner Küche, während ihre Körper Schattenrisse an die weiße Wand werfen. Wir sehen Litwinenkos aufrichtigen Blick, wir begegnen Nekrassovs Staunen. Die beiden sind Teil einer politischen und menschlichen Katastrophe, deren Ausmaß sie - und wir mit ihnen - zunächst gar nicht erfassen.
Andrej Nekrassov: "Das Problem ist, dass die Interessen des russischen Staates und die ganz privaten Interessen einiger einflussreicher und starker Geschäftsleute und Machthaber im Moment manchmal sehr schwierig zu unterscheiden sind. Man spricht von den Interessen Russlands und meint die Interessen der russischen Elite. Man spricht von geopolitischen Kämpfen und meint die Klassenstruktur und den Zustand des Regimes in Russland. Und deswegen können einige einflussreiche Leute, die zum Beispiel Litwinenko als Verräter und Feind betrachteten, auf einen bestimmten Schutz vom russischen Staat und der russischen patriotischen Ideologie zählen."
Nekrassovs Film zeigt uns Litwinenko einerseits immer wieder als gejagtes Tier im Visier der russischen Staatsorgane. Gleichzeitig präsentiert er uns den Toten in intimen Interviews in den Augen seiner Nächsten und Partner. Dabei entsteht einerseits das Bild eines Idealisten, der aus einem geschätzten Geheimdienstmitarbeiter für seine einstigen Vorgesetzten zum Freiwild wurde. Andererseits wurde er sogar unter den Freunden im Londoner Exil als naives Kind behandelt: ein Rufer in der Wüste, belächelt und verspottet.
Der Film zeigt, wie Litwinenko erst zur lebenden Mumie entstellt werden musste, um wirklich ernst genommen zu werden. Unter dem Schock seines qualvollen Sterbens verlieren auch ehemalige Täter wie der skandalumwitterte Oligarch Boris Beresowski, der Litwinenkos Bücher und Artikel mitfinanzierte, ihre zynische Maske. Die Weigerung, moralische Grenzen zu überschreiten, schmiedet dabei auch unvorhersehbare Koalitionen. Aus den ideologischen Gegnern von gestern werden auf der Suche nach der Wahrheit um Litwinenkos Tod die Verbündeten von morgen:
Andrej Nekrassov: "Was ist für mich wichtig: im Klaren sein, politisch aber auch moralisch. Heutzutage ist es sehr, sehr einfach in eine bestimmte moralische Relativität reinzurutschen, nicht nur in Russland, aber auch im Westen. Man spricht von den pragmatischen Verhältnissen, man spricht von einer bestimmten Stabilität, vom Willen, einige moralische Kompromisse einzugehen. Ich bin aber fest davon überzeugt, das schadet meinem intellektuellen und moralischen Ich. Das sind keine großen Worte, das ist fast eine technische Notwendigkeit, ganz nüchtern und ehrlich zu sein. Und nur so kann man als Mensch überleben."
Leider wird die morgen beginnende Berlinale dem russischen Filmemacher Andrej Nekrassovs und seiner Dokumentation "My friend Sascha. A very russian murder" kein Forum bieten. Denn nachdem die Festivalmitarbeiter erst darauf gedrängt hatten, den Film noch in der Rohfassung sehen zu dürfen, bekam Nekrassov eine Absage. Bei der entscheidenden Sichtung mit den Mitgliedern des Auswahlkomitees war auch ein Anwalt zugegen, doch, so Christoph Terhechte vom "Internationalen Forum", "an der Entscheidung nahm er keinen Anteil."
Fest steht, dieser Film wird die Zuschauer polarisieren. Die einen werden ihm vorhalten, außer den üblichen Verschwörungstheorien um eine Beteiligung des russischen Geheimdienstes am Vergiftungstod Litwinenkos nichts Neues zu bieten. Sie werden sich auch gegen die Anschuldigungen an die russische Regierung verwehren und gegen die Kritik am Schweigen der Öffentlichkeit in Ost und West polemisieren. Die anderen jedoch werden sich von Nekrassovs filmischem Requiem in den Bann ziehen lassen, denn der Film ist intim und hochpolitisch, gesellschaftlich brisant und philosophisch, leise und von großer Sprengkraft. Ein Kammerspiel, das uns suggestiv hineinzieht ins schwarze Herz der russischen Politik der letzten Jahre.
Andrej Nekrassov: "Ich habe Litwinenko sterben gesehen und das werde ich nie vergessen, das werde ich nie in meinem Leben vergessen. Und das ist beängstigend. Das könnte sein, dass Politkowskaja und Litwinenko wurden umgebracht, um anderen zu zeigen, was mit der Opposition passieren könnte. Man braucht nicht alle umzubringen, das ist eine alte Regel, man muss nur einige ganz laut und mit publicity umbringen, unter den Augen der Öffentlichkeit, damit alle andere das als Beispiel vor Augen haben, als Warnung."
Nekrassovs Dokumentarfilm "Disbelief" von 2004 durfte aus politischen Gründen weder auf deutschen Festivals noch im Fernsehen gezeigt werden. Ab Donnerstag kommt eine DVD der deutschen Fassung aber immerhin über das Kulturkaufhaus Dussmann bundesweit in den Handel.
Nekrassovs neuer Film "My friend Sascha" schildert nebenbei auch die Entstehungsgeschichte von "Disbelief". Denn die Bekanntschaft mit Litwinenko in London im Herbst 2002 führte den Filmemacher überhaupt erst auf die Zweifelspur eines Verdachtes und damit zu seinem Thema: dass nämlich der russische Geheimdienst und nicht tschetschenische Terroristen 1999 die Hochhausexplosionen im Moskau und Rjasan verursacht hätten. Sie führten zum Zweiten Tschetschenienkrieg und inthronisierten Vladimir Putin auf einer Woge der Popularität als Präsidenten.
Unspektakulär, einfach und ehrlich ist Nekrassovs Film gleichzeitig auch die Geschichte zweier ungleicher Freunde. Bei ihrem ersten großen Gespräch im Frühjahr 2003 hocken der Künstler und der Ex-Spion wie Verschwörer in Litwinenkos kleiner Londoner Küche, während ihre Körper Schattenrisse an die weiße Wand werfen. Wir sehen Litwinenkos aufrichtigen Blick, wir begegnen Nekrassovs Staunen. Die beiden sind Teil einer politischen und menschlichen Katastrophe, deren Ausmaß sie - und wir mit ihnen - zunächst gar nicht erfassen.
Andrej Nekrassov: "Das Problem ist, dass die Interessen des russischen Staates und die ganz privaten Interessen einiger einflussreicher und starker Geschäftsleute und Machthaber im Moment manchmal sehr schwierig zu unterscheiden sind. Man spricht von den Interessen Russlands und meint die Interessen der russischen Elite. Man spricht von geopolitischen Kämpfen und meint die Klassenstruktur und den Zustand des Regimes in Russland. Und deswegen können einige einflussreiche Leute, die zum Beispiel Litwinenko als Verräter und Feind betrachteten, auf einen bestimmten Schutz vom russischen Staat und der russischen patriotischen Ideologie zählen."
Nekrassovs Film zeigt uns Litwinenko einerseits immer wieder als gejagtes Tier im Visier der russischen Staatsorgane. Gleichzeitig präsentiert er uns den Toten in intimen Interviews in den Augen seiner Nächsten und Partner. Dabei entsteht einerseits das Bild eines Idealisten, der aus einem geschätzten Geheimdienstmitarbeiter für seine einstigen Vorgesetzten zum Freiwild wurde. Andererseits wurde er sogar unter den Freunden im Londoner Exil als naives Kind behandelt: ein Rufer in der Wüste, belächelt und verspottet.
Der Film zeigt, wie Litwinenko erst zur lebenden Mumie entstellt werden musste, um wirklich ernst genommen zu werden. Unter dem Schock seines qualvollen Sterbens verlieren auch ehemalige Täter wie der skandalumwitterte Oligarch Boris Beresowski, der Litwinenkos Bücher und Artikel mitfinanzierte, ihre zynische Maske. Die Weigerung, moralische Grenzen zu überschreiten, schmiedet dabei auch unvorhersehbare Koalitionen. Aus den ideologischen Gegnern von gestern werden auf der Suche nach der Wahrheit um Litwinenkos Tod die Verbündeten von morgen:
Andrej Nekrassov: "Was ist für mich wichtig: im Klaren sein, politisch aber auch moralisch. Heutzutage ist es sehr, sehr einfach in eine bestimmte moralische Relativität reinzurutschen, nicht nur in Russland, aber auch im Westen. Man spricht von den pragmatischen Verhältnissen, man spricht von einer bestimmten Stabilität, vom Willen, einige moralische Kompromisse einzugehen. Ich bin aber fest davon überzeugt, das schadet meinem intellektuellen und moralischen Ich. Das sind keine großen Worte, das ist fast eine technische Notwendigkeit, ganz nüchtern und ehrlich zu sein. Und nur so kann man als Mensch überleben."