Filmische Hommage an den spanischsten aller Tänze

Von Wolfgang Martin Hamdorf · 21.08.2012
Flamenco in klassischer Form, mit Jazz- oder lateinamerikanischen Elementen - der Altmeister Carlos Saura zeigt in "Flamenco, Flamenco" ein facettenreiches Bild dieses Tanzes. Er kommt für ihn sowohl aus überschäumender Lebenslust wie tiefer Trauer.
Am Stadtrand von Sevilla: Langsam schwebt die Kamera in den ehemaligen Ausstellungspavillon der Weltausstellung von 1992, vorbei an den Stahlbögen der Deckenkonstruktion. Von Anfang an hat Carlos Saura seine Musikfilme in Studios inszeniert, in einer fast verfremdeten Probenatmosphäre zwischen Improvisation und Vollkommenheit.

Carlos Saura: "Die Proben sind viel schöner und interessanter als das fertige Werk. Alles ist noch offener, die Mischung aus fertigen Bühnenkostümen und Probekleidung ist wunderbar, und die Tänzer und Tänzerinnen strengen sich an, der Schweiß läuft, sie versuchen sich noch zu steigern, das ist wunderbar. Tanz ist anstrengend und deswegen sind die Proben so faszinierend. In fast allen meinen Filmen kommt immer eine Theater- oder Musikprobe oder etwas Ähnliches vor."

"Verde, que te quiero verde", "Grün, ich liebe dich grün". Mit den Versen des 1936 ermordeten spanischen Dichters Federico Garcia Lorcas in einer modernen Flamenco Version beginnt ein Reigen von 22 ganz unterschiedlichen Musikstücken: Vom klassischen Flamenco über die Verbindung mit Jazzelementen oder lateinamerikanischen Rhythmen. Saura zeigt ein facettenreiches Gesamtbild einer immer wieder überraschenden innovativen und vielseitigen Gesamtkunst.

Carlos Saura: "Der Flamenco entwickelt sich ständig weiter, das ist wunderbar. Es gab natürlich auch hier eine sehr orthodoxe konservative Tendenz, alles beim Alten zu belassen, aber mittlerweile spielt die keine Rolle mehr, das heißt die klassischen Flamencomotive vermischen sich etwa mit karibischen Rhythmen, kubanische Instrumente werden integriert. Auch der Tanz entwickelt sich auf der Grundlage der klassischen Schritte und Bewegungen weiter. Diese Fähigkeit zur Integration anderer musikalischer Einflüsse hat weltweit sonst nur der Jazz."

In "Flamenco, Flamenco" arbeitete Saura wieder mit dem italienischen Kameramann Vittorio Storaro zusammen. Aber die Szenografie hat sich geändert: Statt der transparenten oder farbigen Stoffwände früherer Filme zeigen die Stellwände jetzt Gemälde aus den letzten Jahrhunderten:

Carlos Saura: "Ich versuche, diese Flächen immer weiter zu entwickeln, arbeite mit Projektionen, aber auch mit Spiegeln: Spiegel faszinieren mich immer wieder. Sie schaffen Gänge und Räume. In "Flamenco, Flamenco" haben wir auf diese Flächen auch alte Bilder und Stiche mit andalusischen Motiven projiziert. Ich war völlig überrascht, wie viele Werke wir zum Thema gefunden haben, am Ende konnten wir aus Platzgründen nur einen Bruchteil verwenden."

Die Kunstwerke von Francisco de Goyas "Caprichos" über Pablo Picasso oder dem spanischen Maler Romero de Torres bis hin zu Gustav Klimt zeigen die historische Entwicklung des Flamencos auf und sind integriert in ein Fest der Farben: Tänzerinnen in tiefblauen Tüchern bewegen sich vor einem gemalten nächtlichen Hintergrund zu einem Prozessionsmarsch andalusischer Karwochenprozessionen, dann folgt wieder Gesang und Gitarrenakkorde, das Stakkato der Tanzschuhe, das rhythmische Klatschen und der Takt der Kastagnetten. Für Carlos Saura kommt der internationale Erfolg des Flamencos aus der Vereinigung von Widersprüchen, überschäumender Lebenslust und tiefer Trauer:

"Es ist ein magischer Tanz mit einem fantastischen Rhythmus. Er ist leidenschaftlich, kann gewalttätig sein und ebenso sinnlich. Die Musik ist wunderschön. Der Tanz der Frauen ist weltweit einzigartig. Ich kenne keinen Tanz, wo der Unterleib so erdverbunden bleibt und von der Hüfte an alles nach oben strebt zum Himmel mit den Händen nach oben. Ich kenne keinen anderen Tanz, der so ist."

"Flamenco, Flamenco" ist eine Reise durch unterschiedliche Alter und Lebensphasen und zeigt Künstler unterschiedlicher Generationen: etwa den Altmeister der Gitarre Paco de Lucia, den jungen Tänzer Farruquito oder die greise Sängerin Maria Balá.

Ohne jeglichen Kommentar oder andere erklärende Elemente hat der Reigen der Musikstücke einen ganz eigentümlichen Sog. Man würde gerne noch mehr sehen und hören, wenn sich die Kamera zum Ende des letzten Musikstücks langsam durch die ausgestellten Gemälde entfernt, wieder an der stählernen Dachkonstruktion entlang streift, um schließlich den Weg ins Freie zu finden, wo nur noch der alltägliche Lärm der Großstadt Sevilla zu hören ist, Autos und Polizeisirenen.

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