Filmfestspiele Venedig

Ein Jahrgang der starken Filmemacherinnen

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Regisseurin Audrey Diwan hält den Filmpreis Goldener Löwe in der Hand und blickt in die Kamera.
Hat die Jury einhellig begeistert: Regisseurin Audrey Diwan mit ihrem Goldenen Löwen für "L'évènement". © imago / imagespace / Zuma Wire
Patrick Wellinski im Gespräch mit Eckhard Roelcke · 11.09.2021
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Im diesjährigen Siegerfilm in Venedig erlebt eine junge Frau einen Spießrutenlauf, weil sie im Frankreich der 60er-Jahre abtreiben will. Das Festival sei durchweg von starken Regisseurinnen geprägt gewesen, sagt Kritiker Patrick Wellinski.
Der stark autobiograhische Roman "L'évènement" von Annie Ernaux diente der Regisseurin Audrey Diwan als Vorlage für ihren gleichnamigen Film, mit dem sie bei den Filmfestspielen in Venedig den Goldenen Löwen gewonnen hat. Das Drama um eine junge Studentin, die im konservativen Frankreich der 1960-Jahre, in dem Abtreibungen illegal sind, eine ungewollte Schwangerschaft beenden will und einen Spießrutenlauf durchleiden muss, habe viele sehr berührt und bewegt, sagt Filmkritiker Patrick Wellinski.

Ein Statement der Selbstbestimmung und Emanzipation

Die Hauptfigur des Films sei sehr eigensinnig und wisse immer genau, was sie möchte. "Sie macht sich wenig Illusionen über ihre Lage und weiß, dass sie als Mutter all ihre Träume erst einmal begraben muss. Wie diese unterschiedlichen Konflikte in einer sehr innerlichen Weise auf die Leinwand gebracht werden, das hat nicht nur die Jury, sondern auch mich und viele meiner Kolleginnen und Kollegen hier begeistert."
Der Film sei mit sehr jungen Darstellerinnen und Darstellern besetzt, die eine "unglaubliche Natürlichkeit" auf die Leinwand brächten, sagt Wellinski. "Das habe ich so - auch im französischen Kino -, lange nicht mehr gesehen. Das ist wirklich erstaunlich und atmet den Geist von Annie Ernaux."
Trotz der konkreten historischen Rahmung gelinge es der Regisseurin, aus ihrem Film ein aktuelles politisches Statement der Selbstbestimmung und Emanzipation zu machen.

Die besten Filme im Wettbewerb kamen von Frauen

Die interessantesten und besten Filme im diesjährigen Wettbewerb seien durchweg von Frauen gekommen, sagt Wellinski. "Dazu zählt auch der Film 'The Lost Daughter' von Maggie Gyllenhaal, die das gleichnamige Buch von Elena Ferrante sehr gut umgesetzt hat, ohne die Düsternis und Komplexität der Geschichte zu glätten."
Die Regisseurin Jane Campion wiederum habe es mit "The Power of the Dog" geschafft, dem Mythos "Western" ihre eigene Handschrift aufzudrücken.
Als beste Darstellerin wurde Penélope Cruz ausgezeichnet. In Pedro Almodóvars Film "Parallele Mütter" habe der Regisseur ihr großen Raum zum Spielen gegeben, sagt Wellinski. "Und da reicht es, wenn sie uns zum Beispiel nur das Rezept für einen Eierkuchen aufsagt; dann hat man es mit großem Schauspiel zu tun. Sie ist eine große Naturalistin, was man im ersten Moment durch das Actionkino Hollywoods gar nicht richtig wahrhaben möchte. Es ist sehr schön, dass Sie hier zum ersten Mal einen Preis auf einem großen europäischen Kunstfestival bekommt."
Insgesamt habe er eine sehr gute Festivalausgabe gesehen, sagt Wellinski. Mit dem Film "Il buco" von Michelangelo Frammartino über die Erkundung einer der tiefsten Höhlen der Welt sei sogar antinarratives Kunstkino völlig zurecht ausgezeichnet worden. Die Jury habe gezeigt, dass sie ein Kino auch außerhalb des klassischen Erzählens zu schätzen wisse. Das Festival in Venedig habe es in den letzten Jahren immer wieder geschafft, sowohl große, publikumswirksame Filme, als auch Kunstkino zu zeigen.
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