Filmfestival Locarno eröffnet

Wenn Filmkritiker mit Touristen Schlange stehen

Das 69. Filmfestival Locarno
Auf dem Piazza Grande findet wie jedes Jahr das Filmfestival Locarno statt. © picture alliance/dpa/Foto: Alexandra Wey
Anke Leweke und Patrick Wellinski im Gespräch mit Sigrid Brinkmann · 02.08.2017
Das Filmfestival in Locarno wurde am Mittwoch mit dem Film "Morgen und alle anderen Tage" der französischen Regisseurin Noémie Lvovsky eröffnet. Die Filmkritiker Anke Leweke und Patrick Wellinski erklären, warum das eine mutige Entscheidung war - und was dieses Festival ausmacht.
Mit einem französischen Drama von und mit Noemie Lvovsky ist das 70. Internationale Filmfestival Locarno am Mittwochabend eröffnet worden. In "Demain et tous les autres jours" (Morgen und alle anderen Tage) spielt Lvovsky eine depressive Mutter, deren Tochter verschiedenen Strategien entwickelt, um mit den psychischen Problemen ihrer Mutter umzugehen. "Dieser Film hat mich sehr ergriffen", so Filmkritiker Patrick Wellinski im Deutschlandfunk Kultur. "Weil er sehr persönlich, glaube ich, das Schicksal der Regisseurin beziehungsweise ihrer Mutter, der der Film gewidmet ist, verhandelt." Die Auswahl des Films für die Festivaleröffnung sei eine "sehr intelligente und mutige Entscheidung", so Wellinski.

Kino als Gemeinschaftserlebnis

Der Reiz des Festivals vor der Kulisse des Lago Maggiore und der Berge bestehe darin, dass die Branche nicht unter sich bleibe, so Filmkritikerin Anke Leweke. "Das ist die Qualität von Locarno, dass man dann plötzlich in der Warteschlange steht mit Touristen, die gerade aus dem See kommen oder vom Berg." Oder man sitze abends auf der Piazza Grande zusammen mit den schön zurechtgemachten Tessiner Damen, um dort einen Film anzuschauen. "Kino als Gemeinschaftserlebnis, das wird hier richtig mit Leben gefüllt." Gleichzeitig bestehe die Herausforderung für die Festivalleitung gerade darin, hier die richtige Mischung hinzubekommen, so die Filmkritikerin.
Carlo Chatiran, künstlerischer Direktor des Filmfestivals in Locarno. 
Carlo Chatiran, künstlerischer Direktor des Filmfestivals in Locarno. © ARD / Dietrich Karl Mäurer

Radikale Erzählformen im Wettbewerb

Festivalleiter Carlo Chatrian habe den Anspruch, in jeder Sektion die Bandbreite des Kinos widerzuspiegeln, ergänzt Filmkritiker Patrick Wellinski. Chantrian habe es geschafft, in den vergangenen Jahren auch radikale Erzählformen in den Wettbewerb zu bugsieren. "Da steht ein chinesischer Essay-Film über die Übertragungsbilder aus den Überwachungskameras gleich neben einer Komödie mit Isabelle Huppert und einem vierstündigen Dokumentarfilm über Bauarbeiter." Hier gelte wie immer: Die Mischung machts und diese gelinge dem Festival schon sehr gut.

Festival zeigt die Regisseure von Morgen

Beim Wettbewerb liege der Fokus auf neuen Talenten, betont Festivalleiter Chantrian. "Das unterscheidet uns von Cannes und Venedig." Die ausgezeichneten Filme in der Vergangenheit hätten das bestätigt, so Filmkritikerin Leweke. "Wer hier nach Locarno fährt, sieht wirklich die Regisseure von morgen."
Im Hauptwettbewerb sind 18 Filme zu sehen, darunter aus Deutschland der Film "Freiheit" von Jan Speckenbach. Zwei weitere deutsche Spielfilme haben Chancen, den begehrten Publikumspreis zu gewinnen: "Drei Zinnen" von Jan Zabeil und "Der Mann aus dem Eis" von Felix Randau. Dieser Film spielt in der Jungsteinzeit mit Jürgen Vogel als Ötzi.
(uz)
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