Filmfestival in Venedig

Tod unter Tage

Der chinesische Regisseur Zhao Liang beim Filmfestival in Venedig
Zhao Liang präsentierte seinen Film "Beixi Moshuo" (Behemoth) in Venedig © dpa / picture alliance / Ettore Ferrari
Zhao Liang im Gespräch mit Patrick Wellinski · 12.09.2015
Der Regisseur Zhao Liang gehört zu den mutigsten Dokumentarfilmern Chinas. In Venedig begeisterte er mit "Behemoth", einem Film über Minenarbeiter in der Mongolei. Im Gespräch erzählt er von den Dreharbeiten, der Hölle auf Erden und einer biblischen Metapher.
Patrick Wellinski: Was hat Sie dazu bewogen, einen Dokumentarfilm über eine Kohlemine in der Inneren Mongolei zu drehen?
Zhao Liang: Zuerst war da meine Vorstellung von der Steppenlandschaft der Inneren Mongolei, ihre Schönheit, das Grün, diese paradiesische Unschuld, die sie ausstrahlt. Und dann bin ich da hingereist und es war für mich die Hölle. Es gibt dort kein Leben, vieles war zerstört, das reine Chaos. Aus diesem Schock entstand der Film.
Patrick Wellinski: War der Film dann von vornherein als Dokumentarfilm mit Botschaft geplant? Und wenn, ja, mit welcher Botschaft?
Zhao Liang: Oh ja, mir war von vornherein klar, dass ich hier eine ganz eindeutige Aussage treffen möchte. Wissen Sie, ich wollte eine Metapher auf unsere heutige Zeit schaffen. Die soll für jeden gelten, nicht nur für Chinesen. Es geht mir darum, auf die harte Zerstörung unserer Ressourcen und unserer Natur aufmerksam zu machen. Und für den Umgang damit zu sensibilisieren. Und ja, ich hoffe auch, dass manch einer seine Einstellung dazu nach dem Film − wenigstens ein bisschen − ändert.
Patrick Wellinski: Die Kohlemine, die ist für sie ja nicht nur eine Mine, sie ist mehr. Sie ist ein Monster, eine biblische Bestie, die vor sich hin arbeitet und die Natur drumherum zerstört. Wie kamen Sie auf den Vergleich mit dem biblischen Landungeheuer Behemoth?
Zhao Liang: Es geht mir auch hier um die Metapher. Das von Gott erschaffene Landungeheuer Behemoth war der größte Erschaffer und Zerstörer aller Zeiten. Er nutzte alle Ressourcen des Landes für sein eigenes Wohl. Und wer ist denn heute dieser Behemoth? Der Mensch natürlich, mit seinem unstillbaren Wachstumsdrang, mit seinem Wunsch, sich die Natur untertan zu machen und alles zu beherrschen und seinen eigenen Wohlstand zu vergrößern. Und jeder von uns ist Teil dieses Monsters. Wir sind vielleicht die Fußnägel oder die Augen oder die Schuppen – egal. Die biblische Metapher dient mir dazu, genau das zu unterstreichen und meine Bilder mit dieser Wucht aufzuladen.
Patrick Wellinski: Nun besteht der Film aus zwei Teilen. Das eine, das ist die reine Beobachtung der Arbeiter. Sie zeigen die geschundenen Körper, die Wunden und schrecklichen Verhältnisse, in denen da gearbeitet und gelebt wird. Aber Sie personalisieren nicht. Es gibt keine Interviews mit den Arbeitern, warum nicht?
Zhao Liang: Nun, ich habe viele Interviews geführt und auch welche aufgenommen – ich habe mich aber dagegen entschieden, sie in meinem Film zu verwenden. Und das hat etwas damit zu tun, dass ich mich gegen die Regeln des klassischen Dokumentarfilms auflehnen will. Sie kennen vielleicht meine früheren Filme, dann wissen sie ja, dass ich möglichst kreativ und experimentell arbeiten will. Das gilt auch für diesen Film. Meine Herangehensweise hat mir erlaubt, den Ton des Films, über den wir ja gerade gesprochen haben, aufrecht zu erhalten. Das wäre mit klassischen Interviews nicht möglich gewesen. Der Effekt wäre nicht derselbe und die Aussage auch nicht so gewichtig, wie sie jetzt – hoffe ich zumindest – geworden ist.
Patrick Wellinski: Und trotzdem sind Sie diesen Arbeitern sehr nahe gekommen. Sie zeigen ihre Körper, ihre Wunden. War das denn leicht? Oder gab es da Kontaktprobleme und Widerstand?
Zhao Liang: Nun, es war ein langsamer und behutsamer Prozess, weil man diese Menschen an die Kamera gewöhnen musste. Da war auch eine Aufregung und Unsicherheit, die sich langsam legen musste. Und dann sind wir uns Stück für Stück näher gekommen. Wir haben viel Zeit zusammen verbracht. Miteinander gesprochen, gegessen, gelebt. Nur so konnte sich Vertrauen aufbauen. Zum Teil sogar eine freundschaftliche Atmosphäre. So konnte ich dann nah an sie heran kommen.
Und noch was sollten Sie wissen: Die Arbeiterklasse in China ist die mit Abstand ärmste des Landes. Diese Menschen sind von Natur aus demütig und dadurch auch freundlich. Das hat mir sehr geholfen. Die Reichen in China hätten mich nie so nah an sich gelassen. Vielleicht hat ja auch geholfen, dass ich ihnen eine Stimme geben wollte. Etwas, das sonst kaum geschieht.
"Das Paradies ist direkt neben der Hölle"
Patrick Wellinski: Das zweite, das ist ein Blick von außen, mit Textausschnitten aus Dantes göttlicher Komödie. Das Gesehene wird so kommentiert. Ist für Sie diese Mine wie die Hölle, die Dante in seiner "Göttlichen Komödie" geschildert hat?
Zhao Liang: Das war eine Entscheidung, die während des Drehs getroffen wurde. Immer als ich in die Mine fuhr, fragten mich die Leute: Und? Wie ist es? Und habe immer gesagt: Es ist die Hölle. Und dann haben mir meine französischen Produzenten Dantes "Göttliche Komödie" empfohlen und dann sind mir sofort diese krassen Gemeinsamkeiten aufgefallen. Sogar das Paradies habe ich gefunden. Direkt neben der Hölle. Denn dort steht ja die Geisterstadt, die aus dem Mongolischen übersetzt wirklich "Paradies" heißt. Es erscheint mir jetzt, da der Film fertig ist, als hätte Dante vor 800 Jahren eine präzise Prophezeiung geschrieben. Das was er notiert hat, das wollte ich auch ausdrücken und zeigen. Und es gibt in der "Göttlichen Komödie" so viele Bilder und Metaphern, die auf unsere Zeit und besonders auf mein Thema, der Umweltzerstörung, passen, dass ich mir wirklich denke: Das kann kein Zufall sein.
Patrick Wellinski: Der Film endet in einer Geisterstadt in der Nähre der Mine. Mit unglaublichen Aufnahmen von dieser meschenleeren Metropole. Mit Ampeln, die funktionieren, aber keine Autos fahren durch die Straßen. Was sind das für Städte? Wer baut sie und warum?
Zhao Liang: Dies ist der Effekt von Chinas blindem Wachstumswahn. Auch das ist ja streng genommen ein schreckliches Monster. Es gibt da viele Interessen, die bei diesen Geisterstädten zusammenkommen. Der Staat und die Investoren solcher Projekte, wollen ihr Geld in diese "Himmelsmetropolen" – wie sie in China genannt werden – stecken. Und es gibt sie überall im Land. Im Internet heißt es, es gebe 80 oder 90 davon – ich bin überzeugt, dass es mehr sind. Aber keiner wohnt dort, keiner zieht da hin, weil diese Städte im Nirgendwo entstehen, in zum Teil menschenfeindlichen Umgebungen wie Wüsten.
Das gilt auch für die Stadt, die ich zeige. Aber die ist dann auch besonders, weil sie im Autonomen Gebiet der Inneren Mongolei liegt. Diese Landschaft ist sehr reich an Ressourcen und die Wachstumsprognosen für diese Region sollen die Hongkongs um das Doppelte übersteigen. Und trotzdem wohnt da niemand. Da ist eben Wüste. Und so sind diese Geisterstädte weniger ein Verlustgeschäft für die Investoren, sondern viel mehr ein Verlust für China, weil hier die einmalige Landschaft und Umwelt einfach nur zerstört werden.
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