Filmfestival Cottbus

Vom Balkan bis ins Baltikum

Blöich auf die Leuchtschrift "Filmfestival Cottbus" bei Nacht
Blöich auf die Leuchtschrift "Filmfestival Cottbus" bei Nacht © picture alliance / dpa / Michael Hanschke
Von Wolfgang Martin Hamdorf · 07.11.2015
Psychologische Dramen, Genrefilme und auch Komödien: Das Filmfestival Cottbus erkundet die Umbrüche in Mittel- und Osteuropa. Nun wurde 25-jähriges Jubiläum gefeiert.
Vor zwei Jahren, da war die sogenannte Balkanroute noch nicht so bekannt wie heute, begleitete der serbische Filmemacher Zelimir Zilnik Flüchtlinge aus ganz unterschiedlichen Ländern wie Ghana, Äthiopien, Syrien oder Afghanistan auf ihrem Weg durch serbische Dörfer in Richtung Deutschland. Sein Dokumentarfilm "Logbook Serbistan" zeigt mit Humor und Empathie das ungewöhnliche Zusammentreffen der Kulturen. In Cottbus lief der Film in einer Sonderreihe außer Konkurrenz. Zelimir Zilnik sieht seinen Film als bewussten Kontrast zu den gängigen Fernsehbildern vom tausendfachen Elend auf den Flüchtlingsrouten:
"Was wollen die Medien und die Politiker eigentlich mit solchen Bildern erreichen? Sie wollen zuerst einmal Angst erzeugen. Und dann ein Gefühl der Dankbarkeit, dass Gott uns doch hier in Europa gut behütet. Wir sehen Sterbende, wir sehen Verzweifelte, und denken: Gott sei Dank, dass wir nicht an ihrer Stelle sind."
Zelimir Zilnik sitzt dieses Jahr in der Spielfilmjury. Der 73 Jahre alte Veteran der "Schwarzen Welle", der Bewegung kritischer jugoslawischer Filmemacher der 1960er Jahre, verkörpert den Wandel des osteuropäischen Films. Von den Protestbewegungen der 60er-Jahre über den Zusammenbruch des Kommunismus bis in die Gegenwart. Wandlungen und Umbrüche, die auch das Festival in Cottbus seit 25 Jahren begleitet. Auch dieses Jahr handeln viele der zwölf Wettbewerbsbeiträge mehr oder weniger direkt von aktuellen gesellschaftlichen Brennpunkten, unbewältigter Vergangenheit und Krisenangst, wenn auch in ganz unterschiedlichen filmischen Darstellungen.
"Dämon" erzählt vom polnischen Antisemitismus
Ein junger Mann ist in einem Keller angebunden und spricht mit ängstlicher Frauenstimme auf Jiddisch. Es ist der Bräutigam einer ausgelassen fröhlichen Dorfhochzeit auf dem Lande. Offensichtlich ist der Geist einer nach dem Krieg ermordeten Jüdin in ihn gefahren. "Dämon" ist der letzte Film des vor wenigen Wochen im Alter von 42 Jahren verstorbenen polnischen Regisseurs Marcin Wrona. Mit Elementen des Horrorgenres und des magischen Realismus erzählt er von der Verdrängung einer dunklen Vergangenheit: dem polnischen Antisemitismus kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Wlodzimierz Press spielt im Film den alten Dorfschullehrer, er verkörpert das soziale Gewissen der ländlichen Gemeinschaft:
"Es ist immer noch ein Tabu, besonders in Kleinstädten, in den Dörfern in den ländlichen Regionen weiß man davon, aber man versucht das Thema unter den Teppich zu kehren. Man will keine öffentliche Diskussion."
Auch in dem kroatischen Film "Sauerkirsche" geht es um die zerstörerischen Auswirkungen der Vergangenheit auf die Gegenwart. Ein altes Paar kehrt Jahre nach dem Krieg in sein zerstörtes Bauernhaus zurück. Aber viel Lebenszeit ist verloren gegangen, der Mann hat seine Kraft verloren, die Frau wird langsam dement. Der 59-jährige Branko Schmidt, einer der derzeit bekanntesten kroatischen Regisseure, erzählt vom Altern und Alltag, aber auch von den falschen Hoffnungen der Nachkriegszeit.
"Es ist eine Selbsttäuschung. Wenn der Krieg dein Leben zerbrochen hat, dann kannst du nicht einfach neu anfangen. Wir wissen nicht, wo sie die fünf oder zehn Jahre verbracht haben, vielleicht irgendwo als Flüchtlinge oder bei ihrem Sohn in Zagreb. Aber sie leben in der falschen Hoffnung, dass man einfach noch einmal von ganz vorne anfangen kann. Besonders der Mann hat sich ganz in die Idee verrannt, so zu leben, als hätte der Krieg nie stattgefunden."
Auch dieses Jahr überzeugt das Festival in Cottbus
Auch im Zentrum des kirgisischen Films "Nomaden des Himmels" steht ein alter Mann zwischen Tradition und Moderne. In großartigen Panoramabildern der Hochgebirgslandschaft erzählt Regisseur Mirlan Abdykalykov unpolemisch und leise vom Ende einer alten Kultur, der Kultur seiner Kindheit.
"Das ist natürlich ein normaler und auch ein unaufhaltsamer Prozess. Wir leben schließlich im 21. Jahrhundert. Aber es wäre doch schön, wenn wir bei dem ganzen Fortschritt und der Modernisierung einige unserer Bräuche und Traditionen aufrechterhalten könnten."
In psychologische Dramen, Genrefilmen und auch Komödien erzählen osteuropäische Filmemacher viel von der eigenen konkreten sozialen Realität. Dabei wollen sie sich aber auch von den Stereotypen der Medien und ihrer routinierter Empörungsrhetorik unterscheiden, erzählt der 30-jährige rumänische Filmemacher Nicolae Constantin Tanase. Sein Debüt "Die Welt gehört mir", ein Jugenddrama, wurde in Cottbus mit dem Discovery Preis ausgezeichnet:
"Für mich war das sehr wichtig, dass wir nicht diese Misere ausbeuten und sagen: Rumänien, das ist alles so traurig, schauen wir uns dieses Drama an, aber das hat keine weitere Ebene außer diesem sozialen. Und dann haben wir dieses Symbol des Wassers eingeführt. Für mich war das wichtig, dass ich einen Spiegel habe, was passiert in Larissa, und am Schluss wollten wir unbedingt diese große Welle, die die ganze Stadt überflutet. Und die kann man interpretieren, wie man will."
Auch dieses Jahr überzeugt das Festival in Cottbus durch eine Fülle filmischer Geschichten, die auf ganz unterschiedliche Weise Schicksal hinter den Schlagzeilen erzählen und bekannte Konflikte in ein neues Licht setzten.
Mehr zum Thema