Film

Jung, schön und ein Star in Cannes

Von Guylaine Tappaz |
Marine Vacth gilt als die Neuentdeckung des französischen Kinos. Mit ihrer ersten Hauptrolle als Prostituierte durfte sie zum wichtigsten Filmfestival nach Cannes - dort lief der Film "Jung und schön", kein geringerer als Francois Ozon hat ihn gedreht. Dabei ist Marine Vacth zufällig in die Schauspielerei gekommen.
Marine Vacth: "Es ist nicht etwas, das ich mir erhofft habe. Vielleicht gehe ich deswegen damit souverän um. Ich fühle mich nicht abhängig davon. Morgen könnte ich Kühe züchten...verstehen Sie?"
Nein, Marine Vacth hebt nicht ab. Die 23-Jährige redet leise ins Mikro, fast flüsternd. Sie braucht viel Zeit, bevor sie antwortet. Dann legt sie los, unterbricht sich, horcht wieder in sich und sagt manchmal schließlich nur:
"Je ne sais pas. Euh...en fait, je n'en sais rien."
"Ich weiß nicht" also. Dabei hätte die junge Frau allen Grund, mit ihrem Erfolg anzugeben: Francois Ozon, einer der bekanntesten Regisseure Frankreichs, hat sie unter Dutzenden von talentierten Schauspielerinnen ausgesucht für die Titelrolle von "Jung und Schön", seinem neuen Film. Fast in jeder Szene ist sie auf der Leinwand zu sehen - oft nackt.
Marine Vacth in "Jung und Schön": "Das hat mir gefallen, mich zu verabreden, zu chatten übers Internet, zu telefonieren, die Stimmen zu hören, mir Dinge vorzustellen, das Hotel ausfindig zu machen und dann hinzugehen. Nichts zu wissen, auf wen ich treffen würde. Das war wie ein Spiel. (Klopfen an der Tür.) Herein! In dem Moment habe ich fast nichts gefühlt, aber wenn ich später daran dachte zu hause oder in der Schule, hatte ich Lust, es wieder zu tun."
Warum verkauft sie ihren Körper?
Ihren Kunden erzählt Isabelle, sie sei 21 und Studentin. Dabei ist sie noch Schülerin und minderjährig. Das Mädchen prostituiert sich ohne Not - sie stammt aus gutem Hause, hat eine liebevolle Familie. Warum also ihren Körper älteren Männern verkaufen? Das lässt der Film offen.
Marine Vacth: "Ich verstehe nicht, warum sie sich prostituiert, aber ich glaube, manchmal muss man sich in der Pubertät gewaltigen Sachen aussetzen, um sich auf diese Weise lebendig zu fühlen und etwas auszuleben, was nur einem selbst gehört, man nicht teilt und nicht erklärt."
Betörend schön und verschlossen - Marine Vacth fasziniert in ihrer Rolle als Isabelle. Genauso schön ist sie im echten Leben, ungeschminkt, in einfacher Jeans und einem weiten Oberteil. Eine schlanke und große Frau mit Sommersprossen, hohen Wangenknochen und vollen Lippen, die ihr Gegenüber intensiv anschaut. Regisseur Ozon erinnert sich an das Casting:
"Sie hatte eine Tiefe in ihrem Blick, eine Innerlichkeit, eine Reife, die mich interessierte. Es war ein Ähnliches Gefühl wie mit Charlotte Rampling bei dem Film "Unter dem Sand". Es sind Schauspielerinnen, die ein Geheimnis in sich tragen."
Über ihr früheres Privatleben will Vacth nicht reden
Ozon, der mit dem Drehbuch noch nicht fertig ist, schreibt ihr die Rolle auf den Leib. Doch Marine Vacth zögert. Es ist ihre erste Hauptrolle - und dann gleich eine "Nutte" spielen? Im Endeffekt seien ihr die Sexszenen beim Dreh doch leichter gefallen, als sie dachte. Ihren Körper in Szene zu setzen - daran ist sie ja gewöhnt, schließlich ist Marine Vacth auch Model. Zufällig kam die Tochter einer Buchhalterin und eines LKW-Fahrers, auf den Laufsteg: als sie 15 ist, spricht sie eine Modeagentin in einem Pariser Bekleidungsgeschäft an.
"Ich war neugierig und brauchte zu der Zeit ein wenig Leichtigkeit, also habe ich es gemacht, aber eher spielerisch, ohne Ambitionen, daraus einen Beruf zu machen. Ich habe mir gesagt: warum nicht?"
Ein wenig Leichtigkeit - wieso? In Zeitungen ist zu lesen, das Verhältnis zum Vater sei schwierig gewesen, sie habe wenige Freunde gehabt, Kultur habe in der Familie keine Rolle gespielt. Bei Nachfragen über ihr früheres Leben, als sie noch in der Pariser Vorstadt lebte, schließt sich Marine Vacth wie eine Auster.
"Ich will nicht mehr darüber reden. Zu viel ist falsch wiedergegeben worden, diese Sachen gehören mir."
Fakt ist: Mit 19, als sie für große Marken wie Chloé oder Yves Saint Laurent Werbung macht und genügend Geld verdient, schmeißt Marine Vacth die Schule und zieht nach Paris. Wenig später sucht Regisseur Cédric Klapisch - bekannt unter anderem für "Ein Jahr in Barcelona" mit Audrey Tautou - ein Model für eine kleine Rolle und engagiert sie. Im Vergangenen Mai landet sie letztendlich mit "Jung und Schön" auf dem roten Teppich in Cannes.
"Ich habe schon immer eine Diskrepanz zwischen mir und meinem Umfeld empfunden. Also empfinde ich es jetzt auch, aber das hat weniger mit der Mode- oder Kinowelt zu tun. Dieses Gefühl, nicht ganz dazuzugehören, ist vielleicht die einzige Ähnlichkeit mit der Figur von Isabelle im Film. Sie ist da und gleichzeitig nicht da."
Oft würde Marine Vacth am liebsten verschwinden. An dem Rummel um ihre Person wird sie sich aber gewöhnen müssen. Vor ein paar Wochen meldeten Klatsch-und-Tratsch-Zeitungen, dass sie im vierten Monat schwanger ist. Der Vater: Ein Modefotograf, der den neuen Star so häufig abgelichtet hat wie niemand sonst.
"Jung und schön", der neue Film von Francois Ozon mit Marine Vacth in der Hauptrolle, startet am Donnerstag, 14.11., in den deutschen Kinos.
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