Film der Woche: "Burning"

Realität in der Schwebe

06:20 Minuten
Ein junger Koreaner läuft über eine Wiese. Er schaut seitlich an der Kamera vorbei.
Szene aus dem Film "Burning": Jongsu ist auf der Suche nach der Wahrheit: Existiert Hae-mi überhaupt? © capelight pictures
Von Anke Leweke · 05.06.2019
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Was tun, wenn man Schriftsteller werden will, aber nichts zu erzählen hat? Man sucht sich Freunde und neuen Input. In Lee Chang-dongs Film wird eine Geschichte rund um südkoreanische Klassenunterschiede erzählt, die ungemein leicht daherkommt.

Worum es geht:

Jongsu möchte Schriftsteller werden, doch er hat noch nichts zu erzählen. Auch muss er sich um den Hof seines im Gefängnis sitzenden Vaters kümmern. Er verliebt sich in seine ehemalige Klassenkameradin Haemi, die gerade einen Selbstfindungstrip nach Kenia geplant hat. Als er sie Wochen später hoffnungsvoll vom Flughafen abholt, hat Haemi den wohlhabenden und versnobten Ben im Schlepptau. Man trifft sich zu dritt, man kifft und trinkt. Eines Tages erzählt Ben Jongsu von seinem seltsamen Hobby: Er fackelt abgelegene Gewächshäuser ab. Plötzlich verschwindet Haemi spurlos…

Was diesen Film so besonders macht:

"Burning" mag eine lineare Geschichte erzählen, dennoch entzieht sich der Film immer wieder. Er funktioniert auf mehreren Ebenen und bleibt in der Schwebe. So ist der Film von Lee Chang-dong konkret in der südkoreanischen Realität verankert. Mit seinen beiden männlichen Figuren skizziert er die extremen Klassenunterschiede in seiner Heimat. Gleichzeitig ist "Burning" die Feier einer Menage-à-trois und hat eine schöne Leichtigkeit. Dann verwandelt er sich in einen Mystery-Thriller. Warum taucht die Katze, die Jongsu in der Abwesenheit von Haemi füttern sollte, plötzlich in Bens Wohnung auf? Weshalb beantwortet die junge Frau keinen Anruf mehr? Vielleicht sehen wir aber auch dabei zu, wie Fiktion entsteht. Vielleicht erfindet Ben seine Geschichten nur, um Jongsu Stoff für den ersten Roman zu liefern. Oder haben wir diesen Roman schon vor Augen?

Fazit:

Als Jongsu gefragt wird, wer sein Lieblingsautor sei, antwortet dieser: William Faulkner. Wie der amerikanische Schriftsteller wechselt auch "Burning" permanent die Perspektive. Wessen Erzählung folgen wir? "Burning" übernimmt aber auch den leicht surrealen Touch von Haruki Murakamis Kurzgeschichte, reflektiert und thematisiert die hintergründigen Wege der Fiktion. In einer Szene erklärt Haemi die Kunst der Pantomime. Sie schält eine unsichtbare Mandarine und erklärt: Man darf sich nicht vorstellen, dass hier Mandarinen sind. Man muss vergessen, dass hier keine sind. So funktioniert auch dieser Film. Man sieht einer Illusion zu, um zu vergessen, dass es sich um eine solche handelt.
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