Filigranes Gitterwerk

Von Johannes Halder |
Dem Scherenschnitt eilt nicht gerade der Ruf einer besonders fortschrittlichen Kunstgattung voraus. Dennoch betreiben etliche Künstler ernsthaft und mit Erfolg das, was man neuerdings lieber "Cut out" oder "Papierschnitt" nennt. Auch die Leipziger Künstlerin Annette Schröter hat sich der Technik verschrieben. Die Ausstellung "Mit dem Messer gezeichnet" zeigt in Leipzig ihre Werke.
Sie ist eigentlich eine Vollblutmalerin, Leipzig, die alte Schule. Figürlich hat sie alles drauf: starke Farben, eine sichere Hand, einen Sinn für ausgefallene Motive. Zum Papierschnitt kam Annette Schröter vor sieben Jahren mehr durch einen Zufall:

"Ich habe kurzzeitig mein Atelier, bedingt durch einen Wasserschaden, verloren, und war auf der Suche nach einem Medium, was sich am Wohnzimmertisch sehr sauber realisieren lässt, also nicht so viel Schmutz macht wie die Malerei. Und auf der anderen Seite habe ich schon seit vielen Jahren so kleine Scherenschnitte gesammelt, die schon lange bei mir im Atelier hingen, und dann habe ich gedacht, dass muss doch auch möglich sein, diese Sachen mit neuen Inhalten zu füllen und vor allen Dingen sie viel größer daherkommen zu lassen."

Bis zu 2,50 m lang oder breit sind die schwarzen Papierbahnen, in die Annette Schröter ihre Motive schneidet, mit dem Messer an einem riesigen Tisch im wiederhergestellten Atelier. Ihre Arbeiten sind nicht von der Silhouette bestimmt, vom schattenhaften Umriss, sondern von filigranen Durchbrüchen; höchst fragile Gebilde also, und die kleineren von ihnen, vierzig, fünfzig Zentimeter im Durchmesser, erinnern an Tortendeckchen.

Doch damit lässt sie den Betrachter buchstäblich ins Messer laufen, denn die kunstvollen Arabesken und feinlinigen Ornamente sind durchwirkt mit Markenzeichen aus der Konsumwelt: mit den Logos von Vodafone oder Mercedes, von Toyota, Aldi oder auch dem Arbeitsamt.

Behaglich also ist das alles nicht, und überhaupt: Gleich im ersten Raum fährt Annette Schröter schweres Geschütz auf. "Waffen" heißt das Motto in dem Kabinett. Auf den ersten Blick fühlt man sich in ein Märchen aus 1001 Nacht entführt: eine orientalische Frau steht da überlebensgroß, umrankt von einem dekorativen Gitterwerk aus Tier- und Blumenmustern. Doch die verschleierte Schöne trägt einen Sprengstoffgürtel um die Hüften und einen Revolver in der Hand: eine Terroristin im Tschador.

Das ist meist der Trick bei Annette Schröters Papierschnitten: die Idylle trügt. Auf einem Werk gleich gegenüber lässt sie ein Geschwader von Jagdfliegern über eine Rosenhecke düsen – auch Rosen, so die doppelbödige Botschaft, haben Waffen, ihre Dornen nämlich. Und daneben hängt, weichgezeichnet durch eine Milchglasscheibe, die Silhouette eines uniformierten Militärs hinter dornigen Ranken, die ebenso gut ein Gespinst von Rosenzweigen sein könnten wie ein Verhau aus Stacheldraht.

Wochen, manchmal Monate dauert die Arbeit an den empfindlichen Großformaten. Die Zeichnung ist die Kunst, der Rest ist reines Handwerk. Doch das Schneiden ist anstrengend für Augen und Hände, mehr als zwei, drei Stunden pro Tag hält man das nicht aus. Aber, sagt die Künstlerin:

"Ich habe in meinem ersten Leben den Beruf einer Porzellanmalerin gelernt in Meißen – ich komme aus Meißen –, und von dieser Seite kommt sicherlich erstmal die Geduld, und auch die Vorliebe fürs Dekor im wahrsten Sinne des Wortes. Sicherlich hat das da seinen Ursprung."

"Blick ins Land" heißt eine Arbeit aus dem letzten Jahr. Zwei alte Frauen in spitzengeklöppelter Tracht blicken mit dem Rücken zum Betrachter in die Gegend, und es ist klar, wer dieses Land beherrscht: Logos wie die von Deutscher Bank, Lufthansa, VW oder McDonalds fügen sich zu einem Muster, das Land und Himmel nahtlos überzieht. 1985 hatte die Künstlerin mit einem Ausreiseantrag die DDR verlassen, vor elf Jahren kehrte sie zurück in ihre veränderte Heimat, und mit geschärftem Blick zieht sie Bilanz, wägt das Alte gegen das Neue, Gut gegen Böse, Schwarz gegen Weiß.

"Ich komme von der Farbe her, von der starken Farbe her, das war für mich aber auch total spannend: Was passiert, wenn ich mich nur auf schwarz und weiß reduzieren muss."

Da hat sie beispielsweise experimentiert mit farbig fluoreszierenden Rückseiten der Papiere, die raffinierte Reflexe auf der weißen Wand erzeugen. Und in den Grund gemusterter Tapetenreste hat sie ein riesiges%ezeichen geschnitten und einen Wandbehang daraus gemacht – absichtsvoll forcierter Kitsch. Rabattschlachten, der Ausverkauf der Zeichen, das sind die Ikonen unserer Zeit. In Leipzig, wo die Künstlerin lebt und an der Kunsthochschule lehrt, fielen ihr die Graffiti und illegal gesprühten "tags" an Mauern und Hausfassaden auf, auch die hat sie in wandfüllenden Papierschnitten verarbeitet, ebenso wie Relikte des untergegangenen Arbeiter- und Bauern-Staats.

Es ist diese irritierende Konfrontation von scheinbar altertümlicher Scherenschnitt-Technik und aktuellen Bezügen, die Mischung aus handwerklicher Folklore und schneidigen Kommentaren, die den Reiz von Annette Schröters Arbeiten ausmacht. Ein faszinierendes Werk, scheinbar von gestern, aber messerscharf auf der Höhe der Zeit.

Information: Die Ausstellung Mit dem Messer gezeichnet ist bis zum 23. November 2008 im Museum der bildenden Künste in Leipzig zu sehen.