Fiktive Vollbeschäftigung

Rezensiert von Jörg Magenau |
Vollbeschäftigung ist der große Traum aller Politiker. Magnus Mills entwirft in "Ganze Arbeit" einen zwar ökonomisch unsinnigen, aber sehr lustige Plan, um alle zu beschäftigen. Die Arbeiter von PLAN fahren eigentlich die ganze Zeit nur Ersatzteile für ihre eigenen Lkw von einem Lager zum anderen. Mills Satire auf eine Gesellschaft, in der Arbeit immer mehr zur sinnfreien Beschäftigung wird, bietet zwar keine wirkliche Lösung für Massenarbeitslosigkeit, ist aber äußerst amüsante Lektüre.
Die DDR rühmte sich gern der Tatsache, dass es in der sozialistischen Volkswirtschaft keine Arbeitslosigkeit gebe. Vollbeschäftigung, so wusste man dort, bedeutet keineswegs, dass alle voll beschäftigt sein müssen. Es ist allemal besser, für wenig Arbeit anständig bezahlt zu werden, als keine zu haben. Das ist die zentrale Einsicht, aus der Magnus Mills seinen Roman "Ganze Arbeit" konstruiert. Er überträgt das sozialistische Vollbeschäftigungsmodell heimtückischer Weise in den britischen Kapitalismus. Was wäre, wenn.

Mills‘ "PLAN" für Vollbeschäftigung ist denkbar einfach. Der PLAN ist ein riesiges, das ganze Land umspannende Transportunternehmen. Dessen Fahrzeuge, so genannte UniVans, transportieren allerlei Kisten von Depot zu Depot des Unternehmens. In diesen Kisten befinden sich Ersatzteile für die UniVans, die also gewissermaßen sich selbst in ewigem Kreislauf befördern. Dafür sind Beifahrer, Lagerarbeiter, Reinigungskräfte, Aufseher, Mechaniker, Manager, Lehrlinge und Torwächter erforderlich. Eine fein gestufte Hierarchie hat sich etabliert, um die minutengenaue Einhaltung der Arbeitsabläufe zu kontrollieren.

Der einzige Sinn des PLANs besteht darin, möglichst viel Zeit zu verbrauchen. Denn an Zeit besteht ein gesellschaftlicher Überfluss, der irgendwie vernichtet werden muss, wenn das große Ziel erreicht werden soll. "The Scheme for Full Employment" lautete der sehr viel passendere Titel der englischen Originalausgabe von 2003.

Die UniVans dominieren den Verkehr im Land. Obwohl sie langsam und schwerfällig sind, haben sie Fans, die am Straßenrand stehen, um Auto- und Modellnummern zu notieren. Das mag damit zusammenhängen, dass die UniVans für eine gute Sache unterwegs sind: Vollbeschäftigung. Vielleicht erscheint es aber auch nur den Fahrern aus ihrer eingeschränkten Perspektive hinter der Windschutzscheibe so.

Wenn die übrige Bevölkerung auf diese Arbeitsplatz-Elite neidisch blicken würde, wäre das kein Wunder. Wer im PLAN beschäftigt ist, muss sich nur noch darum Sorgen machen, wie er die Stunden bis zum Feierabend rumkriegt. Dafür gibt es ein ordentliches Grundgehalt plus Lebenshaltungskostenausgleich, Anwesenheitszuschlag, Produktivitätsbonus und Erstattung der Trockenreinigung.

Dennoch rumort es in der Belegschaft. Anhänger eines vorgezogenen Feierabends stehen den Verfechtern eines strengen Acht-Stunden-Tages gegenüber, die dieses Prinzip verteidigen, weil sie ahnen, dass sonst alles zusammenbrechen würde. Es kommt zu einem Streik und zu einer Schlichtung, nach der alles beim Alten bleibt: Ab und zu ein vorgezogener Feierabend ist erlaubt.

Man kann "Ganze Arbeit" als ironische Parabel auf eine Arbeitsgesellschaft und ihre Rituale lesen, in der aus Arbeit Beschäftigung geworden ist und deren Funktion allein darin besteht, sich selbst am Laufen zu halten. Im Mittelpunkt des Romans steht ein Ich-Erzähler, der schon fünf Jahre dabei ist und täglich dieselben Touren fährt. Sein Beifahrer, der eigentlich überhaupt nichts zu tun hat, liefert nebenbei für eine Bäckerei Kuchen aus. Dieses illegale Nebengeschäft und dessen Vertuschung gerät mehr und mehr zur Hauptaufgabe und ist streng genommen der einzige volkswirtschaftliche Nutzen, den der "Plan" abwirft.

Mills verlässt seinen Helden keine Sekunde, obwohl er nicht viel erlebt. Ein Skatspiel hier, ein Tee dort, ein Problem bei der Auslieferung eines Hubwagens - um mehr geht es nicht. Was die Arbeiter außerhalb ihrer Arbeitszeit tun, erfährt man nicht. Die Perspektive ist die eines geschlossenen Systems, das kein Außerhalb kennt, denn dieses Perpetuum Mobile einer in sich selbst zirkulierenden Ökonomie spiegelt sich im Bewusstsein der Angestellten.

Magnus Mills, 1954 geboren, hat als Zaunbauer im Norden Englands gearbeitet, dann als Busfahrer und als Paketzusteller in London, wo er auch heute lebt. Die Absurdität der Arbeitswelt behandelte er bereits in seinem Debütroman "Herr der Zäune", der 2000 erschien. Er schreibt eine Literatur der Arbeitswelt, der alle heroisch-proletarischen Züge fehlen. Eher fühlten sich einige Rezensenten bei diesen Systementwürfen, die den Einzelnen zu einem Rädchen degradieren, an Kafka erinnert - oder an die Sinnlosigkeitstableaus in den Dramen von Samuel Beckett.

"Ganze Arbeit" wirkt neben solchen Vorbildern allerdings eher harmlos. Ein literarisches Spiel mit trockenem Witz, das aber daran krankt, dass es ökonomisch nicht aufgehen kann. Denn das Geld, das der PLAN kostet, muss ja schließlich auch irgendwoher kommen. So fehlt der Parabel die Plausibilität und damit der Idee ein fester Boden unter den Füßen. Vergnüglich zu lesen ist "Ganze Arbeit" aber durchaus.
Jörg Magenau

Magnus Mills: Ganze Arbeit
Roman. Aus dem Englischen von Katharina Böhmer.
Suhrkamp, Frankfurt/Main 2006,
188 Seiten, 17,80 Euro