Fielitz und Marcks: "Digitaler Faschismus"

Mythen und Techniken rechter Propaganda

04:25 Minuten
Cover des Sachbuchs "Digitaler Faschismus" von Maik Fielitz und Holger Marcks
Die Autoren Maik Fielitz und Holger Marcks zeigen auf, wie in den sozialen Medien Nachrichten gezielt zur Stimmungsmache lanciert werden. © Dudenverlag / Deutschlandradio
Von Vera Linß · 04.11.2020
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Soziale Medien sind die offene Flanke der Demokratie, warnen die Terrorismusforscher Holger Marcks und Maik Fielitz. In ihrem Buch zeigen sie, warum Rechtsextreme im Internet so erfolgreich ihre Botschaften verbreiten können und was man dagegen tun muss.
Rechtsextremismus sei die "größte Bedrohung in unserem Land", erklärte Bundesinnenminister Horst Seehofer zu Beginn dieses Jahres. Und die Fakten sprechen für sich: Der Anschlag auf eine Synagoge in Halle, die Morde in Hanau, Rechte, die sich in Corona-Demonstrationen mischen. Viele der Täter und Mitläufer radikalisieren sich in den sozialen Medien.
Doch wie genau läuft das ab? Das offenzulegen, sei essenziell für die Rettung der Demokratie, schreiben die Terrorismusforscher Maik Fielitz und Holger Marcks. Denn damit ließen sich die Erfolge des gegenwärtigen Rechtsextremismus verstehen und Gegenmaßnahmen einleiten.

Techniken der Radikalisierung

Und so stellen sie drei Techniken vor, mit denen die Rechten im Netz ihre Anhänger mobilisieren. Bei der "dramatischen Erzählung" etwa werden einzelne Ereignisse mit politischen Symbolen und Metaphern verknüpft. Wie nach der Kölner Silvesternacht 2015, in der Hunderte Frauen von Migranten und Flüchtlingen sexuell belästigt wurden. Damals sei es den Rechten durch ständige Wiederholung gelungen, die Vorfälle als Scheitern des interkulturellen Zusammenlebens generell zu inszenieren.
Eine andere Technik ist das "Gaslighting", das Verbreiten von Behauptungen, mit dem die Glaubwürdigkeit politischer Gegner derart untergraben wird, dass die eigene Sichtweise alternativlos erscheint. Typisch dafür ist die Aussage eines AfD-Wählers in der "Zeit", der zwar noch keine negativen Erfahrungen mit Asylbewerbern gemacht hatte, aber dennoch erklärt, "man höre ja viel". Die Folge: Argumentationen wirken selbst dann plausibel, wenn sie jeglicher Realität entbehren.
Ebenso wirkungsvoll: die "metrische Manipulation". Hier entstehe der Eindruck, eine Position hätte viele Anhänger. In Wirklichkeit aber stammen 50 Prozent der Likes für Hasskommentare auf ausgewählten Facebook-Seiten von gerade mal fünf Prozent der Nutzerinnen und Nutzer, zitieren die Forscher das Londoner "Institute for Strategic Dialogue".

Rechte sind Gatekeeper

Ob die Kampagne "für den Schutz deutscher Frauen" der Identitären Bewegung oder Pegida mit der Konstruktion einer nationalen Bedrohung – an zahlreichen Beispielen zeigen Maik Fielitz und Holger Marcks, wie mithilfe der "affektfördernden Technologie der sozialen Medien" Nachrichten gezielt zur Stimmungsmache lanciert werden.
Das Ergebnis ihrer Recherche ist so besorgniserregend, dass die Forscher die Rechten als "die neuen Gatekeeper" bezeichnen. So kursierten etwa in den Wochen nach der Kölner Silvesternacht fünf Mal mehr muslimfeindliche Posts als üblich. Gravierender noch: Rechte Sprache und Sprachbilder seien inzwischen Bestandteil des öffentlichen Diskurses. Plötzlich sei etwa viel von "Nafris" die Rede gewesen – eine Polizeibezeichnung für Nordafrikaner.

Neuordnung der sozialen Medien

Deshalb fordern die beiden Wissenschaftler eine "Neuordnung der sozialen Medien" und machen konkrete Vorschläge, was sich am technischen Design der Plattformen ändern muss. Die Anzahl von Postings etwa könne begrenzt werden, um demokratiefeindliche Einflussnahme zu erschweren. Würde man Like- und Rating-Instrumente entfernen, könne dies der metrischen Manipulation entgegenwirken. Noch zögert die Politik, solche Maßnahmen zu beschließen. Dass sie notwendig sind, daran lässt die herausragende Analyse von Maik Fielitz und Holger Marcks aber nicht den geringsten Zweifel.

Maik Fielitz und Holger Marcks: "Digitaler Faschismus. Die sozialen Medien als Motor des Rechtsextremismus"
Dudenverlag, Berlin 2020
240 Seiten, 16 Euro

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