Fidelio ohne Fantasie

Von Rainer Zerbst |
Mit „Fidelio“ sind die elften Pfingstfestspiele in Baden-Baden eröffnet worden. Der Filmemacher Chris Kraus versucht sich bei der Inszenierung zum ersten Mal als Opernregisseur – und scheitert: Doch die Musik entschädigt den Zuhörer für die unoriginelle Bühnenschau.
Was in den meisten Inszenierungen behäbig auf die Bühne kommt, kippt bei Chris Kraus ins bedrohlich Düstere um. Während sonst Marzelline, die Tochter des Kerkermeisters Rocco, unbekümmert ihre Liebe zu Fidelio bekennt, die Avancen von Jaquino abweist und dabei biedermeierliche Bürgerlichkeit demonstriert, beherrscht in dieser Inszenierung eine Guillotine die Bühne, von Marzelline für den nächsten Einsatz sorgfältig geputzt.

Das ist ein Hinweis darauf, was es heißt, im Schatten von Freiheitsentzug und drohendem Tod normales Leben zu führen. Und am Ende fährt noch einmal die Guillotine auf, diesmal, um mit dem Fallbeil Bösewicht Pizarro der gerechten Strafe zuzuführen. Aber dazwischen ist Kraus kaum mehr eingefallen als die üblichen theatralischen Gesten wie Hutwerfen angesichts des Happy Ends oder düstere Mauern als Verweis auf die Gefängnisrealität. Vor allem aber gelingt es ihm nicht, dramatische Spannung zu erzeugen.

Die Sänger absolvieren ihre Parts meist eher, als ständen sie auf dem Oratorienpodium. Zudem war die gesangliche Leistung keineswegs durchweg festspielreif, mit Ausnahme von Anja Kampe, die klangschön und hochdramatisch zugleich die Rettung ihres Mannes verfolgt. Sensationell allerdings war, was Claudio Abbado dem Mahler Chamber Orchestra an Zwischentönen, bedrohlicher Klangatmosphäre und orchestraler Spannung entlockte. So differenziert erlebt man die Partitur selten, und Abbado realisiert auch Beethovens feine menschliche Charakterisierung, wenn er zwischen dem rettenden Signal des Ministers und dem Duett Leonore und Florestan kaum eine Sekunde vergehen lässt. Hier fällt von den Figuren alle Gefahrenspannung ab und entlädt sich in fast haltlosem Jubel.

„Fidelio“ erweist sich in dieser Aufführung vor allem als Orchester- und Dirigentenoper.

„Fidelio“
Inszenierung: Chris Kraus
Dirigent: Claudio Abbado
Festspielhaus Baden-Baden