Fiaskos und Katastrophen
Von A wie Arbeit bis Z wie Zivilisation reicht Slawomir Mrozeks ABC. Und wie sich der Meister der absurden Zuspitzung da durch das Leben buchstabiert, entsteht die sehr spezielle Mrozek-Welt. Es gibt diese Welt wohl nicht wirklich, denn sie schließt zum Beispiel das Jenseits ein. Oder gibt/gab es diese Welt doch?
Das Leben, betrachtet aus der Perspektive eines Fortgeschrittenen, erlaubt nicht selten überraschende Einsichten. Etwa die, dass die Logik bisweilen ein zweifelhaftes Element ist, um die Welt zu interpretieren. "Eine einzige dumme Maus ist stärker als die ganze Logik, und die Logik verursacht Schlaflosigkeit," resümiert ein übermüdeter Ich-Erzähler, nachdem er sich eine Nacht lang gemartert hat.
Da wird er – fast schon eingeschlafen – durch das Poltern eines geworfenen Schuhs im Nachbarzimmer seines Hotels hellwach und ist sich sicher, dass er erst wird schlafen können, wenn auch der zweite Schuh zu Boden gefallen ist. Erleichtert vernimmt er das erwartete zweite Poltern und schläft ein. Um bald darauf durch ein drittes Poltern aus dem Schlaf gerissen zu werden, dem allerdings kein viertes folgt.
Die Logik wird dem Schlafwilligen zum Verhängnis: Wie kann das sein? Hat der Nachbar drei Beine? Oder bewohnen zwei Personen das Nachbarzimmer, und einer fehlt ein Bein? Die Wahrheit enthüllt sich am nächsten Morgen, als jener Nachbar erklärt, er habe Mäuse gehört und darum einen Schuh nach ihnen ge-worfen.
Von A wie Arbeit bis Z wie Zivilisation reicht Slawomir Mrozeks "überflüssiges ABC", und wie sich der Meister der absurden Zuspitzung da durch das Leben buchstabiert, entsteht die sehr spezielle Mrozek-Welt. Es gibt diese Welt wohl nicht wirklich, denn sie schließt zum Beispiel das Jenseits ein. Oder gibt/gab es diese Welt doch? Die himmlischen Gefilde jedenfalls gleichen bei Mrozek auffal-lend jenem missratenen, bürokratisierten und Angst verbreitenden Staatssozialismus, der eine paradiesisch anmutende Utopie zu seinem Gründungsmythos erklärt hatte. Da flieht man vor der "Erlösung" lieber in die Hölle …
Und die sehr "polnischen Zustände", sollten die wirklich so (gewesen) sein? Hat man je von einem Parkwächter gehört, der einen Schwan bewachen sollte und das Tier allmählich derart an den Alkohol gewöhnte, dass am Ende beide – Schwan und Wächter – wegen fortgesetzter Trunkenheit entlassen werden mussten?
Oder: Ist es vorstellbar, das sich die Stadtverwalter ungeniert aus dem Fonds für ein Denkmal zu Ehren des Nationaldichters Adam Mickiewicz bedienten und dann bestürzt feststellten, dass zur Eröffnung allenfalls noch der Sockel errich-tet werden kann? Und dass sie – beseelt von unerschöpflichem Improvisationstalent – einen Rentner engagierten, der für die angereiste Obrigkeit zur Eröff-nung als Mickiewicz auf dem Sockel posierte?
Die Mrozek-Welt ist ein überdrehter Kosmos, in dem Banales und Alltägliches – eine Redensart etwa wie "die Verantwortung übernehmen" oder "alles muss seine Ordnung haben" – auf groteske Weise in Situationen verwandelt und durchgespielt wird. Das Ergebnis ist eigentlich immer ein Fiasko, manchmal sogar eine Katastrophe. Bei der man sich allerdings fast nie ein Lachen verkneifen kann. Denn Mrozeks Katastrophen zielen immer auf eines: jenen augenzwinkernden Skeptizismus vorzuführen, der sich weigert, die Welt – und das Leben – als eine Ansammlung fester Erkenntnisse und starrer Regeln anzuerkennen.
Rezensiert von Gregor Ziolkowski
Slawomir Mrozek: Das Leben für Fortgeschrittene. Ein überflüssiges ABC
Hrsg. von Daniel Keel und Daniel Kampa
Diogenes Verlag, Zürich 2006
230 Seiten, 12,90 Euro
Da wird er – fast schon eingeschlafen – durch das Poltern eines geworfenen Schuhs im Nachbarzimmer seines Hotels hellwach und ist sich sicher, dass er erst wird schlafen können, wenn auch der zweite Schuh zu Boden gefallen ist. Erleichtert vernimmt er das erwartete zweite Poltern und schläft ein. Um bald darauf durch ein drittes Poltern aus dem Schlaf gerissen zu werden, dem allerdings kein viertes folgt.
Die Logik wird dem Schlafwilligen zum Verhängnis: Wie kann das sein? Hat der Nachbar drei Beine? Oder bewohnen zwei Personen das Nachbarzimmer, und einer fehlt ein Bein? Die Wahrheit enthüllt sich am nächsten Morgen, als jener Nachbar erklärt, er habe Mäuse gehört und darum einen Schuh nach ihnen ge-worfen.
Von A wie Arbeit bis Z wie Zivilisation reicht Slawomir Mrozeks "überflüssiges ABC", und wie sich der Meister der absurden Zuspitzung da durch das Leben buchstabiert, entsteht die sehr spezielle Mrozek-Welt. Es gibt diese Welt wohl nicht wirklich, denn sie schließt zum Beispiel das Jenseits ein. Oder gibt/gab es diese Welt doch? Die himmlischen Gefilde jedenfalls gleichen bei Mrozek auffal-lend jenem missratenen, bürokratisierten und Angst verbreitenden Staatssozialismus, der eine paradiesisch anmutende Utopie zu seinem Gründungsmythos erklärt hatte. Da flieht man vor der "Erlösung" lieber in die Hölle …
Und die sehr "polnischen Zustände", sollten die wirklich so (gewesen) sein? Hat man je von einem Parkwächter gehört, der einen Schwan bewachen sollte und das Tier allmählich derart an den Alkohol gewöhnte, dass am Ende beide – Schwan und Wächter – wegen fortgesetzter Trunkenheit entlassen werden mussten?
Oder: Ist es vorstellbar, das sich die Stadtverwalter ungeniert aus dem Fonds für ein Denkmal zu Ehren des Nationaldichters Adam Mickiewicz bedienten und dann bestürzt feststellten, dass zur Eröffnung allenfalls noch der Sockel errich-tet werden kann? Und dass sie – beseelt von unerschöpflichem Improvisationstalent – einen Rentner engagierten, der für die angereiste Obrigkeit zur Eröff-nung als Mickiewicz auf dem Sockel posierte?
Die Mrozek-Welt ist ein überdrehter Kosmos, in dem Banales und Alltägliches – eine Redensart etwa wie "die Verantwortung übernehmen" oder "alles muss seine Ordnung haben" – auf groteske Weise in Situationen verwandelt und durchgespielt wird. Das Ergebnis ist eigentlich immer ein Fiasko, manchmal sogar eine Katastrophe. Bei der man sich allerdings fast nie ein Lachen verkneifen kann. Denn Mrozeks Katastrophen zielen immer auf eines: jenen augenzwinkernden Skeptizismus vorzuführen, der sich weigert, die Welt – und das Leben – als eine Ansammlung fester Erkenntnisse und starrer Regeln anzuerkennen.
Rezensiert von Gregor Ziolkowski
Slawomir Mrozek: Das Leben für Fortgeschrittene. Ein überflüssiges ABC
Hrsg. von Daniel Keel und Daniel Kampa
Diogenes Verlag, Zürich 2006
230 Seiten, 12,90 Euro