Feuilleton im Fernsehen
Zwischen den „Heute“-Nachrichten und der „Tagesschau“ präsentiert das 3sat-Magazin „Kulturzeit“ das Neuste aus Kunst und Kultur. Das, was als Experiment begann, entwickelte sich zum Orientierungspunkt für Kultursendungen. Mittlerweile mit zahlreichen Preisen für ihre Pionierarbeit belohnt, feiert „Kulturzeit“ am 2. Oktober ihren zehnten Geburtstag.
Was soll das denn? Der Moderator schaut von oben durch eine gläserne Tischplatte. Er kaut. Die Kamera filmt ihn von unten – ab und zu lässt er Erdnussschalen auf die Tischplatte fallen. Gerd Scobel isst und spricht von Peanuts – der Frankfurter Oper und davon, wie man sie retten könnte.
" Ihre Frau geht gern in die Oper – eigentlich ist ihnen das egal – ... Also wenn schon Schulden – dann mit Kultur – das bringt ne ganze Menge Image – warum nicht eine Oper kaufen – ohne Sponsoren kein Vorhang – die Peanuts machen's …“
Peanuts – das Unwort des Jahres 1995. Thema gleich in der ersten Sendung. Das nahende Ende der Frankfurter Oper inszeniert als ein Schauermärchen und ins Verhältnis gesetzt zum Banken-Skandal, bei dem größere Geldsummen einfach als Peanuts abgetan wurden.
Auch wenn Gerd Scobels Moderation viel zu lang war – und die Szene mit dem Glastisch in der Rückschau etwas zu gewollt wirkt – die erste Sendung von Kulturzeit machte schon deutlich, mit welchen Qualitäten das neue Format auf unsere Bildschirme und auf unsere Sinne zielte: Locker und wie beiläufig will „Kulturzeit“ Kultur vermitteln – nicht nur um sie zu zeigen, sich an ihr begeistern, sondern mit dem Bedürfnis sich einzumischen.
Der Kulturbegriff dabei immer weit gefasst.
„Kultur und Zeit im umfassenden Sinn: Was ist – was wird – was war?“
Scobel: „Zum Beispiel haben die Gehirnwissenschaften – obwohl kein klassisches Kulturthema damit zu tun! Warum? Sie betreffen unser Selbstverständnis und damit die Art und Weise, wie wir mit uns selber, wie wir mit anderen umgehen. Politik hat damit zu tun – warum? Weil sie ganz primär eingreift in die Art und Weise, wie wir uns verhalten, wie wir miteinander umgehen. Natürlich haben auch klassische Themen, wie sagen wir, Oper damit zu tun, denn auch die geben mir ja ein Bild über meine Gefühle, über mein Selbstverständnis, über Verhaltensweisen, die es früher gab, die es heute gibt,– über Liebesformen und so weiter.“
Der studierte Theologe und Philosoph Gerd Scobel, der die erste Sendung moderierte, ist einer von vier „Kulturzeit“-Moderatoren. Zwei Männer – zwei Frauen. Zwei kommen aus Deutschland, einer aus Österreich, und eine aus der Schweiz.
„Von jetzt ab täglich Montag bis Freitag – 40 Minuten – zwischen HEUTE und der Tagesschau werden wir versuchen, unsere Zeit in Bild und Gedanken erfassen.“
Als „Kulturzeit“ vor zehn Jahren erstmals auf Sendung ging, waren die Zweifel der Kollegen groß: fünfmal wöchentlich jeweils 40 Minuten Kultur – wie soll so etwas gehen? Woher all die Themen nehmen? „Viel zu teuer“ hieß es – und dann dieser Anspruch:
„Berichte, Gespräche, Reportagen – wir haben die aktuellen Kulturthemen für Sie – Alltagskultur ebenso wie Hochglanz, Highlights und das aus drei Ländern.
Bei uns finden Sie Stars und Menschen – genau so gut aber auch Avantgarde und Nachrichten, Tipps, Kulturpolitik, vor allem auch die Hintergründe, wie in unserem nächsten Film …“
Scobel: „Und wenn man das heute hört, denkt man – naja, hamse irgendwie erreicht – damals klang das geradezu blasphemisch und lächerlich. Wir wollten das Analogon zu einem Print-Feuilleton, der Presse werden. "
Feuilleton im Fernsehen – das allein scheint schon schwer genug. „Kulturzeit“ ist noch dazu ein Gemeinschaftsprodukt von vier Sendern, mit 25 Redakteuren aus drei Ländern, dazu vielen freien Mitarbeitern und dem täglichen Bürowahnsinn: (Welches Thema wird von wem unterstützt? Wer darf in welches Büro? Wann hat welcher Sender vorrangig das Sagen? ) Darf ein ZDF-Mitarbeiter ein ARD-Formular unterschreiben? Nach zehn Jahren läuft alles routinierter, statt Konkurrenz ist Teamgeist angesagt. Inzwischen ist „Kulturzeit“ 2300 Sendungen älter und hat die großen einschneidenden Ereignisse unserer Zeitgeschichte erklärend begleitet.
Die Kriege im ehemaligen Jugoslawien, genauso wie Ruanda, Afghanistan, Irak und den 11. September.
Tina Mendelsohn: " Was für ein Datum – der 11.9: 9/11, Adornos Geburtstag – der Putsch in Chile – wir sind seit dem 11. September nicht mehr die gleichen. Gleich werden wir mit Alexander Kluge reden …“
„Kulturzeit“ serviert mal Currywurst mit Stoffserviette – mal Hummer am Stehtisch. Das heißt: wenn in Salzburg eine eher gewöhnungsbedürftige Mozart-Skulptur des Künstlers Markus Lüpertz enthüllt wird – eine fragmentarische Frau, mit nur einem Arm – dann kommen, nach einem Bericht über den Meister und seine künstlerischen Ambitionen, auch die einfachen Salzburger zu Wort.
Scobel: „Ich verspreche Ihnen, alles was man als Normalbetrachter denkt, wird am Ende gesagt. Versprochen.“
Meinungen: „Skandal, wenn man die Leichtigkeit von Mozarts Musik nimmt und dann diese Oberschenkel... der gehört zum Naschmarkt – zum Lynchen.“
„Kulturzeit“ erklärt Literatur nicht über die Befindlichkeit des Kritikers, das Magazin vergab den Kultur-Tüv für die Kulturhauptstädte und vermittelt die Sinnlichkeit von Kunst. Vielleicht nicht immer kritisch genug, manchmal zu ehrfürchtig gefragt, vielleicht manchmal zu sehr auf die Bilder vertrauend. Dennoch informativ und unterhaltsam:
" Wenn ich Kultur höre aus dem Mund des Bundespräsidenten, dann denk ich an ewige Salzburger Festspiele.
Die Kultur muss bluten war der Schlachtruf der Stunde/ Ein mediengeiler Autor bringt ein gschissenes Stück auf die Bühne.
Iich find das Skandal ersten Ranges/ Das ist natürlich ein Witz.
Sinnloses Spektakel
Kultur hat nicht unbedingt damit zu tun, dass man Luis Vitton und Hermes-Taschen durch die Gegend trägt.
Die Menschen hörten es gern, aber sie verstanden es nicht.
Es gibt heute Schulabgänger die haben keine Ahnung von Bildender Kunst, von Literatur.
Der Gedanke, dass Kunst aus der Not entsteht, ist meines Erachtens falsch.
Geist heißt, dass man sich auseinandersetzt mit Schiller z.B. und dass man das Feuilleton liest. Die Feuilletons mögen sehr verkopft sein, aber das ist eine Art und Weise des Nachdenkens über die Dinge. "
„Kulturzeit“ hat sich in zehn Jahren nicht wesentlich verändert: Es gibt den gleichen, länglichen Jingle, das selbe Studio, es gibt ein paar neue Moderatoren, weniger gestalterische Spielereien, weniger Themen – dafür mehr Hintergrund.
Scobel: „Manchmal denk ich heute mit so ‚nem kleinen Seitenblick auf andere Sendungen, vielleicht könnte man ab und an mal im Studio n bisschen mehr im Studio machen, wir sind sehr puristisch geworden.“
Morgen führt Gerd Scobel durch die Jubiläumssendung und diskutiert mit der österreichischen Sängerin Erika Pluhar, der Schauspielerin Jasmin Tabatabai, der Noch-Kulturstaatsministerin Christina Weiss und anderen darüber, wie politische und kulturelle Ereignisse ihr Denken und ihre Arbeit beeinflusst haben. Mit dabei ist dann auch Markus Lüpertz. Sein Credo:
„Das Schlimmste für einen Künstler, sagt M. Lüpertz, ist die Ignoranz.“
Ignoranz – das sollte auch für Fernsehsendungen das Schlimmste sein. „Kulturzeit“ muss sich hier keine Sorgen machen. Mit durchschnittlich 170.000 Zuschauern pro Sendung, einem Marktanteil von 0,5 bis 0,6 Prozent bleibt das Magazin zwar ein Minderheitenprogramm, aber eins für Liebhaber und Kulturbegeisterte. Und erfüllt so auch den öffentlich-rechtlichen Programmauftrag.
Das Feuilletongespräch zum Thema mit Rainer Schaper, einer der beiden Leiter der „Kulturzeit“, können Sie in der rechen Spalte als Audio hören.
" Ihre Frau geht gern in die Oper – eigentlich ist ihnen das egal – ... Also wenn schon Schulden – dann mit Kultur – das bringt ne ganze Menge Image – warum nicht eine Oper kaufen – ohne Sponsoren kein Vorhang – die Peanuts machen's …“
Peanuts – das Unwort des Jahres 1995. Thema gleich in der ersten Sendung. Das nahende Ende der Frankfurter Oper inszeniert als ein Schauermärchen und ins Verhältnis gesetzt zum Banken-Skandal, bei dem größere Geldsummen einfach als Peanuts abgetan wurden.
Auch wenn Gerd Scobels Moderation viel zu lang war – und die Szene mit dem Glastisch in der Rückschau etwas zu gewollt wirkt – die erste Sendung von Kulturzeit machte schon deutlich, mit welchen Qualitäten das neue Format auf unsere Bildschirme und auf unsere Sinne zielte: Locker und wie beiläufig will „Kulturzeit“ Kultur vermitteln – nicht nur um sie zu zeigen, sich an ihr begeistern, sondern mit dem Bedürfnis sich einzumischen.
Der Kulturbegriff dabei immer weit gefasst.
„Kultur und Zeit im umfassenden Sinn: Was ist – was wird – was war?“
Scobel: „Zum Beispiel haben die Gehirnwissenschaften – obwohl kein klassisches Kulturthema damit zu tun! Warum? Sie betreffen unser Selbstverständnis und damit die Art und Weise, wie wir mit uns selber, wie wir mit anderen umgehen. Politik hat damit zu tun – warum? Weil sie ganz primär eingreift in die Art und Weise, wie wir uns verhalten, wie wir miteinander umgehen. Natürlich haben auch klassische Themen, wie sagen wir, Oper damit zu tun, denn auch die geben mir ja ein Bild über meine Gefühle, über mein Selbstverständnis, über Verhaltensweisen, die es früher gab, die es heute gibt,– über Liebesformen und so weiter.“
Der studierte Theologe und Philosoph Gerd Scobel, der die erste Sendung moderierte, ist einer von vier „Kulturzeit“-Moderatoren. Zwei Männer – zwei Frauen. Zwei kommen aus Deutschland, einer aus Österreich, und eine aus der Schweiz.
„Von jetzt ab täglich Montag bis Freitag – 40 Minuten – zwischen HEUTE und der Tagesschau werden wir versuchen, unsere Zeit in Bild und Gedanken erfassen.“
Als „Kulturzeit“ vor zehn Jahren erstmals auf Sendung ging, waren die Zweifel der Kollegen groß: fünfmal wöchentlich jeweils 40 Minuten Kultur – wie soll so etwas gehen? Woher all die Themen nehmen? „Viel zu teuer“ hieß es – und dann dieser Anspruch:
„Berichte, Gespräche, Reportagen – wir haben die aktuellen Kulturthemen für Sie – Alltagskultur ebenso wie Hochglanz, Highlights und das aus drei Ländern.
Bei uns finden Sie Stars und Menschen – genau so gut aber auch Avantgarde und Nachrichten, Tipps, Kulturpolitik, vor allem auch die Hintergründe, wie in unserem nächsten Film …“
Scobel: „Und wenn man das heute hört, denkt man – naja, hamse irgendwie erreicht – damals klang das geradezu blasphemisch und lächerlich. Wir wollten das Analogon zu einem Print-Feuilleton, der Presse werden. "
Feuilleton im Fernsehen – das allein scheint schon schwer genug. „Kulturzeit“ ist noch dazu ein Gemeinschaftsprodukt von vier Sendern, mit 25 Redakteuren aus drei Ländern, dazu vielen freien Mitarbeitern und dem täglichen Bürowahnsinn: (Welches Thema wird von wem unterstützt? Wer darf in welches Büro? Wann hat welcher Sender vorrangig das Sagen? ) Darf ein ZDF-Mitarbeiter ein ARD-Formular unterschreiben? Nach zehn Jahren läuft alles routinierter, statt Konkurrenz ist Teamgeist angesagt. Inzwischen ist „Kulturzeit“ 2300 Sendungen älter und hat die großen einschneidenden Ereignisse unserer Zeitgeschichte erklärend begleitet.
Die Kriege im ehemaligen Jugoslawien, genauso wie Ruanda, Afghanistan, Irak und den 11. September.
Tina Mendelsohn: " Was für ein Datum – der 11.9: 9/11, Adornos Geburtstag – der Putsch in Chile – wir sind seit dem 11. September nicht mehr die gleichen. Gleich werden wir mit Alexander Kluge reden …“
„Kulturzeit“ serviert mal Currywurst mit Stoffserviette – mal Hummer am Stehtisch. Das heißt: wenn in Salzburg eine eher gewöhnungsbedürftige Mozart-Skulptur des Künstlers Markus Lüpertz enthüllt wird – eine fragmentarische Frau, mit nur einem Arm – dann kommen, nach einem Bericht über den Meister und seine künstlerischen Ambitionen, auch die einfachen Salzburger zu Wort.
Scobel: „Ich verspreche Ihnen, alles was man als Normalbetrachter denkt, wird am Ende gesagt. Versprochen.“
Meinungen: „Skandal, wenn man die Leichtigkeit von Mozarts Musik nimmt und dann diese Oberschenkel... der gehört zum Naschmarkt – zum Lynchen.“
„Kulturzeit“ erklärt Literatur nicht über die Befindlichkeit des Kritikers, das Magazin vergab den Kultur-Tüv für die Kulturhauptstädte und vermittelt die Sinnlichkeit von Kunst. Vielleicht nicht immer kritisch genug, manchmal zu ehrfürchtig gefragt, vielleicht manchmal zu sehr auf die Bilder vertrauend. Dennoch informativ und unterhaltsam:
" Wenn ich Kultur höre aus dem Mund des Bundespräsidenten, dann denk ich an ewige Salzburger Festspiele.
Die Kultur muss bluten war der Schlachtruf der Stunde/ Ein mediengeiler Autor bringt ein gschissenes Stück auf die Bühne.
Iich find das Skandal ersten Ranges/ Das ist natürlich ein Witz.
Sinnloses Spektakel
Kultur hat nicht unbedingt damit zu tun, dass man Luis Vitton und Hermes-Taschen durch die Gegend trägt.
Die Menschen hörten es gern, aber sie verstanden es nicht.
Es gibt heute Schulabgänger die haben keine Ahnung von Bildender Kunst, von Literatur.
Der Gedanke, dass Kunst aus der Not entsteht, ist meines Erachtens falsch.
Geist heißt, dass man sich auseinandersetzt mit Schiller z.B. und dass man das Feuilleton liest. Die Feuilletons mögen sehr verkopft sein, aber das ist eine Art und Weise des Nachdenkens über die Dinge. "
„Kulturzeit“ hat sich in zehn Jahren nicht wesentlich verändert: Es gibt den gleichen, länglichen Jingle, das selbe Studio, es gibt ein paar neue Moderatoren, weniger gestalterische Spielereien, weniger Themen – dafür mehr Hintergrund.
Scobel: „Manchmal denk ich heute mit so ‚nem kleinen Seitenblick auf andere Sendungen, vielleicht könnte man ab und an mal im Studio n bisschen mehr im Studio machen, wir sind sehr puristisch geworden.“
Morgen führt Gerd Scobel durch die Jubiläumssendung und diskutiert mit der österreichischen Sängerin Erika Pluhar, der Schauspielerin Jasmin Tabatabai, der Noch-Kulturstaatsministerin Christina Weiss und anderen darüber, wie politische und kulturelle Ereignisse ihr Denken und ihre Arbeit beeinflusst haben. Mit dabei ist dann auch Markus Lüpertz. Sein Credo:
„Das Schlimmste für einen Künstler, sagt M. Lüpertz, ist die Ignoranz.“
Ignoranz – das sollte auch für Fernsehsendungen das Schlimmste sein. „Kulturzeit“ muss sich hier keine Sorgen machen. Mit durchschnittlich 170.000 Zuschauern pro Sendung, einem Marktanteil von 0,5 bis 0,6 Prozent bleibt das Magazin zwar ein Minderheitenprogramm, aber eins für Liebhaber und Kulturbegeisterte. Und erfüllt so auch den öffentlich-rechtlichen Programmauftrag.
Das Feuilletongespräch zum Thema mit Rainer Schaper, einer der beiden Leiter der „Kulturzeit“, können Sie in der rechen Spalte als Audio hören.