Fetisch der Moderne

Von Jochen Stöckmann · 06.06.2011
"Containerarchitektur", das war seit jeher ein Schimpfwort. Heinrich Klotz, Gründungsdirektor des Deutschen Architekturmuseums, pflegte damit das "Desaster der Kisten und Kästen" zu bezeichnen, "die unsere Städte kaputtmachen". Jetzt aber wird "der" Container, also die standardisierte Stahlkiste für Überseetransporte, in Düsseldorf rehabilitiert.
Für seine reich bestückte Ausstellung hat Kurator Werner Lippert jede Menge rote, blaue, gelbe und grüne Kisten aufgefahren: Als bunte Vielfalt aus an sich gleichförmigen Grundmodulen, gespiegelt in einer silbern glänzenden Container-Skulptur im Zentrum der Architektur-Schau:

Werner Lippert: "Der Künstler Stefan Sous hat den Container verchromt und nennt ihn 'Versailles'. Das deckt sich mit dem, was die Theoretiker sagen, nämlich, dass der Container der Fetisch der Moderne ist. Der Container ist transportabel, nomadisch. Aber ich glaube, die meisten Container, wenn sie dann in ein Gebäude verwandelt werden, bleiben immer an derselben Stelle stehen."

Das macht weiter nichts, denn das NRW-Forum wollte mit seinem Projekt ja nicht den Containern Beine machen, sondern der Fantasie von Künstlern und vor allem Architekten. Das ist gelungen: Ein endlos langer Fotofries dokumentiert über 140 Einsendungen, vom einfach und robust konstruierten Notfall-Klinikum für Katastrophengebiete bis zur futuristischen Polarstation, vom schwimmenden Studentenheim in Belgien bis hin zum Luxusappartement hoch über Los Angeles. Das hört sich nach einer kunterbunten Aufreihung von Architekturanekdoten an. Aber wer sich intensiver beschäftigt mit dem "Container-Prinzip", wie zum Beispiel das holländische Büro MVRDV, der wird schnell dessen städtebauliche Brisanz erkennen:

Lippert: "MVRDV in Rotterdam haben einfach vorgeschlagen 3500 Container aus dem Verkehr zu ziehen und daraus eine richtige Stadt mit Studios, Geschäften, Wohnungen, Büros zu bauen. Das Projekt war so gigantisch, dass sich keiner ran gewagt hat, aber es zeigt, was man mit Containern alles machen könnte."

Wenn alle mit dem gleichen Grundmodul planen müssen, einem kantigen Baustein 2,59 Meter hoch, 2,40 Meter breit und je nach Ausführung 6 oder 12 Meter lang, dann wären Kombinationsgabe und Sachverstand gefordert. So, wie bei der Umgestaltung einer Industriebrache mit Gleisanlage: auf den Schienen lassen sich Wohncontainer nach Bedarf verschieben, aus leer stehenden Einzimmerappartements wird schnell ein Familienhaushalt. Und diese Häuser wären mehr als nur Notunterkünfte, wie Kurator Werner Lippert mit zwei Dutzend detailgetreuer Architekturmodelle im Maßstab 1:5 beweist:

Lippert: "Das kriegt jetzt noch vier Windräder aufgesetzt, ist energetisch absolut autark. Ein sehr schönes Wohnhaus für den typischen Single- oder Zweipersonenhaushalt, mit Innenhof, mit Patio. Wo man die Container als architektonische Elemente sieht, die Containerrippen."

Meist sind die typischen Stahlrippen an den Wänden der einzige Hinweis auf die Verwendung gebrauchter Container. Architekten wie der Berliner Gruppe "graft" schneiden die Stahlkisten auf, reihen sechs oder sieben dieser Würfel zu großzügigen Raumfluchten aneinander, klappen Segmente als Sonnendeck heraus, ersetzen komplette Stirnwände durch Panoramafenster. Zumindest in Gedanken ist ein Werkzeug immer dabei, der Stemmhammer oder die sogenannte Flex:

Lippert: "Die Flex schafft Fenster und Türen, Dachluken, Ausblicke und Einblicke. Man muss als Architekt mit viel Phantasie an einen Container rangehen - und ob das immer mit deutschen Baunormen zu vereinbaren ist, das bezweifele ich sehr. Deswegen stehen wahrscheinlich in Deutschland auch relativ wenige vernünftige Wohncontainer."

Ganz anders ist die Situation in den USA, da gelten Wohncontainer mittlerweile als Luxus, als Statussymbol:

Werner Lippert: "Die bestellt man, die werden acht Wochen später mit einem Lastwagen geliefert - und haben innen drin Edelstahlküchen, Mahagoni-Fußböden, Kamine, aufwendigste Lichtinstallationen. Da kann man sich schon vorstellen, dass man richtig drin lebt."

Aber Container-Architektur hat viele Seiten. Und so kann ein Düsseldorfer Künstler, ein sogenannter "Malerfürst" zumal, für sein großzügiges neues Atelier in der Nähe von Potsdam den rostigen Charme einstiger Notunterkünfte reklamieren:

Werner Lippert: "Markus Lüpertz hat ein Atelier aus umgebauten, ehemaligen Bürocontainern. Wenn man drinsteckt, muss ich sagen, merkt man wenig davon, weil er manchmal bis zu drei Stockwerke rausgenommen hat und weil er relativ große Gebäudeflächen hat. Er sagt aber selber, er finde das so toll, weil es etwas 'Asoziales' an sich hat, im Container zu wohnen."

Die Foto-Dokumentation rückt dann aber wieder alles ins normale, ungerechte Lot: Vor der angeblich so bescheidenen, "asozialen" Hütte nämlich hat der Meister seine Luxusschlitten aufgefahren, chromblitzend wie der "Versailles"-Container von Stefan Sous.