Festival in Johannesburg

Afrika sucht seine eigene Zukunft

Der nigerianische Musiker Keziah Jones beim Festival des Vleilles Charrues im Jahr 2012
Auch der nigerianische Musiker Keziah Jones war beim African Futures Festival dabei. © dpa/ picture-alliance/ Claude Prigent
Von Leonie March · 01.11.2015
Die Zukunft ist afrikanisch, davon sind die Macher des "African Future Festival" in Johannesburg, Nairobi und Lagos überzeugt. Künstler haben ihre Visionen und Utopien auf der Suche nach einer postkolonialen Sicht auf ihren Kontinent gezeigt.
"Wir kennen die Zukunft Afrikas nicht. Aber wir wissen, dass die Zukunft afrikanisch sein wird." Mit diesen Worten sprach der Ko-Kurator von "African Futures" Ntone Edjabe zum Abschluss des Festivals vielen aus dem Herzen. Edjabe war per Videokonferenz zugeschaltet; der große Konferenzsaal des Goethe-Instituts in Johannesburg auch am letzten Tag wieder brechend voll. Die Stimmung nachdenklich, optimistisch, kämpferisch:
"Das Schicksal unseres Planeten wird sich in diesem und den künftigen Jahrhunderten in Afrika entscheiden. Vieles, was der Welt noch bevorsteht, wird auf dem Kontinent bereits ausprobiert. Afrika ist mehr als je ein Labor der Zukunft."
Sagt Achille Mbembe. Der Kameruner Politikwissenschaftler gilt als einer der Vordenker des Postkolonialismus. Seine flammende Rede war eines der Highlights des Festivals. Mbembe beschreibt einen Kontinent im Umbruch, der sich von westlichen Strukturen und Denkweisen lösen will. Er erzählt von Protestbewegungen und gesellschaftlichen Gegenentwürfen. Von einer neuen Generation, die alles auf den Prüfstand stellt - von traditionellen Familienstrukturen über die kolonialen Grundrisse ihrer Städte bis zur kapitalistischen Wirtschaftsordnung:
"Die existieren Machtstrukturen müssen gestürzt werden. Daran führt kein Weg vorbei. Die Frage ist, wie. Wir brauchen neue Modelle, neue Lebensentwürfe, neue Formen der politischen Führung, der wirtschaftlichen Beziehungen und der Solidarität. Künstler und Kulturschaffende spielen eine wichtige Rolle, indem sie Visionen entwickeln und die Kräfte der Imagination wiederbeleben."
Moderne Technik gibt jungen Afrikanern eigene Stimme
Tatsächlich beschäftigen sich viele Künstler auf dem Kontinent und in der Diaspora momentan mit Zukunftsthemen, Visionen und Utopien. In Science-Fiction Filmen und Literatur. In futuristischer Musik. In afrogalaktischen Performances. In Comics und Malerei. Und in virtuellen Realitäten: 360 Grad Filme, die die Zuschauer mitten ins Geschehen katapultieren - in Protestmärsche, Flüchtlingscamps oder Traumsequenzen. Afrika und modernste Technologien sind längst kein Widerspruch mehr. Im Gegenteil, sie sind wichtige Werkzeuge für eine bessere Zukunft, betont Tegan Bristow, Dozentin für digitale Kunst an der Johannesburger Wits-Universität:
"Mobile und soziale Medien verstärken afrikanische Kulturen in gewisser Weise. Sozialer Zusammenhalt, Kommunikation und der Austausch von Wissen sind traditionell sehr wichtig. Soziale Medien können diese Tradition vertiefen und öffentlicher machen. Sie geben jungen Afrikanern erstmals eine eigene Stimme. Denn ihre Eltern hatten keine Möglichkeit, den Diskurs selbst zu bestimmen und ihre Ansichten mit der Welt zu teilen."
Zu lange wurde die Geschichte Afrikas von anderen bestimmt und erzählt. Auch das war Konsens bei dem Festival, betont Lien Heidenreich-Seleme vom Goethe Institut in Johannesburg:
"Das kann man wirklich ganz klar festmachen, dass die afrikanischen Intellektuellen und Künstler sagen, den westlichen Blick auf Afrika gibt es und der hilft uns aber nicht weiter. Wir wollen unsere eigenen Zukunftsvisionen entwickeln und verwirklichen."
Der erste Schritt zur Umsetzung beginnt laut Achille Mbembe im Kopf. Viele Afrikaner hätten die westliche Sicht verinnerlicht. Sie nehmen sich selbst als Teil der globalen Peripherie wahr. Die Migrationsbewegung nach Europa ist daher auch als eine Flucht ins Zentrum der Welt zu verstehen:
"Man verändert die existierenden Strukturen auch dadurch, dass man Afrika dazu bringt, sich nicht nur der Welt sondern auch sich selbst gegenüber zu öffnen. Afrika muss seine Stärke erkennen und sich selbst als Zentrum wahrnehmen; sowohl in seinem eigenen, als auch im Interesse der gesamten Menschheit."
"Radical sharing" - Geschichtenerzähler zum Ausleihen
Doch es müssen nicht immer große gesellschaftliche Bewegungen sein, die Afrika in eine bessere und eigenständigere Zukunft führen. Auch lokale Initiativen können große Kraft entfalten. Ein Beispiel ist das Multiplier-Projekt, zu dem sich mehrere Kulturaktivistinnen in Südafrika zusammengeschlossen haben, die innovative Ideen verfolgen. Zum Beispiel eine Bibliothek, in der man sich statt Büchern Menschen ausleiht, die Geschichten erzählen. Im Mittelpunkt steht das Konzept des "radical sharing" also des radikalen Teilens, erklärt die Künstlerin Thenjiwe Niki Nkosi:
"Meine Idee geht auf unterschiedliche Einflüsse zurück: Das Wissen, das mir meine Eltern vermittelt haben, afrikanische Traditionen und Überlebensstrategien. Das Konzept des Teilens ist uralt und futuristisch zugleich. Es geht darum, wie wir in Zukunft miteinander umgehen, nicht nur um zu überleben, sondern um zu wachsen und zu gedeihen. Früher ging es in meiner Arbeit mehr um die Konfrontation, beispielsweise mit Rassismus. Heute konzentriere mich darauf, wie ich mir die Welt vorstelle und was wir hier dazu beitragen könnten."
Zukunftsvisionen wie diese sind längst nicht nur auf Afrika begrenzt. Künstler sehen ihren Kontinent zunehmend in einem globalen Kontext. Nicht als Opfer, sondern als Ideengeber. Dieser Eindruck bleibt von dem viertägigen "African Futures Festival". Afrika hat nicht nur eine Zukunft, es wird sie auch maßgeblich mitgestalten. Um mit Ntone Edjabe zu sprechen: Die Zukunft ist afrikanisch.
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