Fertig mit dem Mittelmaß

09.08.2011
In "Die Dirigentin" nimmt Wolfgang Herles einen Politiker aufs Korn, der von seiner Kanzlerin aus dem Amt geschasst wurde. Bei einem Opernbesuch verliebt er sich in eine berühmte Musikerin. Geschickt verknüpft der Aspekte-Chef in seiner Satire Erotik und Macht. Ab September startet Herles im ZDF eine neue Literatursendung mit dem Titel "Das blaue Sofa".
Der Titel führt in die Irre. Genau genommen müsste der Roman "Die Dirigentin und der Minister a.D." heißen. Denn es geht nicht nur um eine Frau, die sich in einer der letzten Männerdomänen zu behaupten sucht. Es geht auch um einen Mann, der aus einer scheinbar konträren Sphäre kommt, in der mit anderen Mitteln als mit dem Taktstock dirigiert wird: ein Politiker, der soeben von seiner Kanzlerin aus dem Ministeramt geschasst wurde.

Jakob Stein, geschieden und im mittleren Alter, ist über Nacht arbeitslos geworden - bei besten Bezügen. Lobbyist, was nahe läge, will er nicht werden, überhaupt ist er fertig mit dem Geschäft des Mittelmaßes, wie er seine bisherige Tätigkeit nennt. Zutiefst gekränkt ob seines jähen Sturzes strebt er nun nach Höherem, nach den schönen Dingen des Lebens und sucht Erfüllung in der klassischen Musik.

Sein Erweckungserlebnis widerfährt ihm bei einem Opernbesuch in Salzburg. Es heißt Maria Bensson und ist ein kommender Star am Dirigentenhimmel. Bald schon verfolgt er sie wie besessen von Wien nach Paris bis an die Lindenoper in Berlin, wo Bensson in einer Neuinszenierung "Das Rheingold" probt. Stein malt sich ein Leben mit ihr aus; endlich hat er eine Perspektive.

Erzählt wird die Geschichte auf zwei Ebenen, einmal aus der Warte des früheren christlichen Spitzenpolitikers, der von glühendem Hass auf die Kanzlerin zerfressen, sein Heil in einer vermeintlich erwiderten Liebe sucht. Zum anderen aus der Perspektive Maria Benssons, die in Form von E-Mails an ihre Gefährtin, eine Bankerin in Zürich, in ihr Inneres blicken lässt. Darin gibt sie nicht nur Auskunft über ihre gemeinsam mit dem amtsmüden Orchesterchef gesponnene Intrige, diesen an der Lindenoper zu beerben, begleitet allerdings von heftigen Selbstzweifeln an ihrem künstlerischen Talent. Sie kommentiert auch genüsslich die Rolle " des seltsamen Aficionados" mit seinen für sie nützlichen Verbindungen in die hohe Politik.

Aus dieser Parallelschaltung bezieht der Roman seinen komischen Reiz. Denn so werden die Bemühungen Steins um die Gunst der Dirigentin als komplette Fehldeutungen des Geschehens entlarvt, ähnlich denjenigen, die ihm einst die Gnadensonne der Kanzlerin für immer und ewig zu versprechen schienen. Je mehr er sich, ohne den Hauch eines Zweifels, in seiner fixen Idee von der idealen Liaison verliert, desto ferner rückt das Ziel, bis aus dem "harmlosen Irren" am Ende ein Krimineller in seinem Wahn wird.
Das klingt nach der Karikatur eines Politikers, kräftig überzeichnet und albern verulkend. Doch wie der "Aspekte"-Chef Wolfgang Herles, der einst das Bonner Hauptstadtstudio leitete, die Sphären von Musikgeschäft und Politik miteinander verschränkt, von Liebe und Macht und Erotik der Macht, ist mehr als das. Wie es sich für eine ordentliche Satire gehört, reduziert er die Figuren auf wenige Eigenschaften - Stein vor allem auf die politikertypische Verblendung, der die Wirklichkeit abhanden kam. Das mag man für eine Simplifizierung halten. Anzutreffen ist sie allerorten, amüsant zu lesen allemal.

Besprochen von Edelgard Abenstein

Wolfgang Herles: Die Dirigentin
Fischer-Verlag, Frankfurt/Main 2011
239 Seiten, 18,95 Euro