Fernsehkritikerin: "Deutschland sucht den Superstar" hat den Preis verdient

Klaudia Wick im Gespräch mit Katrin Heise |
Die Fernsehkritikerin Klaudia Wick hat die Kritik von Marcel Reich-Ranicki an der Verleihung des Deutschen Fernsehpreises zurückgewiesen. Bei der Vergabe habe eine "honorige Jury" entschieden, die vorher 1200 Stunden Fernsehen angesehen hätten, sagte Wick.
Katrin Heise: Blödsinn habe er zu sehen bekommen an dem Abend der Preisverleihung, so wetterte Marcel Reich-Ranicki vor einer Woche gut. Empört lehnte er den Deutschen Fernsehpreis ab und gibt sich seitdem entsetzt, dass das deutsche Fernsehunterhaltung ist im Jahre 2008. Laut "Bild-Zeitung", die bei dem aufgezeichneten und heute Abend auszusendenden Gespräch zwischen Reich-Ranicki und Thomas Gottschalk wohl dabei war, spart der renommierte Literaturkritiker auch weiterhin nicht an harten Worten. Dreck und Unsinn soll er gesagt haben.

Ich begrüße jetzt Klaudia Wick. Sie ist freie Journalistin, als solche auch Fernsehkritikerin, sie ist Autorin und sie saß in der Jury des diesjährigen Deutschen Fernsehpreises. Schönen guten Morgen, Frau Wick.

Klaudia Wick: Guten Morgen.

Heise: Was sagen Sie zu Ranickis Kritik?

Wick: Ja, man muss ja eigentlich immer fragen, zu welchem Zeitpunkt. In der Gala, in der ich ja auch gesessen habe, hatte ich den Eindruck, es ginge ihm vor allem um die Gala und den Unsinn, den er da zu sehen gemeint hat. Dann hat er gesagt, das wäre das ganze Fernsehen. Jetzt sagt er, er ist das Unterhaltungsfernsehen. Es ist ganz schwierig, auf diesen Generalangriff zu antworten, weil man gar nicht so richtig weiß, was er jetzt eigentlich präzise meint.

Heise: Fangen wir mal mit dem Preis und, nicht der Preisverleihung, aber dem Preis und den Ausgezeichneten an. Ich greife mir einen raus. Jetzt denken Sie sich wahrscheinlich, warum ein Preis für "Deutschland sucht den Superstar"?

Wick: Weil es eine Kategorie gibt, die heißt "Die beste Unterhaltungsshow". Ich würde das mit Sicherheit nicht in der besten Informationssendung bepreisen wollen, auch nicht in der besten Kultursendung. Aber als Show, wenn Sie sich die Mottoshows mal anschauen, wird da Musikfernsehen auf sehr hohem Niveau gemacht, was die große Show angeht, die Präsentation und ich könnte jetzt stundenlang drüber weiterreden, aber Sie wissen, was ich meine. Es gibt verschiedene Kategorien, in denen wir versuchen, das Beste zu finden.

Heise: Was allerdings bei "Deutschland sucht den Superstar" hängen bleibt, das sind doch auch die vielen Leute, die scheitern, die sich da so ein bisschen zum Affen machen, weil sie Ruhm abhaben wollen und die sich vor allem auch von Dieter Bohlen ziemlich auf unflätigste Weise beschimpfen lassen.

Wick: Ich muss jetzt leider Sie da korrigieren. Wir haben nicht die Casting-Shows am Anfang, die ja auch sehr umstritten waren und wo auch die Evangelische Kirche gesagt hat, so was sollte man nicht ausstrahlen, nominiert, sondern wir haben gesagt, die Show, in der die letzen Zehn darum kämpfen, wer der beste, in Anführungsstrichen "Superstar" ist. Das ist ganz präzise von uns so genannt worden.

Heise: Kann man das so teilen tatsächlich?

Wick: Ja, offensichtlich kann man es ja in der Kommunikation darüber nicht teilen.

Heise: Dann nicht?

Wick: Das Problem ist immer, wenn Sie etwas sagen, und das gilt ja für Sie auch, wenn Sie etwas zu mir sagen, und ich verstehe es anders, dann haben Sie natürlich faktisch ein Problem. Aber ich bestehe darauf, ich bin ja seit zehn Jahren in diesem Preis, dass es ein sehr seriöses Kategoriensystem gibt, in dem wir auch Kultursendungen oder Wissenssendungen auszeichnen und dann natürlich auch andere Kriterien anlegen, und wir müssen darauf beharren, dass wir da richtig verstanden werden.

Heise: Weil Sie darauf beharren müssen von der Jury erst und es im Moment damit ein Problem gibt, gab es gestern Meldungen an Medienvertreter. Und da drin steht ein Absatz, Qualität meint in einem Fernsehfilm natürlich etwas anderes als in einer Fernsehshow. Es ist in einer Auslandsreportage was anderes als in einer Comedy. Das ist eigentlich jedem klar. Das ist, finde ich, eine etwas lahme Begründung.

Wick: Finden Sie?

Heise: Ja, finde ich schon.

Wick: Warum eigentlich? Weil wir ja gerade doch darüber uns unterhalten haben, dass das genau nicht verstanden worden ist. Ich meine, wir haben auch lange gezögert, dieses Statement abzugeben, weil es gibt ein grundsätzliches Prinzip, dass wir uns äußern, indem wir sagen, das sind die besten Drei in der Nominierung und das ist dann unserer Meinung nach das beste Stück und nicht auch noch mal Kommentare dazu abgeben. Wir haben jetzt das Gefühl gehabt nach einer Woche, wir müssen das noch mal tun, weil immer die Fragen kommen, die Sie ja auch gerade gestellt haben, wieso ausgerechnet das. Ich könnte ja auch sagen, lassen Sie uns doch mal über die beste Auslandsreporterin Maike Rudolph reden.

Heise: Ja, oder die beste Realityshow, "Die Ausreißer - Der Weg zurück", auch das ist prämiert worden.

Wick: Ja, oder über "Das Gelübde", ein Film über Clemens Brentano, der in Arte ausgestrahlt worden ist. Wir können das stundenlang so weitermachen.

Heise: Qualität meint doch aber nicht, geistige Unterforderung und Voyeurismus, auch nicht in einer Fernsehshow?

Wick: Nein, aber Fernsehen ist ja vielfältig. Das ist ja ein Gefäß, in dem es verschiedene Dinge gibt. Das gilt im Übrigen fürs Radio ja ganz genauso. Es gilt sogar für Ihre Welle ganz genauso, dass Sie mal dies und mal das machen. Und wir wollen in allen Kategorien die Spitze finden und eine Unhaltungsshow soll unterhaltend sein. Sie können das jetzt für billig halten, wenn ich das so sage, aber es ist einfach so. Und eine Informationssendung muss auf hohem Niveau informieren.

Heise: Genau. Aber was ich gerade gesagt habe, eine Unterhaltungsshow muss ja nicht geistig unterfordern?

Wick: Nein, ich glaube aber, sie muss auch nicht unbedingt immer auf den Geist abzielen. Sie kann auch zum Beispiel Menschen, die sich für Affektfernsehen interessieren, glücklich machen oder Menschen, die sich gerne Musikshows angucken.

Heise: Klaudia Wick, Fernsehrkritikerin und Jurymitglied beim Deutschen Fernsehrpreis, im "Radiofeuilleton" zum Thema gute Unterhaltung und den Qualitätskriterien des Deutschen Fernsehpreises, der Jury des Deutschen Fernsehpreises. Vielleicht sind wir da immer die ganze Zeit schon um das Problem herumgeschlichen. Man hat das Gefühl, Sie zeichnen aus, sowohl von ARD, ZDF, öffentlich-rechtlich, als auch SAT und RTL. Das heißt, die Spanne ist riesig groß, die der Fernsehpreis abdecken muss. Man hat so ein bisschen das Gefühl, weil alle zusammen den Preis ausloben müssen, auch alle bedacht werden.

Wick: Ich versuche es noch mit dem Beispiel der Show. Wenn ich mir "Wetten, dass …" angucke, was ein öffentlich-rechtliches Programm ist, habe ich das Gefühl, diese Show hat Längen. Das habe ich bei "Deutschland sucht den Superstar" nicht. Das wäre mal so ein Kriterium dafür, warum ich finde, dass in der Show im Moment die Privaten vorne liegen. Wir haben keine Proporzregeln. Aber es ist eben so, dass wir uns als Aufgabe dazu verpflichten, das ganze Fernsehen wahrzunehmen.

Ich sage Ihnen noch mal ein anderes Beispiel aus diesem Jahr. Wir haben zum Beispiel gesagt, im Bereich "Bestes Sportfernsehen" haben ARD und ZDF viel Geld in die Hand genommen und haben die Spiele ausgerichtet und haben die EM übertragen. Wir haben gesagt, trotzdem fanden wir die beste Sportübertragung war Eurosport, die ziemlich nackt gesagt haben, das ist der Sport und das ist der Kommentar. Die sind aber gar nicht in diesen Konsortium drin, das den Preis ausrichtet. Wir versuchen nicht nur, unter denen, die uns eingeladen haben, das Beste zu finden, sondern in allem, was das Fernsehen ausstrahlt in Deutschland.

Heise: Kommen wir mal jetzt zu dem, was Reich-Ranicki so im Nachgang, jetzt nicht nur über den Deutschen Fernsehpreis, sondern eben auch über die Qualität im Unterhaltungsfernsehen gesagt hat. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat ja den Staatsauftrag zur Abbildung der kulturellen Vielfalt. Manchmal hat man aber das Gefühl, es wirkt doch ein bisschen wie ein Feigenblatt, wenn entsprechende Sendungen, die das abbilden, bei ARD und ZDF mitten in der Nacht laufen. Ist das nicht auch ein Kriterium?

Wick: Das Fernsehen hat sich ja verändert, seit wir nicht immer nur den Finger in die Luft strecken und das terrestrisch empfangen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, sich auch zeitversetzt in den digitalen Bouquets Dinge noch mal anzuschauen. Sie können in die Mediatheken gehen. Wir müssten uns eigentlich noch mal darüber unterhalten, muss Fernsehen immer zur Hauptsendezeit alles bieten, was ich im Moment gerne haben möchte. Ich vergleiche das mal mit einem anderen Medium. Wenn Sie jetzt zum Beispiel vor der Oper stehen, da kann auch eine Operette spielen, die Sie auch heute Abend zu seicht finden, dann müssen Sie halt in anderen Tag reingehen. Und so ist es beim Fernsehen auch. Es versucht natürlich, weil es ein Massenmedien ist …

Heise: Das Fernsehen möchte uns aber in unserem Wohnzimmer abholen. Das heißt, da ist das, dass wir in dem Moment auswählen, schon gegeben. Das ist, glaube ich, Basis des Ganzen?

Wick: Ja, aber, ich glaube, das ist das große Imageproblem, dass das Fernsehen hat. Jeder hat einen zu Hause stehen. Jeder ist der Meinung, es muss um omnipräsent da sein, es muss jederzeit verfügbar sein. Es muss die große Mami sein, die man jederzeit rufen kann. Und dann, wir müssen uns aber in Wirklichkeit uns bemühen. Tatsächlich müssen wir vielleicht auch ein digitales Bouquet haben, das heißt, man muss ein neues Empfangsgerät haben und man muss es finden können.

Heise: Aber bei diesem Bemühen werden doch wieder viele Menschen ausgeschlossen. Jetzt ist doch dieser Kulturauftrag gerade dazu ausgerichtet oder darauf ausgerichtet, ich sage, jetzt nicht unbedingt die Masse, aber doch viele Menschen, das große Publikum mit Kultur zu konfrontieren, die es sonst vielleicht nicht so einfach genießen würde. Die würden eben nicht ihren Rekorder da irgendwo einstellen, um um 23.45 Uhr was aufzuzeichnen.

Wick: Dieses Gespräch können wir wirklich eine Stunde lang führen.

Heise: So viel Zeit haben wir leider nicht.

Wick: Weil Sie jetzt immer sagen, nee, bewegen geht nicht, und ich sage, doch, man muss sich bewegen als Publikum. Aber nehmen wir mal, am Montagabend hat zum Beispiel die ARD Dürrenmatt verfilmt, aus Anlass, weil Christiane Hörbiger 70 geworden ist, hat eine sehr schöne Fernsehfassung davon gemacht, fand Herr Reich-Ranicki auch schon wieder nur am Anfang schön und hinterher langweilig. Da geht es vielleicht um Konzentrationsfähigkeit. Aber ich sage ganz ehrlich, dass die GEZ-Gebühren, die ich zahle, dafür, dass das Fernsehen zum Beispiel das Dürrenmatt-Stück neu einrichtet und populär zur besten Sendezeit ausstrahlt, ist für mich Kulturprogramm.

Heise: Was erwarten Sie von dem Gespräch heute Abend?

Wick: Gute Unterhaltung. Ich gucke mir das selbstverständlich an und vielleicht springt ja für Thomas Gottschalk auch ein Preis im nächsten Jahr beim Fernsehpreis dabei raus als "Moderation beste Unterhaltung", das ist auch eine Kategorie, die wir haben.

Heise: Wie ist die Stimmung jetzt eigentlich im Moment in der Jury, unter den Jurymitgliedern?

Wick: Wir finden es vor allem für die Preisträger sehr schade, das war auch ein Grund, warum wir uns noch mal zu Wort gemeldet haben, dass wir ja diese vielen Menschen, die zum Teil ihr Leben riskieren, weil sie in Birma stehen und Auslandsberichterstattung machen, oder …

Heise: Die ausdrücklich ausgenommen waren von der Kritik.

Wick: Ja, später. Später hat man das dann alles relativiert. Aber wirklich alle, ich möchte jetzt auch nicht nur Maike Rudolph immer wieder erwähnen, aber da wird es, glaube ich, am deutlichsten, alle, die da ausgezeichnet worden sind an dem Abend, haben viele Kollegen aus dem Rennen geschlagen, weil sie so besonders gut waren.

Wir haben 1200 Stunden Fernsehen uns angeguckt. Es ist eine honorige Jury, in der Produzenten, Regisseure, Schauspieler drin sitzen, nicht nur Kritiker. Und es ist einfach sehr schade, dass in diesem Jahr das immer in Erinnerung bleiben wird, als das Blödsinnjahr und nicht für die Preisträger als eine wirkliche Auszeichnung ihrer Arbeit. Das betrübt uns alle.

Heise: Und wenn Sie ein Resümee ziehen würden über das, was Sie jetzt das letzte Jahr geschaut haben im deutschen Fernsehen, sagen Sie, das deutsche Fernsehen in seiner Breite bietet gute Unterhaltung und Sie sind qualitativ zufrieden?

Wick: Ja, es bietet gute Unterhaltung, gute Informationen und gute Kultur.

Heise: Sagt Klaudia Wick. Sie saß in der Jury zum Deutschen Fernsehpreis und ist Fernsehkritikerin. Ich danke Ihnen recht herzlich für das Gespräch, Frau Wick. Warten wir die Sendung heute Abend ab.