Fernsehen von der Oscar-Regisseurin

Von Michael Meyer · 07.11.2013
Mittlerweile ist eine Binsenweisheit, dass Fernsehserien das neue Kino sind. Nun hatte "Top of the Lake" auf Arte Premiere: eine Miniserie in sechs Teilen. Die Regie übernahm die Oscar-prämierte neuseeländische Regisseurin Jane Campion.
"Tui, was machst du da? Tui, das ist gefährlich. Bist du verrückt? Komm mein Kind, warum tust du das?"

Ein eiskalter See irgendwo in den Weiten Neuseelands, wo die Landschaft aussieht wie eine Mischung aus den Alpen und mystisch aufgeladenen Gebirgsmassiven, die dann doch spüren lassen, dass wir nicht in Europa sind. Düster wirkt die Szenerie, keine einzige Szene ist wirklich farbig, es dominiert ein trübes Blau-Braun-Grau.

Tui, ein zwölfjähriges Mädchen mit langen schwarzen Haaren, schweigsam und in sich zurückgezogen, geht in einen See und will sich ganz offensichtlich umbringen. Schon diese Szene erinnert ein wenig an Jane Campions Oscar-prämierten Film "Das Piano" von 1993, in der man Holly Hunter in der Brandung des Meeres sieht. Hunter spielt auch in "Top of the Lake" mit, sie verkörpert die Rolle einer abgehoben-esoterischen Sektenführerin einer Frauengruppe. Hunter, mit langen grauen Haaren erkennt man zunächst gar nicht. Ihr kaltes, zuweilen unbarmherziges Spiel ist fantastisch anzusehen. Begegnen möchte man ihr im richtigen Leben jedoch nicht.

Elizabeth Moss als Ermittlerin
In der Hauptrolle als Polizeiermittlerin Robin überzeugt die Amerikanerin Elizabeth Moss, die man auch aus der Serie "Mad Men" kennt. Moss wirkt hier nicht mehr so naiv, ihr Gesicht wirkt schlanker und ausdrucksvoller – im Übrigen zeigt Moss hier, dass sie auch Gefühle wie Angst und Panik vermitteln kann.

Robin befragt in einer Szene Tui, die im fünften Monat schwanger ist: Sie will oder kann aber nicht sagen, wer der Vater ist.

"Tui? Was passiert gerade mit Dir? Was meinst du, wieso dein Bauch dicker wird? Das weißt du doch, habe ich recht? Du weißt, was da passiert. Da ist was drin ... .Ja, das vermuten wir auch, Tui."

Tuis Familie ist ein dysfunktionaler Haufen von Losern: Vater Matt, ein saufender ekelerregender Macho, ertränkt versehentlich sogar einen ungeliebten Immobilienmakler, und zeigt sich auch sonst nicht gerade beeindruckt von Tuis Schicksal:

"Tui ist ins Wasser gegangen ... jemand hat sie rausgefischt. Sie ist offenbar schwanger." / "Aaaah, Scheiße, gütiger Gott, nein, nein ist sie nicht, ich fahr sie morgen in die Klinik und lass es wegmachen." / "Das ist nicht so einfach, wie du denkst, sie ist im fünften Monat." / "Was? Gut, verdammte Scheiße, dann fahre ich nach Sydney mit ihr, egal wie, sie kriegt das verdammte Kind nicht."

Missbrauch, Geheimnisse und Verrat
Wenig später wird Tui verschwinden und die Suche nach dem Mädchen wird alte Geschichten wieder hochspülen. Die Ermittlungen der Detektivin Robin führen in ein verschworenes Netzwerk von Missbrauch, Geheimnissen und Verrat, in dem auch eine Verbindung zum Trauma ihrer eigenen Vergangenheit ans Licht kommen wird. Denn auch Robin hat vor Jahren selbst Missbrauch erlebt.

Wenn Regisseure, wie hier Jane Campion fürs Fernsehen arbeiten, wittert so mancher Kritiker eine massenkompatible Verbiegung der Filmkunst. Doch die Kritik ist hier nicht angemessen, denn Campion nutzt souverän die Freiheiten, die ihr die Produzenten gelassen haben. Die Serie, eine britisch-australische Koproduktion, setzt jedenfalls nicht auf billige Effekte, sondern entwirft eine vielschichtige Story, deren Enden schließlich zusammenlaufen.

Campion hat im Übrigen nicht das erste Mal fürs Fernsehen gearbeitet, ihre erste Regiearbeit 1985, "Zwei gute Freundinnen", war eine TV-Produktion. Mit der sechsstündigen Miniserie "Top of the Lake" erweist Jane Campion nun gleich in mehrerer Hinsicht ihren Vorbildern eine Referenz. Nicht umsonst wurde die Serie mit "Twin Peaks" verglichen, jene verschrobene 20-Folgen-Produktion des Hollywood Regisseurs David Lynch.

Der Vergleich ist deswegen naheliegend, weil Lynchs Darstellung einer eingeschworenen Gemeinschaft irgendwo auf dem Lande sehr ähnlich ist – allerdings enthält sich Campion jeder Ironie und jeden Humors. Überhaupt stülpt Campion ihrer Geschichte keine überzogene Skurrilität über, die manche Figuren in "Twin Peaks" zu einer Karikatur werden ließen.

Großartig fotografiert, konzentriert erzählt
"Top of the Lake" überzeugt durch die erzählerische Konzentration, die in den sechs Folgen einen weiten Bogen schlägt. Die Serie versammelt ein hervorragendes Schauspieler-Ensemble, ist großartig fotografiert und überaus spannend. Die Folgen vier bis sechs führen die Geschichte noch mal in eine ganz andere, unerwartete Richtung.

Es lohnt sich übrigens, die Serie noch mal auf DVD im Original zu schauen – denn nur dort bekommt man die unterschiedlichen Akzente der Schauspieler mit, die aus Schottland, England, Neuseeland und den USA stammen.

Service:
"Top of the Lake", die ersten drei Folgen auf Arte noch sieben Tage lang in der Mediathek, Folgen vier bis sechs dann nächsten Donnerstag auf Arte, ab 20 Uhr 15.
Mehr zum Thema