Fernsehen spielt dominante Rolle

Michael Spreng im Gespräch mit Ulrike Timm |
Die Präsenz im Internet ist für Parteien kein Selbstläufer. Wer sein Web-Publikum im Wahlkampf mit "Frontalunterricht" via Homepage langweile, erziele keine Massenwirkung, erklärt der Medienberater Michael Spreng.
Ulrike Timm: Ob das so ist und wie sich das gestaltet, darüber sprechen wir jetzt mit Michael Spreng. 2002 managte er den Wahlkampf von Edmund Stoiber. Michael Spreng ist Medienberater und Journalist und er bloggt stilecht auf sprengsatz.de. Schönen guten Morgen!

Michael Spreng: Ja, guten Morgen, Frau Timm!

Timm: Herr Spreng, was meinen Sie, freut das einen jungen Menschen, wenn er bei Facebook erfährt, dass Angela Merkel gerne gärtnert oder dass Jürgen Trittin gerade Blumenkohl gekauft hat?

Spreng: Ich glaube, das interessiert die Internetgemeinde und die Internetuser ziemlich wenig. Im Internet ist dasselbe Problem, das wir im Augenblick im Wahlkampf allgemein haben. Wenn ich keine charismatischen Politiker habe und wenn der Wahlkampf langweilig ist und nicht über die wirklichen Themen gestritten wird, dann interessiert das auch niemand im Internet.

Timm: Andererseits verlegt sich ja der Wahlkampf schon ei bisschen hinein. Bei den Linken zum Beispiel gibt’s ne Rubrik 60 plus – die meinten nicht das Alter der Politiker, sondern da sagt jemand in 60 Sekunden ein politisches Statement. Die Parteien setzen ja drauf. Erreichen sie nichts?

Spreng: Ja, es gibt durchaus originelle Ideen. Ich find zum Beispiel auch sehr originell – die Grünen haben das ja als Erster angefangen –, dass man da eine Plakatspende machen konnte und entscheiden, wo das Plakat hinkommt. Aber wenn man sich die Zahlen einmal ansieht, also wenn man sieht, Frau Merkel hat kürzlich bei ihrem Team Deutschland, das ist so eine Unterstützergruppe, hat sie zehn ausgewählte Fragen beantwortet. Da haben genau 639 Leute sich beteiligt und 910 Fragen eingereicht. Also wenn man das jetzt in Relation zur Bevölkerung und zur wahlberechtigten Bevölkerung setzt, dann sieht man, welch geringe Bedeutung nach wie vor das Internet hat. Es liegt aber, glaube ich, nicht an der Bedeutungslosigkeit des Internets, sondern an der Unattraktivität des politischen Angebots.

Timm: Es bietet ja aber auch Chancen, das Internet. Man könnte ja das Gespräch in dieses neue Medium verlagern, und das Internet bietet ja auch die Möglichkeit, sofort zu reagieren. Ist die große Politik für mich ganz persönlich da – den Eindruck kann man doch zumindest haben –, wäre das der Reiz?

Spreng: Das Internet ist ja ein Dialogmedium und ein Partizipations-, also ein Beteiligungsmedium. Also je mehr Chancen zur wirklichen Mitsprache oder gar Mitentscheidung ich als Partei einräume, umso größer wird die Beteiligung sein. Wenn aber – wie viele Parteien es immer noch machen – da so eine Art Frontalunterricht stattfindet, also wenn man bei der SPD dann die Rede von Herrn Steinmeier zum Deutschlandplan anklicken kann und das auch bei YouTube zu sehen ist, dann sind es am Ende nur 9500 Leute, die sich dafür interessieren. Also es ist ne Frage: Im Internet ist es ganz entscheidend, wie biete ich es an – ist es attraktiv, ist es im Dialog, ist es vielleicht auch witzig und humorvoll –, aber die klassische politische Verkündigung, die Pressekonferenzen, die Reden, dieser Frontalunterricht, der kommt bei den Internusern überhaupt nicht an.

Timm: Andererseits verlegt sich ja auch ein bisschen der Stammtisch ins Netz. Ich bin heute Morgen mal auf "SPD:vision" gegangen, da drischt ein User auf die planlose Glaubenssekte CDU ein und bekommt ne Menge Antworten, das wird sich im Wahlkampf dann doch kein Politiker laut trauen zu sagen.

Spreng: Ja, in den Foren, da werden schon deutliche Meinungen artikuliert, ich merke das ja in meinem eigenen Blog, wo auch eine rege Beteiligung bei den Kommentaren ist, da wird kräftig vom Leder gezogen. Aber die Parteien selbst, die verharren noch in den alten Verkündigungsmodellen. Also wenn man das zum Beispiel bei der CDU sieht, das erfolgreichste Video, YouTube-Video, das die CDU ins Netz gestellt hat, ist Arnold Schwarzenegger über Angela Merkel. Das sind 52.000 Leute, die sich dafür interessieren. Wenn man sieht, dass nur 639 Unterstützer Frau Merkel Fragen stellen wollten, dann sieht man, wo die wirklichen Interessen im Internet sind.

Timm: Sind diese 52.000 Leute vor allen Dingen jung und Erstwähler oder sind sie Zweit-, Dritt-, Viertwähler und älteren Semesters? Weiß man das?

Spreng: Nein, sie sind in erster Linie jung, man hat in Amerika da bessere Studien, aber in Amerika geht man ja davon aus, dass jeder Vierte unter 29 sich nur noch im Internet informiert, also keine Fernsehnachrichten mehr schaut, keine Zeitungen mehr liest. Daran sieht man – und dieser Trend wird mit einiger Verzögerung auch nach Deutschland kommen –, das Internet wird irgendwann für Menschen unter 30 das einzige Informationsmedium ein. Und das heißt, wer dort nicht präsent ist, und zwar attraktiv präsent, ist natürlich in der Gefahr, eine ganze Generation zu verlieren oder den Zugang zu einer ganzen Generation.

Timm: Wenn eine ganze Generation im Internet vor allen Dingen sich bewegt, dann würde das ja auch langfristig neue Strukturen für die Politik bedeuten, oder?

Spreng: Ja, der Auffassung bin ich, die Politik muss darauf reagieren. Also ich bin zum Beispiel ein Anhänger von Internetmitgliedschaften. Das haben die französischen Sozialisten gemacht und dadurch ihre Mitgliederzahl verdoppelt. Man wird Mitglied nur im Internet, hat aber dieselben Rechte wie alle Parteimitglieder, zahlt 20 Euro im Jahr und kann voll an dem Parteileben, an allen Abstimmungen und Entscheidungen teilnehmen. Also solche Modelle sollten auch in Deutschland erprobt werden, in der Hoffnung, da die Beteiligung und das Engagement auch jüngerer Menschen für die Politik zu erhöhen.

Timm: Wie könnte denn das die Strukturen von Politik genau verändern? Das Beispiel, was Sie beschreiben, ist ja eher so eine Innerkommunikation, aber wie könnte sich die Struktur von Politik verändern, wenn sie ja dann teilweise auch im Netz stattfindet, weil sie dort vor allem diskutiert wird?

Spreng: Ja, es wird mehr gestritten, und das ist ja auch das, was im derzeitigen Wahlkampf bemängelt wird, dass es keinen Streit um die wirklichen Fragen, Zukunftsfragen gibt, sondern um lächerliche Ereignisse am Rande. Es wird mehr Streit geben, und zwar konstruktiven Streit, und es wird mehr um die Meinungen gerungen und es werden sich mehr einmischen. Also das wird eine neue Form von politischem Diskurs, und ich glaube, der kann den Parteien nur gut tun. Es weicht natürlich aber auch die Parteistrukturen auf, dann ist es für die Eliten nicht mehr so einfach, ihre Parteien zu kontrollieren, je mehr Dialog und Mitsprache im Internet angeboten wird.

Timm: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Medienberater Michael Spreng über den Wahlkampf per Internet. Herr Spreng, man sagt so leicht, das Internet sei mit Blick auf Politik und Wahlkampf eine Generationenfrage, ein bisschen sagen Sie das auch. Aber stimmt das wirklich?

Spreng: Ja, natürlich sind auch Ältere im Internet und gerade politisch Hochinteressierte tummeln sich im Internet, unabhängig vom Alter, aber im Sinne der Information, weniger auf den Parteiseiten, sondern die gehen halt zu den klassischen Portalen, wo sie ihre täglichen Informationen oder ihre Spezialinformationen bekommen. Die Parteien haben es noch nicht geschafft, zu diesen wirklichen Internetusern den Kontakt herzustellen, das zeigen die Zahlen.

Timm: Das heißt, auch wenn im Fernsehen jetzt eifrig getwittert, gemailt und in Videoblogs geschaltet wird, das Leitmedium muss sich noch nicht warm anziehen?

Spreng: Nein, also wenn überhaupt Wählerstimmen durch Medien bewegt werden, dann natürlich ganz dominant durch das Fernsehen, und dann kommt lange nichts, und dann kommen Zeitungen und Zeitschriften. Das Internet ist nach wie vor im Sinne von der Bedeutung, Wählerstimmen tatsächlich zu bewegen, in Deutschland noch nicht so wichtig. Ich will es nicht herunterreden, aber 2013 werden wir wahrscheinlich erst den richtigen Internetwahlkampf bekommen.

Timm: Meinen Sie, dass das Fernsehen dann zurückrückt, 2013?

Spreng: Ja, etwas schon. Also wenn wir diesen Trend bekommen, den ich aus Amerika geschildert hab, dass die jungen Leute auch keine Fernsehnachrichten mehr sehen, dann sind ja auch die Einflussmöglichkeiten der Politik über das Fernsehen auf die jüngeren Leute geringer, und dann wird die Bedeutung des Internets steigen.

Timm: Sie sagen, die Politik hat noch nicht so richtig verstanden, wie sie mit dem Medium Internet umgehen könnte. Gibt es denn, unabhängig von Parteien, derzeit ne politische Plattform, über die sich der Medienmanager Spreng richtig freut, weil sie pfiffig ist und klug?

Spreng: Ja, es gibt zum Beispiel – also ich meine jetzt für wirklich politisch Hochinteressierte – also ich lese zum Beispiel im Internet gern "Carta", das ist eine Webseite, auf der verschiedene Autoren zu Politik- und Medienfragen Stellung nehmen. Also das ist zum Beispiel ne Seite, die ich gern lese, und ansonsten die klassischen Seiten natürlich, "Spiegel Online", "stern.de" und so weiter, weil ich mich als Journalist natürlich auch im Internet informieren will.

Timm: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Medienmanager Michael Spreng über den Wahlkampf per Internet. Ich danke Ihnen!

Spreng: Ich danke auch, Frau Timm!