Fernreisen durch den Alltag und die Archive
Ein verwirrend buntes Bild - obwohl Corinne Wasmuht mit drei bis vier Farben auskommt. Ein höchst komplexes Bild - obwohl die Malerin das Großformat in strenger Zentralperspektive angelegt hat. Oben schießen immer schmaler werdende Streifen, wohl eine Hallendecke, ins Zentrum, unten bricht sich diese regelmäßige Geometrie in einem feucht schillernden Spiegelgrund.
Oder sind es Hochhausfassaden, zwischen denen man in den Abgrund schaut? Dieses Spiel mit der Uneindeutigkeit, das Jonglieren mit realistischen Partikeln innerhalb einer abstrakten Komposition prägt das Gemälde der gebürtigen Argentinierin. Als Titel wählte sie "Ezeiza", so heißt der Flughafen von Buenos Aires. Ein anderes ihrer jährlich zwei, allenfalls drei Bilder nannte Corinne Wasmuht nach einer Berliner Szenekneipe - aber das soll weiter nichts bedeuten. Denn auch da eröffnen sich dem Betrachter nie gesehene Räume, fühlt man sich mitgenommen auf delirierende Trips eines William S. Burroughs oder versetzt in die hochartifiziellen Labyrinthe des Jorge Luis Borges.
"Ich lese viel, bei guten Schriftstellern entstehen auch gute Bilder - aber die kann ich dann nicht verorten. Also, auch mit Musikhören habe ich Bilder im Kopf, eher mehr als durchs Lesen."
Mit dieser Selbstauskunft verweist die Malerin wiederum auf ihre Bilder, fordert auf zum Eintauchen in eine Atmosphäre, die nichts zu tun hat mit schwülstigen Emotionen, die vielmehr ganz bewußt aufgebaut wird - aber nie kühl konstruiert wirkt.] Da finden sich monochrome Felder neben pastellfarbenen Klecksen, stoßen computergenerierte Rechtecke auf organisch wuchernde Gebilde, gleichsam Amöben unterm Rastermikroskop.
"Es ist auch bei mir mit dieser Überfülle von Elementen sehr schwer. So, wie man Sachen träumt, die total disparat sind: Ich habe mal ein Sechseck im Achteck geträumt, das geht gar nicht. Genauso ist es mit den Bildideen, die man so im Kopf hat. Die funktionieren prima im Traum, und dann malt man sie - und die funktionieren nicht. Und da wird dann mit der Farbe ausprobiert - also die Fülle und gleichzeitig die Ruhe, ein etwas statisches Element dabei."
Die Ideen für ihre sorgsam, über Monate erarbeiteten Gemälde filtert Corinne Wasmuht - in dieser Beziehung eine passionierte Sammlerin - aus einer gigantischen Bilderkollektion, das Internet dient ihr ebenso als Quelle wie Urlaubsfotos der Verwandtschaft. Die werden eingehend betrachtet, ungefähr so, wie jedermann die Bilder des Tages vorm Einschlafen am inneren Auge vorbeirauschen läßt:
"Das kann man vergleichen mit diesem Moment: Welches Bild wirkt auf mich kräftig? Ein Lichtreflex wirkt manchmal kräftiger als eine Blume oder die Struktur vom Sand - wie prägt sich das ein und wie kommt das immer wieder zurück und wie formt es sich zu einem neuen Gebilde? Was passiert mit mir, also mit meiner Erinnerung? Das geht ja durch einen durch, durch diesen Akt der konzentrierten Malerei."
Mit einer mittelalterlichen Lasurtechnik trägt Corinne Wasmuht auf sorgfältig geschliffenen Malgrund bis zu sechs Farbschichten auf. In dieser peniblen Ausführung muß sich jede Intuition bewähren, wird jede Idee fortwährend abgewandelt.
"Die überraschenden Elementen sind mit dieser langsamen Arbeitsweise genauso da wie mit der schnellen, nur daß sich alles so zeitlupenmäßig verzögert. Manchmal denkt man: Wow, ich mache jetzt dieses Dunkelblau neben dem Grün - und dann sieht es matschig aus, es vibriert nicht. Und dann muß alles abgespachtelt, abgerieben werden."
Die von Corinne Wasmuht virtuos ausgeführte Lasurtechnik ergibt leuchtende Farben, klar und von einer Transparenz, die der komplexen Fülle von Formen aufs Anregendste widerspricht. Was nun dieser Malerin die Erinnerung an das eigene Sehen, die Traumreste und alltäglichen Wahrnehmungsmuster und -fetzen ist, das bedeutet für den Zeichner Marcel van Eeden das Betrachten alter Zeitschriften: Einzig Fotos, die vor seiner eigenen Geburt im Jahre 1965 publiziert wurden, kommen für den Holländer als Bildquellen für seine bereits mehr als 4000 Zeichnungen umfassende "Enzyklopädie meines Todes" infrage. Was Wasmuht beim Gang durch Großstadtstraßen und Transiträume entwickelt, schafft van Eeden beim Durchblättern der Archive: eine Geschichte des Sehens, gegründet auf subjektive Reaktionen des Künstlers als einem sensiblen Betrachter des vorgefundenen Materials:
"Das Wichtigste ist, so zu leben, jeden Tag mit dieser vergessenen Geschichte beschäftigt zu sein. Das Nachzeichnen von einem Foto dauert schließlich Stunden. So lange ist man an einem Platz, wo sonst niemand ist, nur tote Leute. Von heute ist dort niemand. Und das finde ich interessant so zu leben, so ein Archiv aufzubauen - digital."
Dem Original - der kleinformatigen Zeichnung mit Wachsstift in satten Schwarztönen - mißt van Eeden keine große Bedeutung bei. Mehr noch als der Marktwert einer künstlerischen Handschrift wiegt für ihn die intuitive Interpretation vorgefundener Bilder. Und deshalb kommt natürlich nicht in Frage, was man heutzutage als "Ikone" bezeichnet, also die Starschnitte und Poster-Klischees des Zeitgeistes:
"Ich habe auch keine Fotos als Quelle verwendet von sehr bekannten Fotografen und überhaupt bekannt Fotos. Für mich ist es interessant, Fotos zu entdecken oder Sachen, die gar nicht bekannt sind. Und wenn ich so eine alte Zeitschrift aus den fünfziger Jahren habe, da finde ich sehr viele Abbildungen und Geschichten von Leuten, die total vergessen sind – und die sehr naiv und anders gezeigt werden als heutzutage."
So steigt der Künstler tagtäglich in die Zeitmaschine, ohne großen technischen Aufwand, ohne Multimedia-Schnickschnack. Das Ergebnis aber, die Collage von Reklameschriftzügen und Alltagsmotiven mit spektakulären Momenten wie Schiffsuntergängen oder Bombenexplosionen, stellt all die Massenware in den Schatten, die heißgelaufene Automaten der so genannten "bildgebenden Medien" produzieren. Doch als Reaktion auf diese tagtägliche Verdoppelung und Verdreifachung der immergleichen Gegenwart will der Zeichner seine Arbeit nicht sehen:
"Es ist kein Kommentar auf die heutige Bilderflut. Da hätte ich die Bilder von CNN abmalen müssen. Das hat mehr zu tun damit, daß es mir manchmal einfach Leid tut, daß die Bilder so flüchtig sind. Oder ich finde ein Foto von einer Person in einer Zeitschrift, die vielleicht 1956 sehr stolz war, in dieser Zeitschrift zu sein. Und der hat dann vielleicht seine Mutter angerufen und hat gedacht, jetzt bin ich berühmt, jetzt bin ich unsterblich!"
Unsterblich hat van Eeden eine fiktive Figur gemacht, den Botaniker Karl M. Wiegand, der in seiner Zeichen-Serie Liz Taylor heiratet und zum berühmten Maler wird. Weit mehr aber - und das wird in der neuen Bild-Text-Collage "Celia" deutlich - geht es dem Künstler darum, mit alten und anonymen Bildern neue Geschichten einer naheliegenden und doch schon so fernen Vergangenheit zu erfinden.
"Eigentlich mache ich dasselbe wie ein Historiker. Ein Historiker ist natürlich wissenschaftlich - und ich bin sehr subjektiv. Aber es ist eine Art Geschichte. Es gibt nicht nur wissenschaftliche Historie, es gibt auch persönliche Historie. Eigentlich denke ich, daß ein Wissenschaftler, wenn er eine Biographie schreibt, auch sehr persönlich damit verknüpft ist und daß das auch sehr romantisch werden kann. Aber bei mir brauchen die Quellen nicht sehr genau zu stimmen, weil ich die Freiheit habe, alles mit meiner Hand zu setzen."
Service:
Die Ausstellung mit Werken von Corinne Wasmuht und Marcel van Eeden ist im
Kunstverein Hannover bis 20. August 2006 zu sehen.
"Ich lese viel, bei guten Schriftstellern entstehen auch gute Bilder - aber die kann ich dann nicht verorten. Also, auch mit Musikhören habe ich Bilder im Kopf, eher mehr als durchs Lesen."
Mit dieser Selbstauskunft verweist die Malerin wiederum auf ihre Bilder, fordert auf zum Eintauchen in eine Atmosphäre, die nichts zu tun hat mit schwülstigen Emotionen, die vielmehr ganz bewußt aufgebaut wird - aber nie kühl konstruiert wirkt.] Da finden sich monochrome Felder neben pastellfarbenen Klecksen, stoßen computergenerierte Rechtecke auf organisch wuchernde Gebilde, gleichsam Amöben unterm Rastermikroskop.
"Es ist auch bei mir mit dieser Überfülle von Elementen sehr schwer. So, wie man Sachen träumt, die total disparat sind: Ich habe mal ein Sechseck im Achteck geträumt, das geht gar nicht. Genauso ist es mit den Bildideen, die man so im Kopf hat. Die funktionieren prima im Traum, und dann malt man sie - und die funktionieren nicht. Und da wird dann mit der Farbe ausprobiert - also die Fülle und gleichzeitig die Ruhe, ein etwas statisches Element dabei."
Die Ideen für ihre sorgsam, über Monate erarbeiteten Gemälde filtert Corinne Wasmuht - in dieser Beziehung eine passionierte Sammlerin - aus einer gigantischen Bilderkollektion, das Internet dient ihr ebenso als Quelle wie Urlaubsfotos der Verwandtschaft. Die werden eingehend betrachtet, ungefähr so, wie jedermann die Bilder des Tages vorm Einschlafen am inneren Auge vorbeirauschen läßt:
"Das kann man vergleichen mit diesem Moment: Welches Bild wirkt auf mich kräftig? Ein Lichtreflex wirkt manchmal kräftiger als eine Blume oder die Struktur vom Sand - wie prägt sich das ein und wie kommt das immer wieder zurück und wie formt es sich zu einem neuen Gebilde? Was passiert mit mir, also mit meiner Erinnerung? Das geht ja durch einen durch, durch diesen Akt der konzentrierten Malerei."
Mit einer mittelalterlichen Lasurtechnik trägt Corinne Wasmuht auf sorgfältig geschliffenen Malgrund bis zu sechs Farbschichten auf. In dieser peniblen Ausführung muß sich jede Intuition bewähren, wird jede Idee fortwährend abgewandelt.
"Die überraschenden Elementen sind mit dieser langsamen Arbeitsweise genauso da wie mit der schnellen, nur daß sich alles so zeitlupenmäßig verzögert. Manchmal denkt man: Wow, ich mache jetzt dieses Dunkelblau neben dem Grün - und dann sieht es matschig aus, es vibriert nicht. Und dann muß alles abgespachtelt, abgerieben werden."
Die von Corinne Wasmuht virtuos ausgeführte Lasurtechnik ergibt leuchtende Farben, klar und von einer Transparenz, die der komplexen Fülle von Formen aufs Anregendste widerspricht. Was nun dieser Malerin die Erinnerung an das eigene Sehen, die Traumreste und alltäglichen Wahrnehmungsmuster und -fetzen ist, das bedeutet für den Zeichner Marcel van Eeden das Betrachten alter Zeitschriften: Einzig Fotos, die vor seiner eigenen Geburt im Jahre 1965 publiziert wurden, kommen für den Holländer als Bildquellen für seine bereits mehr als 4000 Zeichnungen umfassende "Enzyklopädie meines Todes" infrage. Was Wasmuht beim Gang durch Großstadtstraßen und Transiträume entwickelt, schafft van Eeden beim Durchblättern der Archive: eine Geschichte des Sehens, gegründet auf subjektive Reaktionen des Künstlers als einem sensiblen Betrachter des vorgefundenen Materials:
"Das Wichtigste ist, so zu leben, jeden Tag mit dieser vergessenen Geschichte beschäftigt zu sein. Das Nachzeichnen von einem Foto dauert schließlich Stunden. So lange ist man an einem Platz, wo sonst niemand ist, nur tote Leute. Von heute ist dort niemand. Und das finde ich interessant so zu leben, so ein Archiv aufzubauen - digital."
Dem Original - der kleinformatigen Zeichnung mit Wachsstift in satten Schwarztönen - mißt van Eeden keine große Bedeutung bei. Mehr noch als der Marktwert einer künstlerischen Handschrift wiegt für ihn die intuitive Interpretation vorgefundener Bilder. Und deshalb kommt natürlich nicht in Frage, was man heutzutage als "Ikone" bezeichnet, also die Starschnitte und Poster-Klischees des Zeitgeistes:
"Ich habe auch keine Fotos als Quelle verwendet von sehr bekannten Fotografen und überhaupt bekannt Fotos. Für mich ist es interessant, Fotos zu entdecken oder Sachen, die gar nicht bekannt sind. Und wenn ich so eine alte Zeitschrift aus den fünfziger Jahren habe, da finde ich sehr viele Abbildungen und Geschichten von Leuten, die total vergessen sind – und die sehr naiv und anders gezeigt werden als heutzutage."
So steigt der Künstler tagtäglich in die Zeitmaschine, ohne großen technischen Aufwand, ohne Multimedia-Schnickschnack. Das Ergebnis aber, die Collage von Reklameschriftzügen und Alltagsmotiven mit spektakulären Momenten wie Schiffsuntergängen oder Bombenexplosionen, stellt all die Massenware in den Schatten, die heißgelaufene Automaten der so genannten "bildgebenden Medien" produzieren. Doch als Reaktion auf diese tagtägliche Verdoppelung und Verdreifachung der immergleichen Gegenwart will der Zeichner seine Arbeit nicht sehen:
"Es ist kein Kommentar auf die heutige Bilderflut. Da hätte ich die Bilder von CNN abmalen müssen. Das hat mehr zu tun damit, daß es mir manchmal einfach Leid tut, daß die Bilder so flüchtig sind. Oder ich finde ein Foto von einer Person in einer Zeitschrift, die vielleicht 1956 sehr stolz war, in dieser Zeitschrift zu sein. Und der hat dann vielleicht seine Mutter angerufen und hat gedacht, jetzt bin ich berühmt, jetzt bin ich unsterblich!"
Unsterblich hat van Eeden eine fiktive Figur gemacht, den Botaniker Karl M. Wiegand, der in seiner Zeichen-Serie Liz Taylor heiratet und zum berühmten Maler wird. Weit mehr aber - und das wird in der neuen Bild-Text-Collage "Celia" deutlich - geht es dem Künstler darum, mit alten und anonymen Bildern neue Geschichten einer naheliegenden und doch schon so fernen Vergangenheit zu erfinden.
"Eigentlich mache ich dasselbe wie ein Historiker. Ein Historiker ist natürlich wissenschaftlich - und ich bin sehr subjektiv. Aber es ist eine Art Geschichte. Es gibt nicht nur wissenschaftliche Historie, es gibt auch persönliche Historie. Eigentlich denke ich, daß ein Wissenschaftler, wenn er eine Biographie schreibt, auch sehr persönlich damit verknüpft ist und daß das auch sehr romantisch werden kann. Aber bei mir brauchen die Quellen nicht sehr genau zu stimmen, weil ich die Freiheit habe, alles mit meiner Hand zu setzen."
Service:
Die Ausstellung mit Werken von Corinne Wasmuht und Marcel van Eeden ist im
Kunstverein Hannover bis 20. August 2006 zu sehen.