Ferner: Becks Machtwort war notwendig

Moderation: Jörg Degenhardt |
Die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Elke Ferner, hat den Angriff von SPD-Parteichef Beck auf parteiinterne Kritiker begrüßt. In letzter Zeit sei Kritik häufig nicht in den Parteigremien angesprochen, sondern in die Öffentlichkeit getragen worden, sagte Ferner.
Jörg Degenhardt: Deutschland ist das älteste Land Europas. Dass wir älter werden ist schön, hat aber auch eine Kehrseite, denn nicht immer vollzieht sich dieser Prozess bei bester Gesundheit und damit fangen die Probleme an. Die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland steigt, und damit klettern auch die Kosten. Außerdem kommt es bei der Betreuung von älteren und bedürftigen Menschen zu teils skandalösen Zuständen, wie ein am letzten Freitag veröffentlichter Bericht noch einmal deutlich gemacht hat. Jeder dritte Pflegefall erhält danach nicht genug zu essen und zu trinken, um nur ein Beispiel zu nennen.

Die Politik ist gefragt und die Große Koalition steht ja auch vor einer Reform der Pflege. Vorschläge liegen auf dem Tisch. Heute treffen sich erstmals die SPD-Fraktionschefs aus Bundestag und Landtagen, um auch über dieses Langzeitthema zu sprechen. Elke Ferner ist meine Gesprächspartnerin. Sie ist die stellvertretende Vorsitzende der SPD und in der Bundestagsfraktion ihrer Partei sozialpolitische Sprecherin. Guten Morgen Frau Ferner!

Elke Ferner: Guten Morgen Herr Degenhardt!

Degenhardt: Heute haben wir über den Daumen gepeilt zwei Millionen pflegebedürftige Menschen. In 20 Jahren werden es deutlich mehr sein. Wie sollen die Kranken- und Pflegekassen das bewältigen? Reichen da ein Pflege-TÜV, den Sie zum Beispiel vorgeschlagen haben, oder geringfügige Beitragserhöhungen, um das Problem in den Griff zu kriegen?

Ferner: Was die Frage der Kostenseite anlangt, werden wir jetzt mit der Beitragssatzanhebung, die ab nächsten Juli kommen wird, bis 2015, vielleicht sogar 2016 hinkommen bei ausgeweiteten Leistungen. Das andere ist aber natürlich die Infrastruktur, denn das ist klar: bei der Zahl der Menschen, die in Zukunft pflegebedürftig sein werden, brauchen wir andere Strukturen. Wir brauchen auch mehr Möglichkeiten, dass Menschen auch zu Hause weiter verbleiben können, nicht unbedingt in eine stationäre Einrichtung hinein müssen. Dazu gibt es auch eine ganze Reihe von Vorschlägen jetzt in dem Kompromisspaket mit der Union.

Degenhardt: Bevor wir zu den Strukturen kommen, noch mal ein kleiner Schritt zurück zum Geld. Sie haben es angedeutet: gute Pflege kostet. Das ist Allgemeingut. Wo könnte denn mehr Geld her kommen? Es gibt ja auch den Vorschlag, weil Umschichtungen nicht ausreichen, könnte man vielleicht an der Steuerschraube drehen.

Ferner: Zum einen haben wir eine deutliche Disparität zwischen der sozialen und der privaten Pflegeversicherung. Damals, als die Pflegeversicherung beschlossen worden ist, galt der Grundsatz, die Pflegeversicherung folgt der Krankenversicherung. Wir haben bei absolut gleichen Leistungen die Situation, dass die private Pflegeversicherung deutlich weniger Ausgaben hat. Das heißt also, die Risikostruktur dort ist deutlich besser. Es geht aber darum, eine Pflegeversicherung für die gesamte Bevölkerung zu haben. Deshalb hatten wir ja auch im Koalitionsvertrag vereinbart, einen Ausgleich zwischen privater und sozialer Pflegeversicherung zu organisieren. Die Union hat das nun abgelehnt. Da geht ungefähr eine Milliarde Euro im Jahr verloren.
Das andere ist natürlich: man wird sich glaube ich in Zukunft auch darüber unterhalten müssen, ob nicht auch ein Steueranteil mit in die Pflegeversicherung hineingeht. Aber das ist jetzt noch Zukunftsmusik. Das haben wir im Moment in dieser Wahlperiode nicht zu diskutieren.

Degenhardt: Also die Gewerkschaft ver.di wirbt dafür, zur Finanzierung der gesetzlichen Pflegeversicherung neue Steuerquellen zu erschließen. Das wollen Sie nicht, das wollen Sie auch, oder haben Sie sich noch nicht entschieden?

Ferner: Nein. Wir haben in unserem Grundsatzprogramm ja drinstehen, dass wir auch in die sozialen Sicherungssysteme einen stärkeren Steueranteil einbauen wollen. Sie kennen unser Modell der Bürgerversicherung, wo eben alle reinbezahlen, auch über alle Einkommensarten. An diesem Ziel hält die SPD natürlich fest, aber das ist halt in dieser Wahlperiode mit der Union zusammen nicht zu machen, weil die eher auf eine Individualisierung der Risiken in Form von Kopfprämien setzen.

Degenhardt: Das heißt, eine Umlage oder eine Änderung des Systems von Umlagefinanzierung mit Beiträgen auf Kapitaldeckung, das steht nicht zur Diskussion für Sie?

Ferner: Nein. Das steht nicht zur Diskussion, weil das im Prinzip auch nichts bringt. Das Umlagesystem hat sich denke ich bewährt und zum anderen würde das, wenn man es individuell mit Kapitalrückstellungen macht, dazu führen, dass sozusagen die, die keine Leistungen der Pflegeversicherung in Anspruch nehmen, möglicherweise sogar noch Geld rauszahlen und die anderen müssen dann umso mehr bezahlen. Das kann es nicht sein. Es geht hier um eine solidarische Versicherung, die für alle da ist, wenn die Leistungen gebraucht werden.

Degenhardt: Auch aus Ihrer Partei, Frau Ferner, aus den Reihen der SPD, gibt es Stimmen, die wollen die Wehrpflicht abschaffen. Dann würden aber auch die Zivis fehlen. Wäre das nicht eine Katastrophe für die Pflege?

Ferner: Wir haben ja jetzt einen Antrag für den Bundesparteitag im Parteivorstand beschlossen. Der zielt darauf ab, nicht die Wehrpflicht abzuschaffen, sondern darauf zu setzen, dass sich genügend freiwillig melden, sowohl für den Wehrdienst als auch für den Ersatzdienst, eine sogenannte Feuerwehrlösung. Bei den freiwilligen Feuerwehren haben wir ja auch die Situation in einigen Ländern, dass eine Pflicht zwar im Gesetz steht, aber immer genügend Freiwillige da sind, um den Dienst dann auch zu machen. Ich gehe auch davon aus, dass unser Konzept tragen wird. Das hat im Übrigen auch viel Zustimmung bekommen. Aber es ist klar: ohne die Zivildienstleistenden wäre in vielen Bereichen, nicht nur im Pflegebereich, ein erheblicher Mangel an Unterstützung da.

Degenhardt: Noch eine Frage an Sie, Frau Ferner, als stellvertretende Parteivorsitzende. Bei Ihnen im Parteirat soll es gestern mächtig geknallt haben. Parteichef Beck hat seine Kritiker zurechtgewiesen, so liest man, so hört man. War denn ein solches Machtwort nötig?

Ferner: Ja ich glaube, dass es notwendig war, weil sich in letzter Zeit auch die Punkte gehäuft haben, wo Kritik – ob nun berechtigt oder unberechtigt – nicht dort angesprochen worden ist, wo sie hingehört, nämlich in den Parteigremien, sondern in Hintergrundgesprächen mehr oder weniger gestichelt worden ist, und ich glaube, diese klare Ansage von Kurt Beck war notwendig.

Degenhardt: Aber zeigt nicht auch dieses Machtwort, dass Parteichef Beck als möglicher Kanzlerkandidat dann im übernächsten Jahr nicht unumstritten ist?

Ferner: Wir werden die Frage der Kanzlerkandidatur dann entscheiden, wenn sie ansteht. Das steht jetzt gut zwei Jahre vor der Wahl mit Sicherheit noch nicht an. Dann ist es ganz klar, dass es sein wird wie immer, dass der Parteivorsitzende dann auch einen Vorschlag machen wird. Aber darüber reden wir, wenn die Zeit gekommen ist.

Degenhardt: Wie lange wird denn jetzt Ruhe herrschen, bis sich dann die Kritiker wieder zu Wort melden?

Ferner: Das müssen Sie die Kritiker fragen. Das kann ich nicht beurteilen. Aber ich glaube jeder, der Kritik hat, sollte sich überlegen, dass es sinnvoller ist, die Punkte, die einem nicht gefallen, dort anzusprechen, wo die Möglichkeit besteht, in den Parteigremien und nicht über die Öffentlichkeit. Das ist kein guter Stil, hinten herum dann Sticheleien anzufangen.

Degenhardt: Sie sagten, das müsste ich die Kritiker fragen. Wen denn, Herrn Steinbrück oder Herrn Steinmeier?

Ferner: Ja - keine Ahnung!

Degenhardt: Elke Ferner war das, die stellvertretende Parteivorsitzende der SPD. Vielen Dank für das Gespräch hier im Programm der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur.
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