Ferienwohnungen

Ein quasi illegales Gewerbe

Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Eine junge Frau geht mit einem Rollkoffer in einem Mietshaus die Treppe hoch. © dpa / picture alliance / dpa-Zentralbild / Britta Pedersen
Es liest Sebastian Schneller · 22.07.2014
In einer Mail an die Redaktion klagte ein Hörer darüber, dass die Tugend der Gastlichkeit in Verruf geraten sei. Er vermietet Teile seiner Wohnung als Fremdenzimmer - eine Praxis, die teilweise nur noch mit vielen Auflagen möglich und sehr umstritten ist. Er gestattete die anonyme Veröffentlichung seines Textes.
Hier der Text im Wortlaut:
Ich bin es leid , dass das was ich tue, als Wohnraum-Diebstahl und Betrug gebrandmarkt wird. Mein Verbrechen? Ich öffne Fremden mein Heim – Gastfreundschaft forderten alle Götter, von Jupiter bis zum Gott Israels und Mohamed. Dass ich mir die Benutzung meines Schlafzimmers vergelten lasse, mit Geld statt mit Gotteslohn - wird so aus dem Gebot schon Sünde?
Was soll ich machen? Nach der letzten Sanierung stellte ich fest, dass meine Wohnung für mich einfach zu teuer geworden war. Abhilfe versprach eine Anzeige auf einem Bread-and-Breakfast-Internet-Portal. Seitdem profitiere ich nicht nur finanziell, sondern auch geistig-seelisch und sozial.
Schon die ersten Gäste erweiterten meinen sozialen Horizont enorm: Zwei Autoingenieure aus Frankreich mit ihren Freundinnen. Die beiden hatten gerade ihre erste Stelle nach dem Studium bei einem Autokonzern in der Nähe von Stuttgart angetreten. Die Nächte auf dem Balkon waren lang, die Frühstücke noch länger. Deutsch-französischer Berufsalltag im Vergleich. Am Ende bekam ich ein Polaroid mit mir und meinen ersten Gästen geschenkt.
"Ich habe eine kleine Einbrecher-Phobie"
Als nächstes buchte eine Kleinfamilie. Sie kamen aus Niedersachsen, aber eigentlich waren sie auf Stippvisite aus ganz anderen Sphären. Als er die Souvenirs meiner letzten Indienreise begutachtete, raunte mir Karl, gelernter Eisenbieger, Reiki-Meister und Meditationslehrer mit Verschwörermiene zu: "Indien? War ich schon 17 Mal." Später erzählte Karl, dass in seinem Ülzener Reihenhaus Wishnu, Jesus, Mutter Teresa und Buddha vorbei geschaut hätten. In Berlin war er, um mit Frau und Kind ein Seminar ihres spirituellen Meisters zu besuchen: "Die Wunder Jesu - Was sie wirklich bedeuten".
Den Sorgen dieser Welt deutlich verhafteter zeigte sich Karls 12-jähriger Sohn: "Darf ich Sie mal was fragen?", wandte er sich fünf Minuten nach Ankunft im gleichen verschwörerischen Unterton seines Vaters an mich. "Können Sie bitte die Wohnungstür abschließen? Ich habe eine kleine Einbrecher-Phobie."
Worüber sich die beiden wohl mit meinen Gästen zwei Wochen später unterhalten hätten? Florian und Claudia, zwei Doktoranden, Fachgebiet Gehirnforschung, auf der Durchreise von Oxford nach Leipzig zu einer Tagung. Bei der Buchung baten sie um getrennte Betten. Claudia konnte wunderschön Brahms auf dem Klavier spielen. Florian erklärte mir, dass man als Hinforscher unmöglich an den freien Willen glauben kann. Als ich am Tag ihrer Abreise extra früher von der Arbeit kam, um sie zu verabschieden, war kein Mucks aus ihren beiden Zimmern zu hören, bis irgendwann Claudia und Florian wie zwei beim Rauchen ertappte Schulmädchen aus meinem Schlafzimmer kamen. Ich bete zu Karls Guru, dass ich ihre zaghafte Annäherung nicht vereitelt habe.
Ich kam mir selbst wie ein Tourist vor
Die Phase der zaghaften Annäherung hatten Bill und Shakar aus Brighton schon lange hinter sich: Die beiden beleibten Bartmänner waren schon seit zehn Jahren ein Paar und zogen jeden Abend durch Schöneberger Bars auf der Suche nach anderen schwulen "Bears". Bill, beeindruckender Schnurrbart, war der Großneffe von Ernest Sheppard, der als Illustrator des Kinderbuchklassikers "Winnie-Puh" den wohl berühmtesten Bären der Weltliteratur zeichnete. Sein Partner Shakar hatte einen indischen Vater, der in den 50er-Jahren als Lehrling bei einem deutschen Elektrokonzern nach Europa gekommen war.
Dass ich mir als Ur-Berliner einmal selbst wie ein Tourist vorkam, unterwegs auf fremden Kontinenten, habe ich Sabrina und Klara aus Magdeburg zu verdanken. Zur Schlüsselübergabe trafen wir uns in einem türkischen Brautmoden-Laden: Ihre Freundin Tatjana heiratete und hatte die beiden zur Unterstützung nach Berlin geholt. Jetzt saßen wir zu dritt in einem Meer aus weißem Tüll, tranken Prosecco auf Kosten des Hauses und kritisierten die wechselnden Verkleidungen der Braut in spe: zuviel Ausschnitt, zu wenig Ausschnitt, kneift hier, kneift da.
Beim Frühstück am nächsten Morgen erzählten mir die drei, dass der ganze Zauber nur fürs Standesamt ist: Tatjana ist Jüdin und kam als kleines Kind von Odessa nach Magdeburg. Ihr zukünftiger Mann ist katholischer Niederländer- da bleibt nur der weltliche Ritus als kleinster gemeinsamer Nenner. Gerne hätte ich mich mit Tatjana und ihren Freundinnen noch weiter unterhalten, über das jüdische Odessa und die ostdeutsche Provinz, über Heimat und Familie, aber dann mussten die drei zum nächsten Termin in einem Brautmoden-Ateliers.
Eine Wohnung so groß wie die ganze Welt
Seit ich hin und wieder mein Schlafzimmer hergebe, habe ich Universen kennengelernt, von denen ich vorher keine Ahnung hatte. Jeder Gast bringt seine Geschichten mit zum Frühstückstisch. Wir alle spielen ein bisschen Besuch von entfernten Verwandten. Dass ich mein privates Zuhause mit ihnen teile, haben meine Gäste bis jetzt alle gewürdigt. Sie erzählen mir aus ihrem Leben, räumen das Geschirr ab und überweisen die Gebühr. Dafür radele ich morgens zu meinem Lieblingsbäcker und rühre Obstquark nach einem alten Familienrezept an. Wenn sie wieder gehen, bin ich einen Tag lang froh, die Wohnung wieder für mich alleine zu haben. Aber am zweiten Tag schaue ich im Kalender nach, wann die nächsten Gäste kommen.
Neulich haben mich ein paar von ihnen im Traum besucht: Tatjana tanzte ganz in Weiß mit Karl, dem Reiki-Meister, Walzer. Bill, der Schnurrbartmann aus Brighton, flirtete mit dem schüchternen Gehirnforscher und Claudia spielt mit Winnie Puh vierhändig Klavier. Als ich Schrippen holen wollte, merkte ich, dass die Wohnungstür verschwunden war, trotzdem kamen immer mehr Leute und mit einem Mal war meine Wohnung so groß wie die ganze Welt.
Mehr zum Thema