Ferien weit weg von den Eltern

Von Gerald Beyrodt · 06.08.2010
Es gibt eine Hymne, ein Motto, hebräische Wörter und neue Bekanntschaften: Viele Jugendliche fahren oft zu den zwei Mal im Jahr angebotenen Machanot. Auch der Flirtfaktor ist hoch.
"Bei jedem Schritt hinterlässt du eine Spur, bei jedem Schritt dreht sich voran die Uhr. Deswegen kenne die Vergangenheit, sei für das, was kommt, bereit. Schritt für Schritt schaffst du es weit."

Man summt sie morgens, man singt sie mittags, man grölt sie abends - alle Machanot haben ihre eine Hymne. Am Ende der Freizeit will sie keiner mehr hören, doch jeder behält sie im Gedächtnis: "You and me - Machane ani."

Zwei Mal im Jahr bietet die zentrale Wohlfahrtstelle der Juden Machanot - Ferienlager - an. Viele jüdische Jugendliche fahren zehn, zwölf Mal mit oder sogar noch häufiger - und treffen immer wieder Bekannte. Für die heute 19-jährige Verona gehörten Ferienlager als Chanicha - hebräisch für Zögling oder Lehrling - viele Jahre zum festen Bestandteil ihres Lebens:

"Als ich halt noch als Chanicha gefahren bin, war das für mich: Ich weiß, jeden Sommer fahr' ich und jeden Winter fahr' ich einfach. Und ich weiß ganz genau, dass ich in diesen Machanot immer irgendjemand aus 'ner anderen Stadt wiedersehe. Man freut sich immer drauf, weil man weiß, man sieht alte Gesichter, aber auch wieder neue Gesichter. Also es bildet sich ein Netz von Freundschaften zwischen den Städten."

Manche Jugendliche bringen schon viel jüdisches Wissen mit, sind vielleicht auf eine jüdische Schule gegangen. Andere lernen während des Machane ihre ersten hebräischen Wörter, sagt Xenia Fuchs, Leiterin zweier Freizeiten und Jüdischen Jugendzentrums in Berlin:

"Hebräisch sprechen gar nicht mal so viele von uns. Aber auch diesen Sommer haben wir uns vorgenommen, etwas mehr Hebräisch den Kindern auch beizubringen. Machane heißt ja auf Hebräisch schon Ferienlager, das heißt, das wissen sie schon. Sie wissen, was ein Madrich ist, auf Hebräisch Betreuer, Gruppenleiter. Sie wissen, was ein Chanich ist, ein Kind."

Ein Machane kann dein Leben verändern, findet Mike Delberg - Gruppenleiter beim Ferienlager in Marbella. Für den heute 20-jährigen Jurastudenten war als Kind vor allem die Geborgenheit in der Gruppe wichtig. Daraus konnte er auch außerhalb des Ferienlagers schöpfen:

"Wenn Selbstvertrauen kommt, kann man im Grunde alles schaffen, was man möchte. Bei mir war' s so gewesen, ich war, als ich noch'n bisschen jünger war, relativ schüchtern gewesen, und dadurch, dass mir dann ziemlich viel Zuspruch gekommen ist, habe ich es dann geschafft, Schulsprecher meiner Schule zu werden, bin in Landesschulbeiräte und ähnliches gekommen, bin da rein gewählt worden."

Erst wenn das Machane beginnt, erfahren die Teilnehmer das Motto. Vorher herrscht strikte Nachrichtensperre. Selbiges gilt für die Machane-Hymne. Eines aber ist sicher: Jede Freizeit hat ein Oberthema mit jüdischem Bezug. Das kann die Geschichte des biblischen Buches Bereschit (des ersten Buch Mose) sein oder auch "Schritt für Schritt" - wie Juden ein verantwortungsvolles Leben führen.

Xenia Fuchs: "Da geht’s darum, dass man bei jedem Schritt, den man macht, eine Spur hinterlässt, in der Geschichte, eine Spur für sich, dass man genau kucken soll, was man macht, dass man nicht einfach nur handeln soll, haben wir versucht, den Kindern beizubringen oder den Jugendlichen."

Mitfahren bedeutet: selbständig werden, den Eltern für ein zwei, Wochen Lebewohl sagen:

Verona: "Man gibt dem Kind irgendeine Verantwortung, sei es den Koffer in Ordnung halten oder sei es helfen, den anderen Kindern helfen, das Zimmer sauber zu halten. Und die Betreuer, es ist nicht eine krasse Person, wie zum Beispiel ein Lehrer, sondern man versucht das auf 'ner freundschaftlichen Basis."

Natürlich ist bei Jugendlichen auch der Flirtfaktor hoch. Machane-Experten kennen drei Beziehungstypen: a) Beziehungen, die nur bis zum Ende der Freizeit dauern und b) Beziehungen, die die Freizeit überdauern. Da ziehen beide womöglich in dieselbe Stadt, mieten eine Wohnung, studieren gemeinsam. Und dann gibt es noch c) diese Beziehungen, die irgendwie während des Machane nicht richtig losgingen. Aber zu Hause endlich was wurden. So wie die von Verona:

"Er hat mir schon vorher gefallen, aber dort hat er mir noch mehr gefallen, aber zusammen gekommen sind wir nicht auf Machane, sondern wieder in Berlin, dank Mike."

Mike: "Ich glaube, es hätte auch ohne mich geklappt, nur ein bisschen langsamer … (lacht)"

… glaubt Mike, Veronas Beziehungsvermittler.

Übrigens hat auch die jüdische "Gute-Zeiten-schlechte-Zeiten"-Darstellerin Susan Sideropoulos ihren Mann auf einem Machane kennen gelernt. Manchmal sind Machanot tatsächlich wie eine Seifenoper mit vielen Folgen: Da sind die vielen Fahrten selbst, die Vor- und Nachbereitung und schließlich die Anekdoten. Und die erzählen sich die Teilnehmer, bis sie 85 sind.