Ferguson

Misstrauen gegen Polizisten wächst

Polizisten mit Schutzschilden und Gasmasken vor einem brennenden Auto in Ferguson
Es gebe in den USA keine einheitliche Polizeiausbildung, meint Kersten. © Larry W. Smith, dpa
Joachim Kersten im Gespräch mit Liane von Billerbeck |
Dass Vorfälle wie in Ferguson durch den vermehrten Einsatz von schwarzen Polizisten zu vermeiden wären, bezweifelt der Kriminologe Joachim Kersten. Insgesamt müsse sich die Ausbildung der US-Polizei und deren Selbstverständnis ändern.
Kersten sagte im Deutschlandradio Kultur, das Vertrauen in schwarze Polizisten sei bei Schwarzen nicht notwendigerweise größer als in weiße. Es gebe Untersuchungen, die zeigten, dass schwarze Polizisten zum Teil häufiger Schwarze anhielten, um sie zu kontrollieren. Er selbst habe zwei Jahre in der überwiegend schwarzen South Side von Chicago gearbeitet. "Da sind schwarze Polizisten nicht unbedingt beliebter als weiße."
Vertrauen in die Polizei beschädigt
Wichtiger sei es, ein anderes Klima innerhalb der Polizei zu haben und weg von dem "Crime-Fighter"-Image hin zu einem Verständnis zu kommen, das Polizei als Dienstleister begreift. "Und das ändert sich auch dadurch, indem mehr Frauen in der Polizei sind", betonte der Kriminologe.

Kersten beklagte den schlechten Ausbildungsgrad vieler amerikanischer Polizisten. Es gebe in den USA mindestens 7500 Polizeiorganisationen und weder eine vereinheitlichte Ausbildung noch vereinheitlichte Polizeigesetze.
Entsprechend gebe es auch keine Mindestanforderungen an Ausbildung wie beispielsweise in Deutschland. "Sondern es kann von sechs Monaten bis einem Jahr alles sein, und danach zieht der Polizist, die Polizistin mit der Waffe los und wird auf die Bevölkerung losgelassen."
Durch Vorfälle wie in Ferguson würde das Vertrauen in die Polizei beschädigt, "und zwar eben nicht nur bei Schwarzen, sondern eben auch bei der Gesamtbevölkerung: bei den Latinos und auch bei der weißen Bevölkerung."
Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Das, was in Ferguson passiert sei, das sei kein Problem von Ferguson, sondern ein amerikanisches Problem, so hatte Präsident Obama den auch noch immer herrschenden Rassismus der US-Polizei gegenüber Schwarzen kritisiert nach dem Tod des schwarzen Jugendlichen Michael Brown durch Schüsse aus der Waffe des weißen Polizisten Darren Wilson, der dafür nun ja nach der Entscheidung einer Grand Jury auch nicht angeklagt werden soll.
Aber was falsch läuft bei der US-amerikanischen Polizei, darüber will ich jetzt sprechen mit Professor Joachim Kersten. Er ist Kriminologe und Forschungsprofessor an der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster. Am Montag ist er zurückgekommen von einer Tagung der American Society of Criminology in San Francisco, er hat also noch schwer Jetlag. Und er wird uns die Antworten hoffentlich geben können, woran es liegt, dass die US-amerikanische Polizei immer noch von so viel Rassismus geprägt ist. Guten Morgen, Herr Kersten!
Joachim Kersten: Guten Morgen!
von Billerbeck: Sie kommen ja gerade zurück von einer Tagung in San Francisco. Wie wurde denn dort, in der amerikanischen Gesellschaft für Kriminologie über die Situation in Ferguson debattiert?
Kersten: Die Situation selber war öfter Thema in diesen Sessions, wo Forschung vorgestellt wurde eben auch zur Problematik weiße Polizisten, schwarze Minderheiten, Polizei und psychisch krank, also all die Stellen, wo es nicht so besonders gut läuft und wo wir in den USA eben einfach sehr viel höhere Todesraten haben als in Europa.
Also allgemein ist die Mordrate schon zehnmal so hoch wie bei uns, und die Tötung von Polizisten etwa auch zehnmal so hoch wie in Deutschland und durch Polizeischüsse getötete Zivilisten, das ist auch in etwa zehnmal. Und die Gefahr, die man dort läuft, getötet zu werden, ist zehnmal so hoch wie bei uns in Deutschland.
von Billerbeck: Das sagte auch unser Korrespondent, mit dem wir heute sprachen. Der sagte, ja, als es um diesen Einzelfall ging, über den wir jetzt sprechen, in Ferguson, ein Polizist muss eben auch immer damit rechnen, dass sein Gegenüber auch eine Waffe hat. Das ist eben ja auch ganz anders als bei uns in Deutschland.
"Fast schon erotische Ausstrahlung, die von so Schusswaffen ausgeht"
Kersten: Das ist richtig. Der Bewaffnungsgrad der Bevölkerung auch eben mit schweren Waffen, die man im Katalog bestellen kann oder auf so einer Schusswaffenmesse, die überall stattfanden, wo man sich eindecken kann, als wenn morgen der Krieg losgeht, das ist bei uns Gott sei Dank nicht gegeben.
Obwohl ja bei unseren Katastrophen jetzt, von Winnenden bis Schulamok und woanders auch, die Schusswaffen immer eine Rolle spielen. Verfügbar sind die auch bei uns, aber ich denke mal, diese Faszination oder Attraktivität oder fast schon erotische Ausstrahlung, die von so Schusswaffen ausgeht, das ist bei uns doch noch ein bisschen weniger als in den USA.
von Billerbeck: Nun waren Sie auf dieser Tagung, nun haben Sie die Tatsachen geschildert. Wie ist denn der Fall in Ferguson und der Rassismus in der Polizei auf dieser Tagung debattiert worden?
Kersten: Ferguson selber ist immer wieder erwähnt worden, aber untersucht hat man das natürlich nicht. Das sind halt Wissenschaftler, die sich meistens auf Daten stützen, die aus den vergangenen Jahren sind und dann zeigen, dass eben zum Beispiel auch die weiße Bevölkerung durch diese Vorfälle - es ist ja nicht nur Ferguson, sondern es war ja jetzt auch noch Cleveland, Ohio und New York.
Also, Cleveland, dieser zwölfjährige Junge da mit dieser Luftdruckpistole, und New York in dem Project, also in dem Haus, wo der unbewaffnete Schwarze erschossen worden ist. Dass das Vertrauen in die Polizei dadurch beschädigt wird, und zwar eben nicht nur bei Schwarzen, sondern eben auch bei der Gesamtbevölkerung, bei den Latinos und auch bei der weißen Bevölkerung.
Das heißt, die Kooperationsbereitschaft sinkt dann und auch die Anzeigebereitschaft. Das hat man also nachgewiesen mit Zahlen, gigantischen statistischen Operationen. Aber jetzt Ferguson selber ist bei diesen Leuten, die stehen dem kritisch gegenüber halt, ist was, wo die auch - also erst mal der Vorfall selber und auch die Ausschreitungen - wo die einigermaßen sprachlos sind.
von Billerbeck: Wird denn eigentlich in der Polizeiausbildung in den USA auch genug Wert darauf gelegt, in Auseinandersetzungen deeskalierend zu agieren?
Kersten: Also sicherlich nicht so viel wie bei uns. Da muss man mal ein bisschen gucken. Die Schätzungen gehen zwischen 7500 mindestens Polizeien und 25.000 höchstens, je nachdem, wie man rechnet. Auch bei den Tötungszahlen muss man immer ein bisschen aufpassen.
von Billerbeck: Das habe ich jetzt nicht verstanden. Könnten Sie das noch mal erklären?
Kersten: Die Polizeiorganisation: Wir haben 16 Länderpolizeien und drei Bundespolizeien in Deutschland. In den USA gibt es mindestens 7500 Polizeiorganisationen, je nachdem, was man alles dazu rechnet, und höchstens – einige sagen, es sind 25.000 verschiedene Polizeien. Das heißt, es gibt keine vereinheitlichte Ausbildung, es gibt auch keine vereinheitlichten Polizeigesetze. Das heißt, es gibt auch überhaupt nicht so eine Mindestanforderung an Ausbildung, wie wir sie in Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und sonst wo haben, sondern es kann von sechs Monaten bis zu einem Jahr alles sein, und danach zieht der Polizist, die Polizistin mit der Waffe los und wird auf die Bevölkerung losgelassen.
Bei uns sind es, bis man jetzt in der Polizeiführung ist, sieben Jahre. Aber auf der Straße mindestens zwei, oft zweieinhalb, Bachelor-Studium, und dann im gehobenen Dienst, wo man dann also für Leute zuständig ist, da sind es dann schon mal mindestens fünf Jahre Ausbildung. So was gibt es in den USA praktisch überhaupt nicht.
von Billerbeck: Fehlt für diese Ausbildung das Geld?
Kersten: Nein. Die sehen das, die Polizei ist – ich meine, in Deutschland haben wir ja eine Geschichte mit Polizei. Und Polizei hat seit den 70er-, 80er-Jahren eine Demokratisierung durchlaufen, mit der wenig geprahlt wird, die aber stattgefunden hat.
Und sie ist in ein demokratisches Gemeinwesen viel stärker eingebettet. In vielen Ländern ist die Polizei tatsächlich ausführender Arm des Staates, und in den USA ist sie halt auch, vertritt sie halt auch die Interessen der weißen mächtigen, reichen Mehrheit gegenüber den Minderheiten.
von Billerbeck: Was charakterisiert denn eigentlich das Selbstverständnis von Polizisten in den USA?
Kersten: Also bei uns haben wir das auch, in Europa, dieses Crime-Fighter-Image, also was man im Fernsehen hat und in den Serien, "Profiler" und dieses ganze Zeug, das ist ja alles fiktiv und hat mit Polizeialltag im eigentlichen Sinne wenig zu tun. Also Crime-Polizei als Crime-Fighting.
Und in vielen Demokratien setzt sich ein anderes Verständnis durch, nämlich Polizei als Service, als Dienstleister, und im Prinzip auch, gegenüber Minderheiten, als Trägerin der Wahrung von Menschenrechten. So ein Denken ist, glaube ich, in den USA nur noch wenig verbreitet.
"Da sind schwarze Polizisten nicht unbedingt beliebter als weiße"
In einigen Stadtpolizeien – man muss immer aufpassen, dass man nicht über den Kamm schert, es gibt auch sehr gute Polizeien und auch sehr gut ausgebildete und auch sehr gute Polizeiführung –, aber im Schnitt, über das ganze Land verteilt, bei diesen unendlich vielen verschiedenen Polizeiorganisationen ist Kriminalitätsbekämpfung, Ordnungswahrung, das steht da sehr hoch auf der Agenda. Und das ist in Deutschland, glaube ich, zwar auch da, hat aber nicht diese absolute Priorität.
von Billerbeck: Nun haben Sie ja von diesen Crime-Fightern gesprochen, also ich vermute mal, das ist eher ein maskulines Selbstbild. Nun gilt ja immer als eine Möglichkeit, den Rassismus in der weißen Polizei, ich sag' es jetzt mal so, zu dämpfen, dass man mehr schwarze Polizisten oder mehr schwarze Polizistinnen in den Polizeidienst bringt. Dann könnte man ja auch das Vertrauen wiederherstellen zwischen der schwarzen Bevölkerung und der Polizei. Ist das so?
Kersten: Ist nicht so einfach. Da gab es auch Untersuchungen dazu, die zeigen, dass zum Teil schwarze Polizisten häufiger anhalten, und zwar Leute ihrer eigenen Hautfarbe, und untersuchen, und dass nicht unbedingt das Vertrauen in diese Polizisten höher ist. Ich habe mal zwei Jahre in Chicago gearbeitet, und da eben – Southside ist der Süden von Chicago, der vorwiegend schwarz ist. Da sind schwarze Polizisten nicht unbedingt beliebter als weiße.
Also das ist nur eine Frage in Demokratien, ob man eine Repräsentativität herstellt. Genauso wie bei uns. Wir haben einen sehr hohen Prozentsatz von Menschen ausländischer Herkunft im Land, und deswegen sollten die auch in der Polizei vertreten sein. Wichtiger eigentlich noch ist, dass man ein anderes Klima hat.
Dieses maskuline Crime-Fighting, dass man da eben stärker ein Bewusstsein von Dienstleistung hat. Und das ändert sich auch dadurch, indem mehr Frauen in der Polizei sind. Das ist in Deutschland übrigens inzwischen auch besser als in den USA. Wir haben einen stärkeren weiblichen Anteil in den verschiedenen Hierarchien des Polizeidienstes als die Amerikaner.
von Billerbeck: Der Kriminologe Joachim Kersten von der deutschen Hochschule der Polizei in Münster über das Selbstverständnis der amerikanischen Polizei. Ich danke Ihnen!
Kersten: Bitte!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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