Ferda Ataman
Ferda Ataman, Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung im Deutschen Bundestag. © picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka
Die ersten 100 Tage an einem ganz besonderen Arbeitsplatz
05:32 Minuten
Seit Juli ist die frühere Publizistin Ferda Ataman in ihrem neuen Amt. Was aber macht eine Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung im Alltag? Welche Ziele verfolgt Ataman und welche Rolle spielt die Kritik an ihrer Nominierung heute noch?
Ferda Ataman fällt auf, als sie am frühen Morgen mit einer Flasche Milch unter dem Arm das Bundesfamilienministerium betritt. Nicht wegen der Milch, sondern wegen der guten Laune.
„Ich freue mich jeden Tag wie so ein Schulkind, hier anzukommen. Fühlt sich schon nach drei Monaten ganz natürlich an.“
Oben im zweiten Stock duftet es nach Kaffee. Ihr Team erwartet sie. Und natürlich die Milch. „Guten Morgen noch mal alle zusammen, piep, piep, piep – wie im Morgenkreis.“ Lachen. „Hattet ihr alle ein schönes Wochenende?“
Viel Zeit für Small Talk bleibt nicht. Der Terminkalender der Unabhängigen Antidiskriminierungsbeauftragten ist randvoll mit Einträgen und bunten Markierungen. Unzählige Anfragen für Interviews, Treffen und Veranstaltungen sind zu besprechen. Ataman würde am liebsten alle persönlich wahrnehmen.
Immer wieder müssen ihre beiden Mitarbeiter sie bremsen: "Das ist schon ein anderer Terminkalender als der, den man vielleicht sozusagen im normalen Leben hat. Das ist nicht immer schön, macht auch, glaube ich, was mit Menschen. Ich hoffe, dass sie auch ein bisschen Spontanität und das, was sozusagen sie ausmacht eigentlich, sich bewahrt. Dafür wollen wir auch so ein bisschen sorgen.“
Heftige Angriffe nach der Nominierung
Dass sich so viele Menschen inhaltlich mit ihr beraten wollten, tue gut, so Ataman. Die Heftigkeit der Angriffe nach ihrer Nominierung Anfang Juli habe sie nicht erwartet. Besonders Vorwürfe, sie würde absichtlich Deutsche diskriminieren oder Probleme in migrantischen Communitys ignorieren, hätten sie getroffen.
"Es wurde ja auch viel Falsches über mich geschrieben oder Dinge, in denen ich mich so nicht wiederfinden konnte. Und ein paar Wochen hat das gedauert und inzwischen ist das aber vorbei. Also mein Ziel ist es, die Aufmerksamkeit, die entstanden ist in der Debatte um die Nominierung, für die Sache zu nutzen."
"Die Sache" ist ihr großes Herzensthema: die deutsche Gleichstellungspolitik. Jeder Mensch solle wissen, dass er gegen Diskriminierung vorgehen könne, so Ataman. Dafür wolle sie mehr Anlauf- und Beratungsstellen und eine Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes durchsetzen, das zu den schwächsten in Europa gehöre.
„Die meisten Einrichtungen, Institutionen denken Frauen mit. Das ist etwas, was in den letzten Jahren und Jahrzehnten geschafft wurde. Aber den nächsten Schritt zu gehen und zu sagen, okay, wir fragen auch Menschen mit Migrationshintergrund, wir fragen auch Menschen mit Behinderung und so weiter, das passiert tatsächlich viel zu selten.“
Ataman holt mehr Kaffee. Jetzt ist sie in ihrem Element. Seit Jahren umkreist und beackert sie das Thema Antidiskriminierung von allen Seiten. Als Tochter türkischer Einwanderer, als Journalistin, als Aktivistin – jetzt also als Teil der Bundesregierung.
Immer noch Zeit für schnelle O-Töne
Mehrere Sitzungen und Termine später fährt sie mit dem Fahrrad zur nächsten Veranstaltung. Vor dem Veranstaltungssaal in Berlin-Neukölln wartet ein Fernsehteam. In einer Viertelstunde soll Ataman drinnen die Begrüßungsrede zum Fachtag Antidiskriminierungsberatung in Deutschland halten. Ein Blick auf die Uhr: Für einen Medienprofi wie sie reicht die Zeit für ein paar schnelle O-Töne.
"Wofür hab' ich einen Lippenstift, wenn nicht für solche Fälle." Ataman zupft den blauen Blazer zurecht, blinzelt kurz in die strahlende Herbstsonne. Dann geht es los.
„Aus meiner Sicht ist der Diskriminierungsschutz wichtig für 82 Millionen Menschen in Deutschland, also für alle. Weil alle früher oder später Diskriminierung erfahren können.“
Kurz vor Veranstaltungsbeginn betritt die Antidiskriminierungsbeauftragte schließlich den Tagungssaal. Vertreterinnen und Vertreter von Beratungsstellen, von Seniorengruppen, Gehörloseninitiativen, Parteien und Universitäten stürmen auf sie zu. Jeder im Raum kennt Ferda Ataman, fast jeder scheint ihr zugetan.
"Sie hat diese Aufgabe - wir werden sie unterstützen"
Das gelte inzwischen auch für manche, die ihre Nominierung einst kritisch sahen, so Gyde Jensen, stellvertretende Vorsitzende der FDP-Fraktion im Bundestag. "Deswegen war ein Gespräch, auch ein langes Gespräch bei uns in der Fraktion vor ihrer Wahl, etwas, was wir sehr geschätzt haben. Dass sie uns Rede und Antwort gestanden hat, das kam gut an, das kam auch bei Kollegen und Kolleginnen der Fraktion gut an. Und sie ist jetzt gewählt, sie hat diese Aufgabe, und bei der werden wir sie unterstützen."
Vor Ferda Ataman betreten die blinde Moderatorin Dörte Maack und eine Gebärdendolmetscherin die Bühne: „Können Sie einmal alle richtig kräftig summen, bitte?“ Ferda Ataman summt mit, zieht dann strahlend ihr Redemanuskript aus der Tasche. Heute soll jedes Wort sitzen.
"Aufgeregt bin ich eigentlich nicht. Es berührt mich noch alles sehr. Es ist noch sehr besonders. Also da ist noch keine Routine oder kein Gefühl von: Ach, jetzt geh ich da schnell hoch und halte eine Rede und geh dann wieder. Sondern ich glaube, ich bin schon mit all meinen Sinnen gerade hier und nehme das wahr. Also das muss ich echt immer wieder sagen. Es ist eine ganz besondere Stelle, ein ganz besonderer Arbeitsplatz, von dem ich auch noch viel lernen kann."