Femme fatale des Art Déco

Von Björn Stüben · 04.04.2006
Tamara de Lempicka gehört zu den Künstlerinnen des Art Déco, die diesen Stil perfekt beherrschte. Ihre Frauenporträts sind voller unterkühlter Erotik, die Körper scheinen wie aus Metall gegossen zu sein. In Paris zeigt eine Ausstellung nun über 50 ihrer Werke aus den 20er und 30er Jahren.
Makellos und scheinbar zeitlos schön, dennoch aalglatt und künstlich, statisch, metallisch glänzend und blutleer. Den Figuren, die den Bilderkosmos der Tamara de Lempicka bevölkern, lassen sich viele Eigenschaften zuschreiben. Sie sind jedoch vor allem eines: perfekt.

Schon früh beginnt die 1898 in Warschau geborene Tamara Gorska, sich für die Malerei und ihren gesellschaftlichen Aufstieg zu interessieren. 18-jährig heiratet sie den Grafen Tadeusz de Lempicki in Sankt Petersburg, mit dem sie gemeinsam vor der russischen Revolution nach Paris flieht. Hier und in Mailand macht sich Tamara de Lempicka seit Anfang der 20er Jahre einen Namen als Porträtistin der Schönen und Reichen. Es ist ihre eigene mondäne Welt, die sie immer wieder abbildet.

In der südwestlichen Pariser Vorstadt Boulogne-Billancourt sind jetzt über fünfzig ihrer Werke im Museum der 30er Jahre vereint. Michèle Lefrancois, die die Ausstellung zusammengestellt hat, über die Malerei der Art Déco-Künstlerin Tamara de Lempicka:

"Eigentlich hat sie sich immer selbst gemalt. Ein ganz persönliches Schönheitsideal prägt all ihre Werke. Immer ist es der gleiche sinnliche Mund mit den vollen Lippen oder es sind die großen stahlblauen Augen und vor allem die üppigen blonden Haare, die hervorstechen. Genau so hat Tamara de Lempicka in jungen Jahren ausgesehen. Somit ist jedes Porträt immer auch ein SelbstPorträt von ihr. Sie hat sich gerne fotografieren lassen und wie eine "femme fatale", wie Marlene Dietrich oder Greta Garbo posiert. Sie verkörpert somit einen Typ von Frau, der keine Gefühle zeigt."

Und doch zeigen die Frauengestalten der Tamara de Lempicka ein Gefühl, nämlich das der Überlegenheit, die sie dann offen zur Schau stellen. Die Herzogin de la Salle, die selbstbewusst in Männerkleidung und mit dem modischen Haarschnitt der Garçonne vor Großstadtkulisse posiert, ebenso wie die Tänzerin Suzy Solidor oder Marjorie, die ihre Hüllen fallen und ihre Reize spielen lassen. Für die reichlich unterkühlt wirkende Erotik vieler Porträts ist die Maltechnik der Tamara de Lempicka verantwortlich. Die Körper scheinen wie aus Metall gegossen zu sein.

"Sie war eine Schülerin von André Lhote, auf den der dekorative Kubismus ihrer Kunst zurückgeht. Ihr kühler Malstil spiegelt die Welt der Industrie, der Modernität ganz allgemein. Am häufigsten malt sie Porträts von Frauen, die oft als mechanische Puppen kritisiert wurden. Ihr Thema ist die moderne Frau, die sich alle Freiheiten erlaubt. Ihre Bildnisse verkörpern somit die emanzipierte Frau der Epoche, zu denen Tamara de Lempicka zweifellos selbst gehörte."

Tamara de Lempicka bedient sich ihrer Kunst zur Selbstinszenierung. Nur selten widmet sie sich anderen Themen. Eines ihrer frühen Bilder zeigt das Porträt eines Chinesen. Es ist unspektakulär und deswegen besonders gelungen.

Der "Kuss" heißt ein weiteres frühes Bild, das ein stark stilisiertes Paar in heftiger Umarmung zeigt. Die Bewegung verleiht dem Werk Dynamik und das Lächeln der Frau lässt es lebhaft wirken.

Das kommt in der Kunst der Tamara de Lempicka leider viel zu selten vor, da sie ihren Stil keinen Experimenten unterwerfen will. Schließlich ist er der Garant für ihren Erfolg als Malerin, der sie jedoch bald verlassen soll.

"Tamara de Lempicka ändert ihren Stil völlig, als sie zu Beginn des Zweiten Weltkriegs mit ihrem neuen Ehemann Baron Kuffner in die USA übersiedelt. Sie fliehen beide vor dem Nationalsozialismus, der Europa bedroht. Erst in Los Angeles und anschließend in New York lässt sich dieser Wandel zunächst an Äußerlichkeiten ablesen. War ihr berühmtes Pariser Atelier ganz puristisch in Grautönen und mit Metallmöbeln dekoriert, so richtet sie sich in New York völlig im Rokoko-Stil ein mit schweren Wandteppichen und unechten Möbeln der Zeit Ludwigs des XV. Einen radikalen Wechsel gibt es dann auch in ihrer Malerei. Sie malt jetzt eher konservative Stillleben und andere recht banale Themen."

Eine Mutter, die mit knochigen Händen ihr Kind an die Brust drückt, ist vor der Kulisse einer leeren Dorfstraße, in der sich ein Kirchturm in den wolkenschweren Himmel reckt, in Szene gesetzt. Die Haare zerzaust und mit Tränen in den Augen verkörpert die Frau den Titel des Bildes von 1940, "die Flucht". Ein theatralisches Werk, das beinahe die Grenze zum Kitsch überschreitet. Mit Themen wie diesen malt sich Tamara de Lempicka ins künstlerische Abseits nach 1945. Ihre große Zeit scheint vorüber zu sein. Bis Anfang der 1970er Jahre bleibt es eher still um sie und ihre Malerei.

Dann entdeckt ein junger Pariser Galerist ihre Werke der 30er Jahre wieder und so sind auch die Szenen des mondänen Paris der Zwischenkriegsära der Schwerpunkt der Schau in Boulogne-Billancourt. Ihre in Vitrinen präsentierte Haute-Couture-Garderobe und ihr mit Originalmöbeln in Teilen rekonstruiertes Pariser Appartement illustrieren die Jahre, in denen die Malerei der Tamara de Lempicka künstlerisch überzeugte und sie zu einer Inkunabel des Art Déco werden ließ.

Wohl der Vollständigkeit halber auch ihre Bilder mit Müttern auf der Flucht, Stillleben mit Kaffeemühlen und religiös verzückten Nonnen in der Schau zu zeigen, das hätte man den Besuchern eigentlich ersparen sollen.