Feministische soziale Medien

Alternativen zu Facebook, Tinder und Twitter

07:22 Minuten
Zeichnung einer Frau mit einem Smartphone.
Feministische Technologie will unter anderem dazu beitragen, Diskriminierungen in sozialen Netzwerken zu beseitigen. © Unsplash / Visuals
Von Vera Linß · 27.05.2021
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Kein Datenverkauf, keine Weiterverbreitung von Hass oder Fake News: Das verspricht das soziale Netzwerk Herd, das zwei US-Amerikanerinnen gegründet haben. Auch andere Frauen entwickeln Technologien, die das Netz sozial verträglicher machen sollen.
Trommeln für das neue soziale Netzwerk Herd: "Facebook, Twitter, Instagram, LinkedIn sind geschaffen worden von Männern und werden von Männern geführt. Aber es gibt zwei Frauen, die die Welt der sozialen Medien durchschütteln. Und das sind Ali Howard und Mady Dewey. Sie schaffen zum allerersten Mal eine App, die sich auf Frauen fokussiert."
Denn Herd will nichts weniger als den Begriff "soziale Medien" neu definieren. Schutz der Privatsphäre, keine Werbung, kein Verkauf von Daten, keine Weiterverbreitung von Hass oder Fake News – das sind die wichtigsten Regeln, die sich Herd gesetzt hat. Damit wollen die beiden Gründerinnen vor allem eines ermöglichen: echtes Zusammengehörigkeitsgefühl.

Eine Gemeinschaft, in der man sich wohlfühlt

Denn wirkliche Gemeinschaft haben die beiden in den sozialen Medien bisher nicht erlebt, wie Mady Dewey erzählt. "Wir haben festgestellt, dass die Plattformen nicht dazu beigetragen haben, unser Leben zu verbessern. Im Gegenteil. Mit der Zeit haben wir uns schlechter gefühlt. Als die Pandemie einschlug, waren Ali und ich weit entfernt von unserer Familie und fühlten uns isoliert. Wir sind in die sozialen Medien gegangen, um dort auf positive, uns aufbauende Gemeinschaften zu treffen. Aber stattdessen fühlten wir uns noch isolierter. Also sagten wir: Weißt du was? Wir können die sozialen Medien so gestalten, wie wir sie haben wollen. Warum machen wir sie nicht so, dass sie gut für uns sind?"
Die US-Amerikanerinnen Ali Howard und Mady Dewey sind nicht die einzigen, die einen digitalen Dienst schaffen, der sich speziell an die Bedürfnisse von Frauen richtet. In Berlin etwa fördert das gemeinnützige Unternehmen Superrr Projekte, die feministisch an Technologieentwicklung herangehen. Entstanden ist zum Beispiel eine nichtkommerzielle Zyklusapp, die persönliche Daten schützt und geschlechtsneutral gestaltet ist.

Was Frauen gut tut, nützt allen

Die Idee dahinter: Was für Frauen gut ist, nützt am Ende allen. Denn feministisch bedeute nicht, dass allein Frauen diskriminierungsfrei Technik nutzen können, sondern jeder – unabhängig vom Geschlecht, der sexuellen Präferenz oder der Hautfarbe, erklärt Julia Kloiber, Mitbegründern von Superrr. "Die große Vision ist, dass Menschen sich so entfalten können, wie sie es möchten und eben nicht eingeschränkt werden von Technologie und von den digitalen Werkzeugen, die uns umgeben. Also in ihrer Freiheit nicht behindert werden, sondern ganz im Gegenteil sich noch einmal neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit, der Kollaboration, der Empathie auftun, um miteinander zu kommunizieren und zusammenzuarbeiten. Also eigentlich eine positivere Zukunft als eine, auf die wir vielleicht gerade zusteuern mit unseren digitalen Lösungen."
Wie abträglich die Bedingungen für Frauen im digitalen Raum sind, wurde in den letzten Jahren mehr und mehr sichtbar. 87 Prozent der weiblichen Mitglieder des Deutschen Bundestages etwa haben laut einer Umfrage schon Hassrede erlebt. In anderen nationalen Parlamenten der Europäischen Union sind es rund 58 Prozent. Und nicht nur Politikerinnen sind betroffen. Laut der britischen Wohltätigkeitsorganisation Glitch gab die Hälfte der befragten Frauen an, online Anfeindungen erlebt zu haben.

Bumble als Alternative zu Tinder

Deshalb häufen sich die Forderungen nach härteren Strafen, aber auch die Bemühungen, mit Technologie Abhilfe zu schaffen. Ein weiteres Beispiel: die Dating-App Bumble, die 2014 als Alternative zu Tinder gegründet wurde und im Februar an die Börse gegangen ist.
"Da ist auch eine weibliche Gründerin dahinter. Zwar hat die mal Tinder mit aufgebaut und dann einfach gesehen, was da nicht so gut funktioniert", sagt Julia Kloiber. "Zum Beispiel, dass einfach Menschen übergriffige Kommentare bekommen auf diesen Plattformen. Die Dame hat dann Bumble gegründet. Was der Unterschied zu den normalen Dating-Apps ist, die wir so kennen: Dass man als Frau auf der Plattform den ersten Schritt machen muss. Das heißt, man kann nicht von jemandem kontaktiert werden, den man nicht zuerst selbst kontaktiert hat."
Beleidigungen und Hassrede wollen auch die Gründerinnen von Herd aus ihrem sozialen Netzwerk fernhalten. Auch hier soll das Design maßgeblich dazu beitragen. Zum Beispiel, indem die Anzahl der Kommentare, die pro Tag abgegeben werden können, begrenzt wird.

Keine Likes und Followerzahlen

Verzichten wollen Ali Howard und Mady Dewey aber auch auf Likes und Followerzahlen, wie sie in anderen sozialen Netzwerken üblich sind. Denn die sind aus Sicht der beiden Frauen ein weiterer Grund dafür, dass die herkömmlichen Angebote toxisch wirken.
"Soziale Medien basieren sehr stark darauf, dass man sich mit Hilfe von Zahlen vergleicht: Wie viele Likes und wie viele Kommentare bekommt ein Foto? Wie viele Follower hast du?", sagt Ali Howard. "Die Psychologie hinter dieser Matrix lautet: Das ist deine Bedeutung, das ist dein Wert. Wenn du so und so viele Follower hast, bist du weniger wert, als jemand, der viel mehr Follower hat. Frauen nervt diese Art des Umgangs miteinander in den sozialen Medien viel stärker als Männer."
Studien der Universität Bochum zum Beispiel belegen, dass das ständige Vergleichen im sozialen Netzwerk das Selbstwertgefühl senkt und depressiv machen kann. Wegen solcher Gefahren wollen die Gründerinnen von Herd deshalb mit der Möglichkeit experimentieren, dass man – statt mit Likes – verbal darüber Auskunft geben kann, wie einem ein Bild oder eine Äußerung gefällt.

Diskriminierungen im Netz beseitigen

Feministische Technologie will aber auch jenseits sozialer Netzwerke dazu beitragen, Diskriminierungen zu beseitigen. Das Projekt Multi Vocal aus Dänemark hat sich dafür Sprachassistenzsysteme vorgenommen.

"Viele von uns kennen die Alexas und die Siris, die alle irgendwie gleich klingen, wo man dann vielleicht noch einmal zwischen dem anderen Geschlecht wählen kann. Aber die aktuellen Systeme sind sehr begrenzt in Bezug darauf, was sie an Auswahl bieten", erklärt Julia Kloiber von der Organisation Superrr. "Und Multi Vocal arbeitet an synthetischen Stimmen, die mehr als ein Alter, mehr als eine geografische Herkunft, mehr als ein Geschlecht präsentieren können, um mehr Vielfältigkeit in unsere Systeme von Anfang an reinzupacken."
Allein auf Projekte wie Herd, Bumble oder Multi Vocal zu setzen, um für Frauen und Minderheiten bessere Kommunikationsräume zu schaffen, birgt allerdings auch Gefahren. Denn diese allein können in der Gesellschaft existierende Ungleichheiten nicht beseitigen. Julia Kloiber plädiert deshalb für die richtige Einordnung von Technologie.

"Was wir halt auch häufig sehen, ist, dass viele Probleme, die uns umgeben, dass die systemisch sind, dass sie sehr komplex sind und gar nicht von einer Stelle aus behoben oder verändert werden können, sondern dass es da ein Zusammenspiel von vielen Dingen braucht. Und Technologie kann eins dieser Werkzeuge sein, auf jeden Fall."
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