Felsen aus Beton und Glas

Von Adolf Stock |
Kirchen, Museen, Schlösser. Der deutsche Architekt Gottfried Böhm hat verschiedenste Gebäude gestaltet. Das Deutsche Architektur Museum in Frankfurt am Main zeigt nun seine Werke aus 60 Jahren, von den ersten Kirchenbauten im Rheinland bis zu dem neuen Hans Otto Theater in Potsdam, das demnächst eröffnet wird.
Was mit Beton doch alles geht: Man kann ihn falten, knicken und stapeln, und am Ende entstehen manchmal architektonische Wunderwerke, expressiv und gewaltig wie einsame Alpengipfel. Mit solchen Bauten ist Gottfried Böhm berühmt geworden, und sie bringen auch heute noch Besucher zum Staunen. Ausstellungskurator Wolfgang Voigt:

"Der Böhm wollte eigentlich Bildhauer werden und hat dann beide Berufe erlernt, und das sieht man dann nachher. Er hat in den 60er Jahren ja diese berühmt gewordene kristalline Phase, das sind diese Sichtbeton-Gebirge, die er baut, das sind fast immer Kirchen, das sind ganz phantastische Volumen, und es ist kein Wunder, dass der Mann eben auch Bildhauer gelernt hat."

Die Wallfahrtskirche in Neviges von 1972 ist Gottfried Böhms wichtigster Kirchenbau. Es ist eine archaisch-kräftige Architektur, die sich auch in der Ausstellung mit expressiver Wucht behauptet. Ein riesiges Holzmodell, großformatige Fotos und Kohlezeichnungen, die Gottfried Böhm mit kraftvollen Strichen gezeichnet hat, dokumentieren den sakralen Bau. Peter Cachola Schmal, Direktor des Deutschen Architekturmuseums.

"Er ist ein sehr körperhaft arbeitender Architekt. Das heißt, was Sie sehen, sind Baukörper, obwohl wir durch die Fortschritte der Bautechnik die Möglichkeiten haben, unser Behaustsein auch recht transparent und ephemer darzustellen. Insofern ist er schon ein singulärer Mann, denn was stellt sich der Sonne noch in den Lauf? Was wirft also noch einen Schatten?

Also die Frage von Licht und Schatten ist eine Frage im Werk von Gottfried Böhm, die er beantworten kann. Diese besondere mystische. körperhafte, sinnliche, Licht und Schatten ausnutzende Architektur, das ist Böhms roter Faden, und sie verkörpern sich natürlich am besten in seinen Kirchen."

Der Betonfels in Neviges war Höhepunkt und Endpunkt zugleich. Anfang der 70er Jahre endete der sakrale Bau-Boom der Nachkriegszeit. Bis dahin hatte Böhm 69 Kirchen gebaut, doch jetzt musste er sich andere, profanere Bauaufgaben suchen.

Das Rathaus in Bensberg von 1967 ergänzt eine historische Burganlage, die Böhm zwar respektiert aber mit seiner eigenen ausdrucksstarken Architektur konfrontiert. Nichts für klassische Denkmalpfleger, aber ein Fanal für mutiges und selbstbewusstes Bauen. Das Prinzip, die historische Bausubstanz zu erhalten und mit moderner Architektur zu ergänzen, hat Böhm später vielfach variiert.

Die Restaurierung des Schlosses in Saarbrücken mit dem gläsernen Neubau des Mittelrisalits entspricht ebenso diesem Prinzip wie sein nicht gebauter Entwurf für den Umbau des Berliner Reichstagsgebäudes, den Ex-Kanzler Helmut Kohl kurz vor der Wende in Auftrag gab, um die Berliner Gemüter wegen des neuen Plenarsaals in Bonn ein wenig zu beschwichtigen. Gottfried Böhm schlug eine begehbare Glaskuppel vor. Eine geniale Idee, die mit Sir Norman Fosters Reichstagskuppel ein Jahrzehnt später Wirklichkeit wurde.

Mit dem Züblin-Haus in Stuttgart, ein Verwaltungsgebäude von 1985, konnte Böhm seine innovative Kraft wieder einmal beweisen.

Wolfgang Voigt:"Wir sprechen vom Prinzip des eingehausten Stadtraumes, das Gottfried Böhm wie kein anderer vorangetrieben hat, in den 70er und 80er Jahren. Das ist der Versuch, dem Stadtbewohner den vom Auto okkupierten Raum zurückzugeben. Und er tut diesen Raum unter Glasdächer, und das kommt zu ganz großer Form im Züblin-Verwaltungsgebäude in Stuttgart, und damit hat Gottfried einen Typus geschaffen. Das ist viel imitiert worden, aber wenige haben das so gut hingekriegt wie er."

Zwischen zwei Betonriegeln aus Fertigteilen setzte Böhm eine riesige gläserne Halle. Eigentlich ein überflüssiger Raum, doch schon bald war auch den Skeptikern klar, hier steht ein wunderbares Foyer mit ganz neuen kommunikativen Möglichkeiten. Heute ist die gesamte Republik von Hamburg bis München mit solchen Atrien gepflastert.

In Frankfurt lässt sich der Prototyp dieser Glaspaläste bestaunen. Doch genau genommen blieb sich Böhm auch diesmal treu, denn er verwendet den Baustoff Glas kaum anders als Stein und Beton. Die kompakten Glasflächen der Ulmer Stadtbibliothek von 1998 wirken so robust wie standhafte Mauern. Jetzt steht eine robuste Glaspyramide mitten in der Altstadt von Ulm, während Böhm schon drei Jahre zuvor einem Berliner Kaufhaus ein gläsernes, schwingendes Faltenkleid gab, das nur die Passanten erfreut und manchmal ein wenig vor Regen schützt.

Nicht alle Entwürfe sind gut. Manchmal geraten die Innenräume weit besser als die Außenhülle. Die Deutschen Bank in Luxemburg von 1991 ist so ein Fall. Von außen mag man das brutale Ding erst gar nicht näher betrachten. Beim Diözesanmuseum in Paderborn ist es genau umgekehrt. Der kompakte Bau von 1975 gibt dem Platz vor dem Dom wieder Halt und Kontur, doch innen ist das Konzept der offenen Museumslandschaft, mit all den vielen Winkeln, Absätzen und Treppen eher eine Zumutung für die Exponate und die Museumsbesucher.

Bis heute ist Gottfried Böhm für Überraschungen gut. Mit seinem neuen Theater in Potsdam baut er zum ersten Mal ein Gebäude mit übereinander gestaffelten Schalen, die er in den letzten Jahren so sehr liebt. Entwürfe für Konzerthäuser in Japan und Luxemburg gibt es leider nur auf dem Papier. Schon vor 50 Jahre hatte sich Böhm für leichte, filigrane Betonschalen interessiert. Doch diesmal, sagt Wolfgang Voigt, ist es noch etwas anderes.

"Er hat uns erklärt, dass die Idee ihm gekommen ist in einem Tempel in Japan, wo er eine Buddhafigur gefunden hat. Und diese Buddhafigur wird von einer Statue begleitet, und das ist irgendwie ein Diener oder ein Wächter, und der hält so ein Palmwedel, so beschützend, behütend über diesen Buddha und das hat ihn sehr berührt, und daraus entstanden diese Schalen."

Leuchtend rot setzen die gestapelten Schalen ein unübersehbares Zeichen. Es ist, als würde die sonst so kompakte tiefschwarze Theaterkiste am Ufer der Havel gleich abheben zum Flug. Und wenn man so will, ist auch das noch ganz typisch für den Baumeister Böhm, der seit 60 Jahren heilige und profane Räume schafft, die zum Gespräch einladen mit Gott und der Welt.