Feinde der Demokratie

Von Bernd Wagner · 09.01.2007
Wenn wir angesichts einer Umfrage erschrecken, die eine wachsende Zahl von Demokratiefeinden konstatiert, spricht das vor allem für unseren Wunsch nach Harmonie. In seiner seit je prekären Existenz braucht der Mensch Gewissheiten, sucht er nach Konsens und von allen akzeptierten Vereinbarungen. In früheren Gesellschaften lieferte diese die Religion, in unserer hoffen wir sie im Begriff der "Demokratie" zu finden.
Dabei wenden sich unsere angstvollen Blicke automatisch nach rechts, als ob Gefahren nur dort lauerten. "Rechts" ist zu einem Synonym für Demokratiefeindlichkeit geworden, obwohl es nichts anderes bezeichnet als die, neben der "linken", liberal-emanzipatorischen, zweite, nämlich national-konservative Grundtendenz der demokratischen Bewegung. Erst seitdem es Konservatismus nur noch mit dem Zusatz "Neo" gibt, seitdem er in seiner ursprünglichen, verantwortungsvollen Form aus der Gesellschaft und den Parteien zu verschwinden im Begriff ist, kann jeder Glatzen- und Stiefelträger als "Rechter" beschimpft werden oder sich so verstehen.

Er ist ein Vertreter jener Gegner, die die Demokratie immer haben wird. Von Beginn an war sie auf einen engen Kreis von Staaten beschränkt, hatte sie Feinde innen und außen, die ihre Privilegien gefährdet sahen oder sich vor den neuen Freiheiten mehr fürchteten als sie ersehnten.

Die Geschichte der totalitären Bewegungen ist, von Kommunismus und Faschismus bis zum Islamismus, die Geschichte des Widerstands gegen diese gefürchteten Freiheiten. Er drohte immer dann die Demokratie zu vernichten, wenn diese ihm genügend Anhänger zuführte. Denn wie jede menschliche Einrichtung kennt auch die Demokratie Schattenseiten. Vergessen wir nicht: demokratische Staaten waren es, die Sokrates den Schierlingsbecher schickten und Hitler zum Reichskanzler machten. Wenn Hanna Arendts Definition vom Totalitarismus als einer Erscheinung zutrifft, die zuerst Menschen überflüssig macht, um sie dann zu beseitigen, dann ist die Demokratie permanent von ihm bedroht, zumal im postindustriellen Zeitalter. Wo Menschen mit Massenarbeitslosigkeit leben müssen, wächst die Zahl der Demokratiegegner.

Ihre Unterscheidung in Feinde von rechts und von links lässt die Gegensätze zwischen ihnen größer erscheinen, als sie sind. Wichtiger sind die Gemeinsamkeiten ihrer Anhängerschaft. Im Wesentlichen rekrutiert sie sich aus den auf Handarbeit angewiesenen Menschen, die durch Maschinen, Automaten, Computer überflüssig geworden sind.

Deutschland hat im vergangenen Jahrhundert zwei Diktaturen erlebt, die im Namen dieser bedrohten Bevölkerungsschicht die Gesetze der Demokratie außer Kraft setzten. Der damit verbundene Ruin der bürgerlichen Gesellschaft, die bis zum Völkermord gehenden Verbrechen haben zu recht hellhörig gemacht für jede Infragestellung der Demokratie. Allerdings ist dabei ein frappierendes Ungleichgewicht im Umgang mit dem Erbe der beiden Diktaturen zu beobachten. Während der als "rechts" apostrophierte Extremismus nach einer zwei Jahrzehnte dauernden Schockstarre als die eigentliche Gefahr für die Gesellschaft betrachtet wird, ist der als "links" firmierende mehr und mehr dabei, sich in sie zu integrieren. Vielleicht liegt es daran, dass die DDR erst vor anderthalb Jahrzehnten untergegangen ist und sich über Tote leichter urteilen lässt als über Lebende; vielleicht daran, dass uns der sibirische Gulag entfernter war als die deutschen Konzentrationslager. Tatsache ist jedenfalls, dass man der NPD durch Verbotsanträge und "Aufstände der Anständigen" Herr zu werden versucht und die PDS unterdessen Posten in Landesministerien, Berliner Senat und Kommunen besetzt.

Die eine Gefahr scheint mir dabei nicht weniger groß zu sein als die andere; die Unterwanderung der Institutionen mit postkommunistischen Kadern nicht ungefährlicher als die Sammlung des Protestpotenzials unter nationaler Flagge. Dass sich dabei die Demagogen am so genannten "rechten" Rand immer erfolgreicher als die Sachwalter der seit kurzem so genannten "Unterschicht" aufspielen können, ist nur natürlich. Anders als die Internationalisten bietet sie ihr in der sich globalisierenden Welt eine letzte Möglichkeit der Identitätsfindung: die "Deutscher" zu sein, und zwar, wie schon in der Weimarer Republik, "armer Deutscher".

Das Falscheste, was man mit diesen Feinden der Demokratie machen kann, ist, sie zu Feinden der Menschheit zu stilisieren, zu Unberührbaren. Vor allem sind sie eins: Produkte einer Gesellschaft, die es verlernt hat, noch andere als ökonomische Ziele zu verfolgen. Die Unfähigkeit, ihnen Lebensperspektiven zu bieten, kommt vor allem aus der Furcht, dabei regulierende Maßnahmen treffen zu müssen, die durch diktatorischen Gebrauch diskreditiert sind. Man wird diese Furcht überwinden müssen. Die Demokratie ist immer gefährdet; sie wird sich, ohne es zu bemerken, ihr eigenes Grab schaufeln, wenn sie aus Ignoranz weiter wie bisher ihre Feinde selbst produziert.

Bernd Wagner, Schriftsteller, 1948 im sächsischen Wurzen geboren, war Lehrer in der DDR und bekam durch seine schriftstellerische Arbeit Kontakt zur Literaturszene in Ost-Berlin. 1976 erschien sein erster Band mit Erzählungen, wenig später schied er aus dem Lehrerberuf. Von Wagner, der sich dem Protest gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns anschloss, erschienen neben einem Gedichtband mehrere Prosabände und Kinderbücher. Als die Veröffentlichung kritischer Texte in der DDR immer schwieriger wurde, gründete Wagner gemeinsam mit anderen die Zeitschrift "Mikado". Wegen zunehmender Repression der Staatsorgane siedelte er 1985 nach West-Berlin über. Zu seinen wichtigsten Büchern zählen "Die Wut im Koffer. Kalamazonische Reden 1-11" (1993) sowie die Romane "Paradies" (1997) und "Club Oblomow" (1999). Zuletzt erschien "Wie ich nach Chihuahua kam".