Feindbild Raucher?

Von Reinhard Kreissl |
Haben Sie mal Feuer? Wer so fragt, macht sich vermutlich bald strafbar. Raucher sind die Idealbesetzung des öffentlichen Feindes. Eine Stadt sucht ihren Raucher, und der steht in einer Reihe mit Kinderschändern, Stalkern und Sozialhilfeschmarotzern.
Figuren, die man guten Gewissens hassen kann, die sich in den Augen der anderen dem Laster hingeben, ihre Triebe nicht unter Kontrolle haben und eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellen. In der politischen Arena tummeln sich derweilen Buß- und Hassprediger, Sicherheits- und Gesundheitsexperten, die zu Umkehr und bei Widerstand zur Hatz aufrufen. Hört auf, schwört dem Bösen ab und wer bei drei noch eine brennende Zigarette in der Hand hat, dessen Krankenversicherung verlangt einen Aufschlag von fünfzig Prozent wegen selbstverschuldeter Gesundheitsrisiken.

Faszinierend und erschreckend die Erregung, die sich an diesen für vogelfrei erklärten Figuren entzündet. Vielleicht hat es damit zu tun, dass Verbote das einzige sind, was diese Gesellschaft noch zusammenhält. Vielleicht brauchen wir die Vorschriften und Grenzziehungen, die im Angesicht eines sich verflüssigenden Alltags Sicherheit und Halt suggerieren. Wir wissen zwar nicht was zu tun ist, aber wenigstens wissen wir, was verboten ist.

Und Raucher sind keine Randgruppe mit kulturellem Kuschelfaktor. Raucher zu verdammen ist politisch völlig korrekt. Man kommt nicht in Verdacht, etwas gegen andere Lebensformen oder die pluralistische multikulturelle Gesellschaft zu haben. Man weiß die Wissenschaft auf seiner Seite - Rauchen ist nachgewiesenermaßen ungesund für alle Beteiligten und daher auch in Kindertagesstätten verboten.

Die Begründungsfiguren der Verfechter umfassender Verbote laufen auf ein Thema zu, das in unserer Gesellschaft zunehmend an Prominenz gewinnt: die Sorge um die Opfer, deren Freiheit und Gesundheit durch die hemmungslosen Raucher gefährdet wird. Wer es heute zu etwas bringen will im öffentlich Diskurs, der frage sich zuallererst: Wie mache ich mich zum Betroffenen, zum Opfer und Geschädigten? Schädigungen aber lassen sich immer nur vor dem Hintergrund eines Ideals der unbeschädigten, gesunden, normalen, wünschenswerten Existenz und Lebensweise definieren.

Und darüber denken die Moralunternehmer des neuen Prohibitionismus selten nach. Eine Welt, in der alles, was möglicherweise gefährlich und gesundheitsschädlich ist, was gegen die unveräußerlichen Rechte von Mensch und Tier verstößt, von Amts wegen verboten wäre, mag man sich lieber nicht vorstellen. Der Markt der moralischen Empörungen funktioniert wie jeder andere auch: man muss die knappe Aufmerksamkeit durch möglichst bedrohliche Bedrohungen, durch möglichst moralische Moral binden. Auf diesem Markt tummeln sich die Reichsbedenkenträger, die für ihr legitimes Anliegen die Trommel schlagen: Schützt die Opfer, jagt die Täter! Man kann nur warnen vor Kampagnen, die sich die Volksgesundheit auf das Banner schreiben und die Welt in Opfer und Schädlinge unterteilen.

Vielleicht wäre der kulturelle Sinn dieser Jagd auf die rauchenden Außenseiter anders besser zu entziffern. Handelt es sich hier nicht um eine Variation des altbekannten Themas von Disziplin und Ordnung? Es lässt sich eine Linie ziehen von der Videoüberwachung des öffentlichen Raums über die erniedrigend-lächerlichen Befingerungen an Flughäfen, von der politischen Gier nach biometrischer Identifizierung in den neuen Personaldokumenten und genetischen Fingerabdrücken, bis hin zu den ausgeschilderten Raucherecken auf den Bahnhöfen. All das - so sagt man uns - dient unserer Sicherheit, ist zu unserem Besten und zudem im Angesicht der allseits drohenden Gefahren notwendig. All diese Maßnahmen verdichten sich aber auch zu einer kafkaesken Gestalt des Bürgers als grundsätzlich verdächtigem und unselbstständigem Untertan.

Am Horizont winken Nietzsches letzte Menschen. Nur wer der Norm entspricht, wer beim Zählen und Messen nicht vom Mittelwert abweicht, darf passieren. Man gibt uns vor, was zu tun, auf welcher Seite der Strasse zu gehen ist, was wir essen und trinken, wen wir lieben und hassen sollen. Und wer anders ist, der hat ein Problem. Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker. Warum nicht mich selbst? Die Antwort liegt auf der Hand: Der Einzelne kann sich nicht mehr trauen. Er ist ausgehöhlt, hört keine innere Stimme mehr. Er weiß nicht, was gut für ihn ist und was schlecht. Man muss ihm sagen, dass Flachbildschirme besser und Rauchen ungesund ist. Er hängt am Tropf der täglich wechselnden Expertenmeinungen, kauft nach den Empfehlungen von Stiftung Warentest und sucht seine Lebenspartner nach den Kriterien der Onlinepsychotests. Die existenzielle Angst, die sich darin ausdrückt, führt zur Erstarrung. Und so steht unser tief unten von präventiver Paranoia gelähmter Nichtraucher zweifelnd vor den vielfältigen Angeboten des gesunden Lebens, Hanteln schwingend für ewige Fitness - hätte er eine Hand frei, ich würde ihm eine Zigarette anbieten.


Dr. Reinhard Kreissl, geb. 1952, ist Soziologe und Publizist. Studium in München, Promotion in Frankfurt/Main. Habilitation an der Universität Wuppertal. Kreissl hat u. a. an den Universitäten San Diego, Berkeley und Melbourne gearbeitet. Er hat zahlreiche wissenschaftliche Publikationen verfasst und schrieb regelmäßig für das Feuilleton der "Süddeutschen Zeitung". Letzte Buchpublikation: "Die ewige Zweite. Warum die Macht den Frauen immer eine Nasenlänge voraus ist". Kreissl lebt in München und Wien.