Feilschen um Berlin

Von Volker Ullrich · 11.05.2009
Am 11. Mai 1959 trafen sich in Genf die Außenminister der vier Siegermächte des Zweiten Weltkriegs, um über eine Lösung des Berlin- und Deutschland-Problems zu beraten. An der Konferenz nahmen zum ersten Mal auch Delegationen der Bundesrepublik und der DDR teil. Die Verhandlungen endeten, ohne dass ein konkretes Ergebnis erzielt worden wäre.
"Unter Schmerzen ist die Konferenz der Außenminister eröffnet worden. Sie geriet in ihre erste Krise, bevor sie überhaupt begann. Das hat selbst die Erwartungen der Pessimisten übertroffen, und es sind nicht wenige, die als Pessimisten zu dieser Konferenz gereist sind, unter den Politikern wie unter den Journalisten."

Mit diesen Worten kommentierte der Journalist Werner Titze in der Sendung "Tribüne der Zeit" den Beginn der Außenministerkonferenz der vier Siegermächte in Genf am 11. Mai 1959. Tatsächlich stand diese Konferenz von Anfang an unter einem Unstern.

Seit Monaten hatte die Sowjetunion versucht, im Rahmen einer großangelegten politischen Offensive den prekären Status quo entlang des Eisernen Vorhangs zu ihren Gunsten zu verändern. In Noten an die drei Westmächte vom 27. November 1958 hatte Nikita Chruschtschow, der Generalsekretär der KPdSU, den Viermächtestatus Berlins aufgekündigt und Verhandlungen über eine Umwandlung der geteilten Metropole in eine entmilitarisierte "Freie Stadt" gefordert.

Für den Fall, dass dieses Ziel nicht innerhalb eines Jahres erreicht werden sollte, kündigte der Kremlchef die Übertragung der sowjetischen Rechte über die Zufahrtswege nach Berlin an das SED-Regime an. Dem Ultimatum ließ er am 10. Januar 1959 den Entwurf eines Friedensvertrages folgen, verbunden mit dem Vorschlag zur Einberufung einer Gipfelkonferenz. Die sowjetische Drohung löste in den westlichen Hauptstädten Angst vor einem neuen Krieg aus. Bundeskanzler Konrad Adenauer befürchtete, die Westmächte könnten sich dem Erpressungsversuch Chruschtschows gegenüber zu nachgiebig zeigen, und warnte in einem Schreiben an den amerikanischen Außenminister John Foster Dulles:

"Es ist unmöglich, irgendeinem Vorschlag zuzustimmen, der die Sowjets dem Ziel, die bestimmende wirtschaftliche Macht der Welt zu werden, näherbrächte. Unter keinen Umständen darf die jetzige Verbindung der Bundesrepublik mit dem Westen irgendwie geschwächt werden."

In ihrer Antwort auf das Ultimatum betonten die Westmächte zwar ihre Entschlossenheit, ihre Rechte in Berlin zu verteidigen, zugleich aber boten sie Verhandlungen an. Wegen Berlin einen dritten Weltkrieg zu riskieren, der sich zu einem nuklearen Konflikt ausweiten konnte - das wollten sie auf jeden Fall vermeiden. Anstelle einer Gipfelkonferenz einigte man sich schließlich auf eine Außenministerkonferenz, die in zwei Runden - vom 11. Mai bis zum 20. Juni und vom 13. Juli bis zum 5. August - in Genf tagte.

Noch vor ihrem Beginn wäre es fast zu einem Eklat gekommen. Die Sowjetunion wollte, dass die Delegationen der beiden deutschen Staaten als gleichberechtigte Partner am Konferenztisch Platz nehmen sollten. Das hätte eine De-facto-Anerkennung der DDR bedeutet, die weder für die Bundesrepublik noch für die Westmächte in Frage kam. Als Kompromiss einigte man sich darauf, dass die deutschen Delegationen als Beobachter im selben Raum, aber an "Katzentischen" teilnehmen sollten.

Der amerikanische Außenminister Christian Herter, der die Nachfolge des krebskranken Dulles angetreten hatte, legte nun seinerseits einen Plan vor, der eine stufenweise Annäherung der beiden deutschen Staaten vorsah, an deren Ende die Wiedervereinigung und der Abschluss eines Friedensvertrages stehen sollten. Zum ersten Mal zeigten die Westmächte die Bereitschaft, die Lösung der Berlin-Frage von der Frage der Wiedervereinigung abzukoppeln, was der Regierende Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt, mit Besorgnis registrierte. Auf einer Pressekonferenz in Genf Anfang Juni 1959 erinnerte er daran, wer die Verantwortung für die Berlin-Krise trug.

"Sofern von einem Kalten Krieg in und um Berlin zu sprechen ist, muss festgestellt werden, dass er eine Folge der Unterdrückungs- und Abschnürungsmaßnahmen in der sowjetisch besetzten Zone ist und von dem der DDR aufgezwungenen Ulbricht-Regime mit einer Skrupellosigkeit sondergleichen geführt wird."

Allerdings beharrte die Sowjetunion auf der sofortigen Unterzeichnung eines Friedensvertrages mit beiden deutschen Staaten als Voraussetzung für alles Weitere. So liefen sich die Verhandlungen bald fest. Als die Konferenz am 5. August zu Ende ging, hatten sich die Teilnehmer nicht einmal auf eine Interimslösung für Berlin einigen können.

Das einzige positive Ergebnis war, dass die Sowjetunion ihr Ultimatum, dessen Frist Ende Mai 1959 abgelaufen war, inzwischen stillschweigend kassiert hatte. Es sollten noch einmal 30 Jahre vergehen, bis die vier Siegermächte des Zweiten Weltkrieges sich nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Systems 1989/90 auf eine endgültige Regelung des Berlin- und Deutschland-Problems einigen konnten.