Feiern? Nein danke!

Von Susanne Lettenbauer |
Jubiläum ohne Jubel: Zum 100. Mal hebt sich in Bayreuth der Festspielvorhang - und keiner feiert mit. Nicht die Bevölkerung, nicht die Stadtspitze. Bayreuth holt stattdessen Luft bis zum nächsten Jubiläum 2013, dem 200. Geburtstag Richard Wagners.
Vielleicht war es die Auszeichnung "Regisseur des Jahres", die den greisen Wolfgang Wagner 2006 sofort nach dem jungen wilden Berliner Sebastian Baumgarten rufen ließ. Vielleicht war der Enkel Richard Wagners damals tatsächlich überzeugt von der Arbeit des in der DDR mit Theatertraditionen groß gewordenen Regisseurs, der vor nicht langer Zeit im nahen Meiningen als Oberspielleiter gehasst wurde vom Publikum. 21 Jahre lang steuerte dessen Großvater Hans Pischner die Berliner Staatsoper Unter den Linden. Zur Premiere will der 97-Jährige nach Bayreuth kommen.

2011 gehört der Grüne Hügel also Sebastian Baumgarten und der Neuinszenierung von Wagners Tannhäuser. Dieser Oper über den Sängerkrieg auf der Wartburg, ein Werk über kreative Anarchie in Kollision zu gesellschaftlichen Normen. Nach Philippe Arlauds poppigem Farbencocktail für einen nichtssagenden Fantasy-Tannhäuser nun also die Sichtweise des als Operndekonstrukteur beäugten Berliners vom Prenzlauer Berg mit Assistenzerfahrung bei Robert Wilson, Ruth Berghaus, Heiner Müller.

Lässig gibt er sich im Interview, schnoddrig mit Berliner Slang und kein wenig beeindruckt von der Tradition der Wagnerschen Festspielscheune. Ja, natürlich habe er die Wartburg besucht, dort wo man die Tintenfässer an die Wand wirft. Ja, er wisse, dass es einem Tabubruch gleiche, auf die Bayreuther Festspielbühne 50 Zuschauer zu setzen, die das Geheimnis von Wagners geschlossenem Orchestergraben völlig geheimnislos viereinhalb Stunden lang beobachten können. Hinter sich die voll gestellte Bühne des niederländischen Künstler Joep van Lieshout: froschgrüne Biogascontainer neben riesigen Holzcontainern, im Hintergrund eine knallrote Alkoholaufbereitungsanlage, der "Alkoholator". Darüber zwei Stockwerke mit Schlaf- und Essensräumen – die Wartburg, immer wieder bespielt mit ruckelnden Schwarzweiß-Videos. Dazu Schlagwörter an den Burgwänden – das alles erinnert auffällig an Christoph Schlingensiefs Parsifal von 2004 und an Heiner Müllers "Tristan" von 1993, wichtige Vorbilder wie Debütregisseur Sebastian Baumgarten zugibt. Die Wartburg – für Sebastian Baumgarten eine autarke Welt auf dem schmalen Grat zwischen Kommune und Diktatur:

"Na ja gut, es geht um eine abgeschlossene Konstruktion, die sich abschirmt nach außen, also sie ist unabhängig. Das war in der Burg so. Jeder, der über die Grenze ging, war entweder geschützt durch diese Gemeinschaft oder vogelfrei und dann zum Abschuss freigegeben. Das ist ja auch das Problem vom Tannhäuser, dass er eigentlich rausgeworfen und daran verrecken würde, wenn nicht dieser Weg nach Rom als Wunsch von Elisabeth ihm zumindest eine Möglichkeit gibt zu überleben."

In eher kryptischen Andeutungen versucht Baumgarten sein Konzept zu erklären. Viele der von Heiner Müller und der Dialektik marxistischer Schule geprägten Antworten werfen indes mehr Fragen auf. Wenn es um den inneren Konflikt des Tannhäusers geht, er zwischen Venusberg, also dem Lusttempel, und der Wartburg, Hort von Zucht und Ordnung, hin und her pendelt:

"Ja, die Unmöglichkeit, diesen Widerspruch in so einer Synthese aufzuheben, also sozusagen in dem dauerhaft sich Rausproduzieren aus jeder Situation, in der er sich befindet, egal ob er in der Wartburg ist und plötzlich anfängt, geordnete Lieder zu singen oder ob er dann wiederum in der Wartburg ausrastet und den Exzess des Venusbergs wieder sucht, auch übers Singen, das alles sind Motive, die quasi jemanden zeigen, der nie aufhört sozusagen in Bewegung zu sein und damit zu leben. Das ist zumindest meine These."

Für Baumgarten liegt die Erlösung nur in der Transformation Tannhäusers zu einem Gott. Dessen Credo, dass er zeit seines menschlichen Lebens "dem Wechsel untertan" sei, vergleicht der Regisseur sogar mit Rockmusik. Wagners Tannhäuser als Vorläufer von Jim Morrison, Kurt Cobain und Rammstein?

"Das bedeutet ziemlich ekstatische Zustände, das bedeutet eine ziemliche Erschöpfung auch der physischen Kraft, des Körpers und dieses Sich-Verausgaben, Sich-Veräußernwollen, Sich-Verbrennenwollen, auch ein Stück weit Heldenfigurpotenzial der Rockmusiker - Lindemann, Rammstein."

In all den Gesprächen vergisst man fast, dass dieser Tannhäuser die 100. Wagner-Festspiele eröffnet. Eine kleine Broschüre soll zur Premiere darauf hinweisen. Ansonsten – Fehlanzeige. Zum 100. Mal hebt sich kommenden Montag in Bayreuth der im Übrigen nagelneue Festspielvorhang, und keiner feiert mit. Nicht die Bevölkerung, nicht die Stadtspitze. Keine besondere Festspieldekoration, keine Sondereditionen in den Buchhandlungen – business as usal, so der Eindruck auf den Besucher. Dass Bayreuth einmal die 100. Auflage der Wagner-Festspiele erleben würde, daran hatte noch nicht einmal Richard Wagner geglaubt. Einzig der Sonderdruck der örtlichen Zeitung gibt einen kleinen Rückblick auf die Festspielgeschichte.

Bayreuth holt stattdessen Luft bis zum nächsten Jubiläum 2013, dem 200. Geburtstag Richard Wagners, wofür bereits seit fast zehn Jahren geplant wird. Dann soll auch Wahnfried, das berühmte Wagner-Wohnhaus mit einer neu gestalteten Dauerausstellung wieder eröffnet sein. Falls bis dahin die Finanzierung des umstrittenen Museumsanbaus geregelt werden kann.

Der Grund: Seit dem Tod Wolfgangs Wagners vor einem Jahr wollen und können viele beim Thema Richard Wagner mitreden. Die Umwandlung der Festspiele in ein maßgeblich von Bund, Land und der Stadt finanziertes Theaterereignis hat zu einem so komplexen Wirrwarr in Struktur und Finanzierung dieser Kultureinrichtung geführt, dass selbst Kenner Probleme damit haben, wer nun wofür zuständig ist.