Fehler machen gehört dazu
Welche Werte sollten in der Erziehung heute eine Rolle spielen, wenn sie neuen Familienkonstellationen gerecht werden wollen? Jesper Juul appelliert in seinem Buch an verunsicherte Eltern, sich nicht dem Druck des Perfektionismus auszusetzen. Anhand von Beispielgesprächen entwickelt der dänische Familientherapeut vier Säulen für den Umgang mit Kindern in der Familie.
Erziehung, so scheint es, ist ein vermintes Gelände, in dem Eltern nur noch Fehler machen können. Herrschte früher Einigkeit darüber, was falsch und was richtig ist, schwimmen Eltern heute in einer wahren Flut unterschiedlicher Erziehungskonzepte und -methoden oft orientierungslos umher.
Was sage ich meinem zweijährigen Sohn, wenn er noch nicht schlafen will? Wie reagiere ich darauf, wenn meine 12-jährige Tochter ein Piercing will? Und was mache ich, wenn ein Fünfjähriger kein Gemüse essen mag? Reagiere ich streng? Autoritär? Lasse ich alles zu, damit sich mein Kind frei entfalten kann? Oder züchte ich damit einen kleinen Egoisten heran, der später die gesamte Familie terrorisiert?
Verunsicherung trifft als Beschreibung der Situation heutiger Eltern wohl am besten zu. Wie sonst ist es zu erklären, dass der Markt an Erziehungsratgebern boomt wie kaum ein anderer und Sendungen wie "Die Supernanny" Einschaltquoten von über fünf Millionen Zuschauern erreichen. Allzu oft hoffen geplagte Eltern hier, Antworten und Lösungen auf ihre Probleme zu erhalten. Dass Kinder dabei in erschreckendem Maß zu Objekten reduziert werden, die wie Automaten funktionieren sollen, wird dabei oft billigend in Kauf genommen. Zumal viele überforderte Eltern geradezu neidvoll zurückschauen in eine Zeit, als noch jeder wusste, was man macht und was man nicht macht. Das fehlt heute, glücklicherweise muss man sagen. Und trotzdem: Der fehlende gesellschaftliche Konsens verunsichert, wenn man auf der Suche nach Werten in der Erziehung ist.
Und genau an diesem Punkt setzt Jesper Juul mit seinem klugen und überaus lesenswerten Buch "Was Familien trägt" an: Da wir mitten im gesellschaftlichen Umbruch leben, schreibt der dänische Familientherapeut, müssen neue Werte her. Werte, die heutigen Familien gerecht werden, wo die althergebrachte Kernfamilie bestehend aus Vater, Mutter und Kind oder Kindern längst nicht mehr die Norm ist. Vielmehr gehören heute Alleinerziehende, geschiedene Eltern, Patchworkfamilien, homosexuelle Paare mit Kind, Adoptiv- und Pflegefamilien mit zum Gesamtbild dazu.
Dass sie unterschiedliche Ansprüche und Erwartungen bedienen müssen, ergibt sich von selbst. Doch so verschieden sie in ihren Konstellationen auch sind, ihnen allen bietet Jesper Juul vier Wertbegriffe an, die für den wertvollen Umgang miteinander stehen und die Kindern helfen ein gesundes Selbstwertgefühl zu entwickeln: Gleichwürdigkeit, Integrität, Authentizität und Eigenverantwortung sind die vier Säulen, die Jesper Juul ausführlich in jeweils einem eigenen Kapitel beschreibt.
Dabei geht es ihm nicht darum, Eltern ein Rezept in die Hand zu geben, das nach dem Motto "Erziehung leicht gemacht" funktioniert. Vielmehr appelliert er an Eltern, sich nicht länger dem Druck nach Perfektionismus auszusetzen. Fehler zu machen, so Jesper Juul, gehört einfach dazu. Allein das zu lesen, dürfte einen Großteil der Eltern regelrecht entspannen. Doch wenn Eltern die Integrität ihrer Kinder wahren und selbst authentisch bleiben, minimieren sie die Fehlerquote deutlich. Sprich: Eltern müssen lernen ihre eigenen Grenzen zu äußern, statt Grenzen für ihre Kinder zu finden. Und sie müssen aufhören eine Rolle zu spielen: Immer freundlich und verständnisvoll zu sein, wie es heute von der durchschnittlichen europäischen Mutter verlangt wird, ist unecht und verunsichert letztendlich nur den Nachwuchs.
Nur wenn Eltern sich als Menschen, mit guten und schlechten Seiten zeigen, zugeben, dass sie mal müde sind oder auf etwas keine Lust haben, lernen Kinder. Und genau dazu ist Erziehung schließlich da: Um das Kind für das spätere Leben in der Gemeinschaft fit zu machen, um sie als gute Partner zu qualifizieren. Einem Sparringspartner gleich trainieren Eltern so ihr Kind, setzen ihm Grenzen, ohne zu verletzen und achten seine Gleichwürdigkeit. Wobei Gleichwürdigkeit nicht heißt, dass Eltern nichts mehr zu entscheiden haben.
Vielmehr bedeutet Gleichwürdigkeit, dass jedes Familienmitglied seine Wünsche und Bedürfnisse ausdrücken darf und allein damit schon ernstgenommen wird. Selbst dann, wenn nicht jeder Wunsch erfüllt wird. "Kinder", so schreibt Juul abschließend,"lernen vor allem durch unser Verhalten, durch das, was wir tun und sagen oder eben nicht."
Damit das besser funktioniert, ermuntert der Däne auf Dialog und Austausch statt auf Belehrung und Strafe, auf Einbeziehung statt Machtausübung und Interesse statt Kontrolle zu setzen. Wie das gelingen kann, zeigen die vielen Beispiele aus Gesprächen zwischen Eltern und Kindern, die sich ebenfalls in diesem überaus empfehlenswerten Buch finden. Erziehung, das ist nach den 170 Seiten sicher, ist ein lustvolles und nervenaufreibendes Abenteurer, das zu wagen sich lohnt.
Jesper Juul: Was Familien trägt. Werte in Erziehung und Partnerschaft
Übersetzt von Knut Krüger
Kösel Verlag, München 2006
170 Seiten, 16,95 Euro
Was sage ich meinem zweijährigen Sohn, wenn er noch nicht schlafen will? Wie reagiere ich darauf, wenn meine 12-jährige Tochter ein Piercing will? Und was mache ich, wenn ein Fünfjähriger kein Gemüse essen mag? Reagiere ich streng? Autoritär? Lasse ich alles zu, damit sich mein Kind frei entfalten kann? Oder züchte ich damit einen kleinen Egoisten heran, der später die gesamte Familie terrorisiert?
Verunsicherung trifft als Beschreibung der Situation heutiger Eltern wohl am besten zu. Wie sonst ist es zu erklären, dass der Markt an Erziehungsratgebern boomt wie kaum ein anderer und Sendungen wie "Die Supernanny" Einschaltquoten von über fünf Millionen Zuschauern erreichen. Allzu oft hoffen geplagte Eltern hier, Antworten und Lösungen auf ihre Probleme zu erhalten. Dass Kinder dabei in erschreckendem Maß zu Objekten reduziert werden, die wie Automaten funktionieren sollen, wird dabei oft billigend in Kauf genommen. Zumal viele überforderte Eltern geradezu neidvoll zurückschauen in eine Zeit, als noch jeder wusste, was man macht und was man nicht macht. Das fehlt heute, glücklicherweise muss man sagen. Und trotzdem: Der fehlende gesellschaftliche Konsens verunsichert, wenn man auf der Suche nach Werten in der Erziehung ist.
Und genau an diesem Punkt setzt Jesper Juul mit seinem klugen und überaus lesenswerten Buch "Was Familien trägt" an: Da wir mitten im gesellschaftlichen Umbruch leben, schreibt der dänische Familientherapeut, müssen neue Werte her. Werte, die heutigen Familien gerecht werden, wo die althergebrachte Kernfamilie bestehend aus Vater, Mutter und Kind oder Kindern längst nicht mehr die Norm ist. Vielmehr gehören heute Alleinerziehende, geschiedene Eltern, Patchworkfamilien, homosexuelle Paare mit Kind, Adoptiv- und Pflegefamilien mit zum Gesamtbild dazu.
Dass sie unterschiedliche Ansprüche und Erwartungen bedienen müssen, ergibt sich von selbst. Doch so verschieden sie in ihren Konstellationen auch sind, ihnen allen bietet Jesper Juul vier Wertbegriffe an, die für den wertvollen Umgang miteinander stehen und die Kindern helfen ein gesundes Selbstwertgefühl zu entwickeln: Gleichwürdigkeit, Integrität, Authentizität und Eigenverantwortung sind die vier Säulen, die Jesper Juul ausführlich in jeweils einem eigenen Kapitel beschreibt.
Dabei geht es ihm nicht darum, Eltern ein Rezept in die Hand zu geben, das nach dem Motto "Erziehung leicht gemacht" funktioniert. Vielmehr appelliert er an Eltern, sich nicht länger dem Druck nach Perfektionismus auszusetzen. Fehler zu machen, so Jesper Juul, gehört einfach dazu. Allein das zu lesen, dürfte einen Großteil der Eltern regelrecht entspannen. Doch wenn Eltern die Integrität ihrer Kinder wahren und selbst authentisch bleiben, minimieren sie die Fehlerquote deutlich. Sprich: Eltern müssen lernen ihre eigenen Grenzen zu äußern, statt Grenzen für ihre Kinder zu finden. Und sie müssen aufhören eine Rolle zu spielen: Immer freundlich und verständnisvoll zu sein, wie es heute von der durchschnittlichen europäischen Mutter verlangt wird, ist unecht und verunsichert letztendlich nur den Nachwuchs.
Nur wenn Eltern sich als Menschen, mit guten und schlechten Seiten zeigen, zugeben, dass sie mal müde sind oder auf etwas keine Lust haben, lernen Kinder. Und genau dazu ist Erziehung schließlich da: Um das Kind für das spätere Leben in der Gemeinschaft fit zu machen, um sie als gute Partner zu qualifizieren. Einem Sparringspartner gleich trainieren Eltern so ihr Kind, setzen ihm Grenzen, ohne zu verletzen und achten seine Gleichwürdigkeit. Wobei Gleichwürdigkeit nicht heißt, dass Eltern nichts mehr zu entscheiden haben.
Vielmehr bedeutet Gleichwürdigkeit, dass jedes Familienmitglied seine Wünsche und Bedürfnisse ausdrücken darf und allein damit schon ernstgenommen wird. Selbst dann, wenn nicht jeder Wunsch erfüllt wird. "Kinder", so schreibt Juul abschließend,"lernen vor allem durch unser Verhalten, durch das, was wir tun und sagen oder eben nicht."
Damit das besser funktioniert, ermuntert der Däne auf Dialog und Austausch statt auf Belehrung und Strafe, auf Einbeziehung statt Machtausübung und Interesse statt Kontrolle zu setzen. Wie das gelingen kann, zeigen die vielen Beispiele aus Gesprächen zwischen Eltern und Kindern, die sich ebenfalls in diesem überaus empfehlenswerten Buch finden. Erziehung, das ist nach den 170 Seiten sicher, ist ein lustvolles und nervenaufreibendes Abenteurer, das zu wagen sich lohnt.
Jesper Juul: Was Familien trägt. Werte in Erziehung und Partnerschaft
Übersetzt von Knut Krüger
Kösel Verlag, München 2006
170 Seiten, 16,95 Euro