FDP-Kritik an Angela Merkel

Parteichef Christian Lindner plädiert für maßvolle Öffnung

07:25 Minuten
Christian Lindner, FDP
Christian Lindner, FDP, im Interview mit dem Deutschlandradio © Deutschlandradio / Hajo Drees
Moderation: Andreas Müller  · 22.04.2020
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Eine Debatte über den Öffnungskurs in der Coronakrise hält FDP-Chef Christian Lindner für wichtig. Er kritisiert Kanzlerin Angela Merkel für ihre "Alternativlosigkeit" und fordert, dass Hygienekonzepte wichtiger sind als Ladengrößen.
Dass Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Blick auf die Lockerungen der Corona-Beschränkungen im CDU-Präsidium von "Öffnungsdiskussionsorgien" gesprochen haben soll, hat besonders die FDP als Oppositionspartei sehr verärgert. FDP-Politiker Wolfgang Kubicki nannte Merkels Äußerung sogar unverschämt.

Folgen im Blick behalten

"Es ist sehr bedauerlich, dass Frau Merkel hier zurückfällt in eine Zeit der sogenannten Alternativlosigkeit", sagt unser Studiogast, FDP-Vorsitzender und liberaler Franktionschef im Bundestag, Christian Lindner. "Denn nichts ist ohne Alternative." Es müsse jeden Tag neu geprüft werden, ob die Einschränkungen des Lebens, der Freiheit und der Grundrechte unserer Verfassung verhältnismäßig seien oder ob es nicht mildere Mittel gebe, die Gesundheit zu schützen, die zugleich die Folgewirkungen verringerten.
Es gehe dabei nicht nur um die Wirtschaft, sondern auch um soziale Folgen. Es könne in Einzimmerwohnungen, in denen viele Menschen wohnen, schwierige Situationen geben. "Auch die gesundheitlichen Folgewirkungen sind nicht zu unterschätzen", sagt Lindner und verweist auf verschobene Operationen und geschlossene Reha-Einrichtungen.
Christian Lindner, Bundesvorsitzender und Fraktionschef der FDP im Bundestag, spricht bei seinem eignen Podcast vor einem Pressestatement vor Beginn der Schaltkonferenz der Fraktion der FDP im Bundestag. 
Der FDP-Parteivorsitzende Christian Lindner gehört zu den schärfsten Kritikern der Bundesregierung. © picture-alliance/dpa/Michael Kappeler
Angesichts der starken Einschränkungen der Grundrechte müsse fortwährend diskutiert werden, fügt er an. "Auch wenn der Gesundheitsschutz wichtig ist, wir sind in einem demokratischen Verfassungsstaat." Selbst das Bundesverfassungsgericht habe kürzlich die Einschränkungen der Versammlungsfreiheit gerügt, weil sie nicht verhältnismäßig seien und nicht etwa begründet durch den Gesundheitsschutz. "Deshalb wird man das wohl diskutieren dürfen, ohne sich deshalb in den Zusammenhang mit Orgien bringen lassen zu müssen", so der FDP-Vorsitzende.

Das Hygienekonzept ist entscheidend

"Wir alle haben einen Intensiv-Crashkurs in Virologie und Hygiene gemacht", sagt Lindner. Es könnten auch Möglichkeiten der Digitalisierung genutzt werden, um die Infektionsketten nachzuverfolgen. "All das rechtfertigt eine maßvolle Öffnung." Der Handel könne öffnen, die Gastronomie könne öffnen und die Produktion könne hochfahren.
Er finde es paradox, dass die Bundesregierung die Studien des Helmholtz Zentrums Berlin zur Grundlage ihrer Entscheidungen nehme, aber deren Autoren ihr dann widersprächen. Der Wissenschaftler Gérard Krause sage, dass es weniger entscheidend sei, wie groß ein Ladenlokal sei, sondern ob es ein Hygienekonzept gebe.
Lindner sagt, auch in einem Landen von Einhundert Quadratmetern Größe könne man sich infizieren, während in einem Tausend-Quadratmetergeschäft, in dem die Hygienebedingungen stimmten, desinfiziert werde und Masken getragen würden sowie die Kontrolle des Zugangs begrenzt sei, das Infektionsrisiko niedriger sein könne. "Wenn ein Hygienekonzept vorlegt, kann man öffnen. Liegt kein Hygienekonzept vor, dann kann man nicht öffnen", so fordert es der FDP-Chef mit Verweis auf das Helmholtz Zentrum.
(gem)

Christian Lindner, geboren 1979 in Wuppertal, ist FDP-Parteichef und liberaler Fraktionsvorsitzender im Bundestag. 2017 führte er seine Partei als Spitzenkandidat nach vier Jahren außerparlamentarischer Opposition wieder ins Parlament zurück. Lindner gehört der FDP seit 1995 an. Er studierte Politikwissenschaft, öffentliches Recht und Philosophie an der Rheinischen Friedrich‐Wilhelms‐Universität zu Bonn. Von 1997 bis 2004 war Lindner Inhaber einer Werbeagentur und Mitbegründer einer IT-Firma.

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