FDP-Europapolitiker: Hollande wäre "schwieriger Partner" für Deutschland

Alexander Graf Lambsdorff im Gespräch mit Nana Brink · 23.04.2012
Der Vorsitzende der FDP-Gruppe im EU-Parlament, Alexander Graf Lambsdorff, hat das Ergebnis der ersten Runde der französischen Präsidentschaftswahlen als "beunruhigend" bezeichnet. Es bereite ihm Sorgen, dass fast ein Drittel der Wähler für extremistische Kandidaten gestimmt hätten.
Nana Brink: Knapper Vorsprung: Mit einem Prozent konnte sich der Sozialist Francois Hollande bei den gestrigen Präsidentschaftswahlen in Frankreich vor seinem Konkurrenten, dem amtierenden Präsidenten Sarkozy, platzieren. Immerhin! Wer der neue Präsident wird, das entscheidet eine Stichwahl in zwei Wochen, aber was bedeutet dieses Ergebnis jetzt schon für Deutschland und für Europa? Merkozy, so der Kosename für Kanzlerin Merkel und den abgewählten - vielleicht abgewählten! Sarkozy, haben ja die Politik Europas in der Krise wesentlich mitbestimmt, und jetzt hat der Sozialist Hollande die besseren Karten!

Am Telefon ist jetzt Alexander Graf Lambsdorff, Mitglied des Europaparlaments für die Liberalen, sitzt dort im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten. Schönen guten Morgen, Graf Lambsdorff!

Alexander Graf Lambsdorff: Ja, schönen guten Morgen!

Brink: Was bedeutet denn für Sie dieses Zwischenergebnis der Präsidentschaftswahlen für Deutschland?

Graf Lambsdorff: Also, ich glaube, zunächst mal bedeutet es, dass das Rennen noch offen ist. Der Abstand ist ja viel geringer ausgefallen als allgemein erwartet. Francois Hollandes Umfragen sahen ihn ja deutlich weiter vorne vor ... ich sage schon Merkozy, Sarkozy! Was das also bedeutet, heißt, dass das Rennen noch offen ist. Das zweite Interessante, was ich finde, allerdings Beunruhigende ist der hohe Anteil extremistischer Stimmen, sowohl für Marine Le Pen, die ja fast 19 Prozent geholt hat, noch mehr als ihr Vater bei seinem besten Ergebnis aller Zeiten ...

Brink: ... und jetzt die dritte Kraft ist, das muss man vielleicht auch dazu sagen ...

Graf Lambsdorff: ... wie bitte?

Brink: Die jetzt die dritte Kraft ist, das muss man dazu sagen!

Graf Lambsdorff: Richtig, sie ist jetzt die dritte Kraft und das Ganze, wenn man dazu noch Jean-Luc Mélenchon dazu nimmt, also zehn Prozent für einen Linksextremisten, dann haben wir fast ein Drittel der Wählerstimmen in Frankreich für extremistische Kandidaten. Das finde ich beunruhigend. Erfreulich finde ich an dem Ergebnis – und es kann sogar noch auf ihn ankommen –, dass Francois Bayrou ganz ordentlich abgeschnitten hat mit gut neun Prozent. Das ist der Kandidat aus der Mitte, der sich weder den Sozialisten noch den Konservativen anschließt. Denn es kann sein, dass es tatsächlich auf seine Wähler ankommt. Also, mit anderen Worten, das Rennen ist noch offen, es ist sehr schwierig vorauszusehen, wie sich die Wählerinnen und Wähler von Le Pen und von Bayrou verhalten. Und aus diesen beiden ergibt sich dann wahrscheinlich der Vorsprung für die zweite Runde.

Brink: Aber immerhin, Ihnen selber ist es ja passiert: Merkozy ist vielleicht am Ende. Es ist ja so dieser Kosename gewesen für Merkel und Sarkozy, die beiden haben ja nicht nur das deutsch-französische Verhältnis bestimmt, sondern auch wesentlich die europäische Politik in dieser Krise. Ist diese Politik nun am Ende?

Graf Lambsdorff: Nein, das ist noch nicht so. Man muss einfach abwarten, wie die Französinnen und Franzosen sich da entscheiden werden. Allerdings muss man eines sagen, und das sage ich als Europäer, das sage ich als Liberaler: Die Stabilisierung der Währung ist nun mal die Top-Priorität dieser Zeit. Der Euro ist noch keineswegs aus der Krise. Wir haben es gesehen, als Spanien jetzt Anleihen platziert hat, dass die Märkte nach wie vor nervös sind. Und Sarkozy war ein verlässlicher Partner.

Ich bin als Liberaler wirklich nicht dazu angetan, jemanden zu unterstützen, der mit Immigranten, mit Minderheiten oder mit dem europäischen, mit der Reisefreiheit so umgeht, wie Sarkozy das getan hat, aber in der Frage der Euro-Stabilisierung, da war Sarkozy der verlässliche Partner. Und von daher ist das schon eine Umstellung für den Fall, dass Hollande es schafft. Da wird man sich auf einen ganz neuen und viel, viel schwierigeren Partner einstellen müssen.

Brink: Apropos verlässlicher Partner, Sie haben es selbst gesagt: Die EU ist durch die Sparpolitik in der Euro-Krise ja, man kann sagen, deutsch geworden, sehr zum Missfallen ja vieler Franzosen. Und ein Sozialist, ein möglicher sozialistischer Präsident Hollande hat ja schon eine völlig gegenteilige Politik angekündigt: Nicht nur sparen, sondern staatlich abgesicherte Konjunkturprogramme. Ein Affront gegen die Bundesregierung und ihre Sparziele?

Graf Lambsdorff: Ja, in gewisser Weise ist das so. Und zwar hat sich ja Sarkozy doch am Anfang des Wahlkampfs stark auch an deutsche ordnungspolitische Vorstellungen angelehnt, das ist in Frankreich nicht gut angekommen. Und Hollande hat sich auch deswegen besonders deutlich davon distanziert. Und das, was er vorschlägt, das sind ja, ich sage mal, sehr altmodische sozialdemokratische Vorstellungen, die auch die deutsche SPD zum Beispiel unter Gerhard Schröder schon lange hinter sich gelassen hat und auch die Labour-Partei in Großbritannien hängt so etwas nicht mehr an.

Ich bin aber relativ sicher – man darf ja nicht vergessen, Frankreich hat eines seiner Triple-A-Ratings ja bereits verloren –, ich bin relativ sicher, dass, sollte Hollande tatsächlich gewählt werden, da sehr schnell eine Ernüchterung einsetzt, er die Fragen der Wettbewerbsfähigkeit Frankreichs genauer anschaut, die Frage der öffentlichen Finanzen genau anschaut und dann sich doch noch einmal das deutsche ordnungspolitische Konzept für die Stabilisierung des Euro genau anschaut. Und dann, denke ich, wird aus der anti-deutschen Position im Wahlkampf eine Kooperation mit Deutschland, die hoffentlich im Interesse Europas insgesamt dann sein wird.

Brink: Aber viele in Deutschland fürchten ja schon, Frankreich wird unter einem, sage ich mal, spendierfreudigen Präsidenten Hollande das nächste große Krisenland in Europa?

Graf Lambsdorff: Das kann sein. Also, Frankreich ist ein Sorgenkind, was die Wettbewerbsfähigkeit angeht. Wenn man in die Details ein bisschen reinschaut, die Entwicklung der Lohnstückkosten, die Entwicklung der Produktivität, die Tatsache, dass Sarkozy es eben nicht geschafft hat, anders als angekündigt, diese Rupture hinzukriegen, also diesen Bruch mit der Staatswirtschaft, mit dem Glauben an den Staat als Allheilmittel in der Wirtschaftspolitik.

Diese Rupture hat Sarkozy eben nicht ausreichend hinbekommen, trotzdem war es für manche Franzosen schon zu viel. Deswegen liegt jetzt Hollande vorne. Aber die französische wirtschaftliche Situation – die haben sehr starke Unternehmen, das darf man nicht vergessen –, aber dieses politische Umfeld, in dem die französischen Unternehmen, die zum Teil absolute Weltspitze sind, operieren, dieses politische Umfeld ist schwierig und wird mit einem Wahlsieger Hollande sicher noch schwieriger werden.

Brink: Sie sind Mitglied der Liberalen, und da würde ich mit Ihnen gerne noch mal ins Inland wechseln: Die FDP, Ihre Partei, hat ja gerade ihren Parteitag hinter sich gebracht, und wir haben so wunderbare Sprüche wie von Fraktionschef Brüderle gehört: Das neue Ricola-Gefühl, wer hat’s gemacht, wir haben es gemacht! Ist das, was die FDP am dringendsten braucht?

Graf Lambsdorff: Ja, das war wirklich ... Also, ich habe das also in vielen Jahren auf Parteitagen noch nie erlebt, der Rainer Brüderle hat ... Ein Kollege von Ihnen aus der schreibenden Zunft nannte das "Rainer rockt die Bude" ... Der hat da gestern also wirklich eine stimmungsvolle Rede gehalten, bei der die Delegierten also begeistert mitgegangen sind. Was war der Hintergrund: Der Hintergrund war ganz einfach der, wir haben den Eindruck – und das ist, glaube ich, auch berechtigt –, dass manche Dinge, die wir erreicht haben in den zweieinhalb Jahren unserer Regierungsbeteiligung, untergegangen sind unter der Diskussion um Koalitionsspekulationen, Personalquerelen und das ein oder andere, was also medial dann mehr interessiert hat als das, was wirklich erreicht worden ist.

Und das, was erreicht worden ist – Erhöhung des Kindergelds, Abschaffung der Wehrpflicht, Erleichterung der steuerlichen Belastung für die Mittelschicht –, das sind alles so Dinge, die halt ein bisschen untergegangen sind. Und Brüderle hat das gestern noch mal in den Mittelpunkt gestellt und dann immer hinterher gefragt: Wer hat’s gemacht? Und dann haben die Delegierten tatsächlich geantwortet: Wir haben’s gemacht. Eine drollige Situation, aber es war, für die Stimmung jedenfalls war es prima.

Brink: Aber vielleicht nicht so drollig für den amtierenden, sage ich mal, noch amtierenden Parteichef, der es vielleicht nicht mehr lange ist?

Graf Lambsdorff: Ach, wissen Sie, Philipp Rösler konnte ich ganz gut sehen, während der Rainer Brüderle redete, und der hat sich auch darüber amüsiert. Es ist ja nicht so, dass Rainer Brüderles Rede ausschließlich aus diesem Teil bestand, sondern er hat damit seine Rede begonnen, einfach, um deutlich zu machen, dass wir Dinge erreicht haben in der Regierung. Und das hat dem Wirtschaftsminister natürlich auch ganz gut gefallen, dass da Leistungen gewürdigt wurden, für die er zum Teil auch mit verantwortlich ist.

Brink: Alexander Graf Lambsdorff, Mitglied des Europäischen Parlamentes, für die Liberalen sitzt er dort. Schönen Dank für das Gespräch!

Graf Lambsdorff: Ich danke Ihnen, tschüss!


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