Faust als Pop-Künstler

Frieder Reininghaus |
Im Autoskooter fährt Faust in sein neues Leben, in eine Kirmes-Gesellschaft voll bunter Farben. Der international erfolgreiche Film- und Videoclip-Regisseur Philipp Stölzl gestaltet die Oper "Faust" von Charles Gounod schrill und intensiv: ein deutsches Geistesdrama gemischt mit französischer Musik und amerikanischer Pop-Art-Inszenierung, zu sehen am Theater Basel.
Philipp Stölzl wurde durch Video-Clips bekannt, insbesondere durch die, die er für und mit Madonna produzierte. Seit 2005 inszeniert er auch Oper: angefangen in Meiningen, wo er Webers "Freischütz" in die Sphäre des Horror-Heimatfilms rückte. Nach einem Ausflug zu Gérard Mortiers RuhrTriennale-"Kreationen" mit der Aufbereitung von Péter Esterházys "Rubens oder die nichteuklidische Welt" schlug er zuletzt bei den Salzburger Festspielen zu: Philipp Stölzl verlegte "Benvenuto Cellini" von Hector Berlioz aus dem alten Rom ins New York einer filmprächtigen jüngeren Vergangenheit und unter futuristische Flugobjekte, takelte dabei insgesamt schwer auf. Er packte das Stück in ein recht naives Konzept: kunterbunte "Opernkaftigkeit", in der auch Musical, wagnerscher Feuerzauber und Batman Platz fanden. Nun nahm er sich des "Faust" von Charles Gounod in Basel an.

Stölzl bediente die von Gounods Librettisten Barbier und Carré trivialisierte Tragödie, ohne die alte Geschichte konkret zu verorten, mit der Drehbühne: Um einen großen schwarzgrauen Zylinder mit tausend Glühbirnen, den man durchaus als Chiffre der zur Modernität gelangten funktionalen Architektur begreifen durfte, drehte sich häufig und ausgiebig, von Anfang bis Ende, ein Ring in unterschiedlichen Tempi. Aus diesem Boden wuchsen die Blumen der erblühenden Liebe, nachdem dem alternden Faust dort Erinnerungsbilder an die Schuljugendzeit und die Knabenblütenträume vorbeigezogen waren und er in einer Installation der Intensivmedizin im letzten Moment vorm Selbstmord zurückgeschreckt war. Auf dieser Scheibe setzt er sich, nach Vertragabschluss mit Mephisto und Verkleidung zum Pop-Künstler in einem Autoskooter in Bewegung - in Richtung jenes neuen Lebens, das mit der Kirmes-Gesellschaft hereinkreist.

Die guten Leute, die das Triviale des jeweils angesagt Modischen verkörpern, tragen allesamt Masken. Ihre Puppenköpfe verweisen auf die fortdauernde Infantilität der Denkformen, über die Faust sich erhebt und an denen Margarete zerbricht. Ihr Hochzeitstraum wird in und um eine monströse Hochzeitstorte inszeniert - die Klischees gewinnen durch Massierung eine dekorative Bösartigkeit. Die Zitate aus der Sphäre des Affirmativen schlagen um in eine kritische Masse. Und die setzt einen massiven Kontrapunkt zu eben der Kleinbürgerlichkeit, die von Anfang an der Pferdefuß de Gounodschen Musik war.

Enrico Delamboye, der nach einem rundweg misslungenen "Freischütz" in Köln unter verschärfter Beobachtung stand, hat den Basler "Faust" ohne Fehl und Tadel aus dem Graben gelockt und mit dem teils stark bewegten, teil sinnvoll ruhig gestellten Bühnengeschehen koordiniert. Mit Rolf Romei in der Titelpartie und Stefan Kocán als Mephisto standen dem Kapellmeister zwei Protagonisten einer hohen Güteklasse zu Verfügung. Sie können nicht nur ihre nackten Oberkörper und gut trainierte Beine sehen lassen, sondern entwickeln sich zuvorderst auch durch Höhensicherheit, Klarheit, Flexibilität und prägnante charakteristische Nuancen in der Stimmführung zu Sympathieträgern. Und die schlanke Maya Boog, die schweizerische Marguerite, beglaubigt mit dem glücklichen Lächeln der Jungverliebten im Blumenbeet oder auf der Schaukel in der Nachbarin Garten wie dann insbesondere mit ihrer Darstellung der wachsenden Verzweiflung und dem auswegslosen Wahn im Schneetreiben ein rundweg glaubhaftes Gretchen - bis hin zum letzten Aufbäumen vor der Hinrichtung mit der Giftspritze.

In Basel ist eine bemerkenswert gute Gesamtleistung der Margarete und des Faust zu sehen und zu hören, die gegebenenfalls durchaus eine Exkursion lohnt.