Fatima Al Qadiri: "Medieval Femme"

Musikalische Poesie arabischer Frauen

12:03 Minuten
Porträt von Fatima Al Qadiri, 2016.
Die kuwaitische Musikerin Fatima Al Qadiri ging mit 17 Jahren in die USA, um zu studieren. © imago / Votos-Roland Owsnitzki
Juliane Reil im Gespräch mit Martin Böttcher · 12.05.2021
Audio herunterladen
Für „Medieval Femme“ ließ sich die kuwaitische Musikerin Fatima Al Qadiri von klassischen Gedichten arabischer Frauen inspirieren. Das vielschichtige Album sei die Beschreibung eines psychologischen Zustands, sagt die Musikjournalistin Juliane Reil.
Die kuwaitische Produzentin Fatima Al Qadiri gehört zu den innovativsten Musikerinnen der elektronischen Musikszene. Daher ist der Albumtitel "Medieval Femme" – also "Frau des Mittelalters" – schon ungewöhnlich, meint die Musikjournalistin Juliane Reil.

Verlangen und Depression

Al Qadiri ließ sich von einer Gedichtsammlung zu diesem Album inspirieren. In dieser Sammlung waren Gedichte arabischer Dichterinnen aus fünf Jahrhunderten, weibliche Stimmen des Mittelalters vom 7. bis ins 13. Jahrhundert.
Als Al Qadiri darin las, gewann sie den Eindruck, dass Verlangen und Depression dicht beieinanderliegen. Eine Depression sei eine Art Sehnsucht, die Besitz vom Körper ergreife. Zu diesem Gefühl habe sie ein Album machen wollte, erzählte die Musikerin der Journalistin.
Rezitation zur Musik hätten für Al Qadiri aber nicht funktioniert. Daher sind viele instrumentale Stücke auf dem Album. Ganz sparsam setzt Al Qadiri auch ihre eigene Stimme ein, die mantrahaft immer wieder bestimmte Worte wiederholt – mal hoch-, mal runtergepitcht.
In dem Stück "Golden" klagt und fleht die Stimme zum Beispiel, erklärt Reil. Ihr Echo klinge verloren und verzerrt. Man höre den Schmerz. "Dazu hypnotische Synthesizer, die diesen musikalisch weit wirkenden Raum zu einer Eistruhe gefrieren lassen. Das hat albtraumhafte Züge."

Instrumente mit Tradition

Die Gedichte selbst tauchen nur in dem Stück "Tasakuba" auf. Dort rezitiert sie das Gedicht von Al Khansa, einer Dichterin aus dem späten 6. Jahrhundert.
Musikalisch hört man nicht gleich bei jedem Stück, dass es hier ums Mittelalter geht. Al Qadiri setzt aber durchaus in manchen Stücken Instrumente ein, deren Tradition bis ins Mittelalter zurückreichen. Die Oud, eine Kurzhalslaute, kam im 7. Jahrhundert nach Europa, war aber ursprünglich in Persien beheimatet.
Auch die Tanbura, eine fünf- oder sechssaitige Leier aus Mesopotamien, die man sich wie eine Harfe vorstellen kann, ist dabei. Ein Instrument, das es schon Mitte des dritten Jahrtausends vor Christus gab.

Wie ein Traum von der Vergangenheit

Diese Instrumente setzt sie ein, ohne dass "Medieval Femme" zum Folkalbum wird. Dank zahlreicher Synthesizer klinge die Musik, als ob jemand aus der Gegenwart einen Traum von der Vergangenheit hat, erzählt Juliane Reil.
Das Interessante sei, dass alle Instrumente virtuelle Instrumente sind, erklärt sie. Fatima Al Qadiri hat sie alle mit dem Computer programmiert und teilweise ziemlich gut nachgeahmt, so dass man mitunter denkt, es sei eine echte Flöte oder echte Oud.
Damit gelinge ihr eine Illusion, die gut in das Konzept des Albums von einem Traum oder einer Fantasie passt.

Eindrücke der Pandemie verarbeitet

Das Album ist die Vertonung einer Stimmung, sagt Juliane Reil: "Es geht um die musikalische Beschreibung eines psychologischen Zustands. Als Konzept und in der Umsetzung finde ich das sehr, sehr interessant". Al Qadiri habe das Album unter den Eindrücken der Pandemie geschrieben, als sie vor einem Jahr ausbrach. Damals sei sie kurz vorher von Berlin nach Los Angeles gezogen.
In den ersten drei Monaten der Pandemie habe sie unheimlich Angst gehabt. Das sei mit der Zeit besser geworden. Aber die Furcht sei nie ganz weggegangen. In diesem Zustand habe sie die Musik für dieses Album geschrieben. Es sei ein Ventil für ihre Ängste gewesen.
Musik als Psychogramm
"Ich bin beeindruckt von diesem Album, weil es ein Psychogramm erstellt, einen Seelenzustand beschreibt", sagt Juliane Reil. Dabei sei das Bemerkenswerte, dass sich dieses Psychogramm auch - aber nicht nur - als Beschreibung der Pandemie lesen ließe. "Depression und Sehnsucht werden als urmenschliche, zeitlose Gefühle beschrieben, die aber immer in einem zeitgebundenen Kontext auftauchen, ob das das Mittelalter oder die Neuzeit ist."
Al Qadiri habe ein starkes Album geschaffen, das durchdacht aber nicht konstruiert wirkt. "Medieval Femme" überzeuge musikalisch auch ohne das Wissen um den gedanklichen Überbau, so Reil.
Mehr zum Thema