Fatima Al Qadiri: "Brute"

Zornige Tracks gegen die Politik der Mächtigen

Polizisten mit Schutzschilden und Gasmasken vor einem brennenden Auto in Ferguson
Fatima Al Qadiri hat fünf Jahre in den USA gelebt: Die Unruhen in Ferguson, Baltimore und anderswo lieferten den Ausgangspunkt für ihr neues Album "Brute". © Larry W. Smith, dpa
Von Christoph Reimann · 03.03.2016
Es heulen die Sirenen: Fatima Al Qadiris zweites Album "Brute" handelt von Versammlungsfreiheit und Polizeigewalt. Die elf aktuellen Songs spiegeln ihre Enttäuschung von den westlichen Demokratien wieder, erzählt die Konzeptkünstlerin aus Kuwait, die seit Kurzem in Berlin lebt.
"Das ist keine friedliche Zusammenkunft mehr. Gehen Sie zurück in Ihre Häuser. Wenn Sie nicht Folge leisten, werden wir Sie verhaften. Räumen Sie die Straße. Das ist keine friedliche Zusammenkunft mehr."
Ferguson im August 2014. Der Afroamerikaner Michael Brown ist tot, erschossen von einem Polizisten. Seit Tagen gehen die Leute auf die Straße, sie vermuten eine rassistisch motivierte Tat, protestieren gegen das Vorgehen der Polizei. Und die Ordnungshüter – die sorgen für Ordnung, indem sie die Proteste immer häufiger beenden. Zunächst mit Worten, dann mit Tränengas und Blendgranaten. Man könnte sagen: mit Gewalt.

Pfefferspray, Wasserwerfer und Tränengas

Versammlungsfreiheit und Polizeigewalt sind die zentralen Themen auf "Brute", dem neuen Album von Fatima Al Qadiri.
"Ich selbst habe an mehreren Demonstrationen teilgenommen. Ich habe gesehen, wie die Polizei Pfefferspray, Wasserwerfer und Tränengas eingesetzt hat, wie sie voranmarschiert ist – mehr Polizisten, als ich je in meinem Leben gesehen habe. Jeden, der sich ihnen entgegen stellte, haben sie aus dem Weg geräumt – mit allen verfügbaren Mitteln. Inzwischen sind ihre Tools sogar noch weiter fortgeschritten. Da brauchen sie gar nicht mehr so viele Leute."
Fatima Al Qadiri ist Mitte 30. Sie stammt aus Kuwait, hat dort die Invasion durch den Irak erlebt, später den Golfkrieg. Seit Kurzem lebt sie in Berlin. Vorher hat sie fünf Jahre in den USA verbracht. Die Unruhen der vergangenen Jahre in Ferguson, Baltimore und anderswo in den Staaten bilden den Ausgangspunkt für das neue Album:
"Ich beziehe mich auf die USA, weil es auf dem Album auch immer um Macht geht – und Amerika ist die mächtigste Nation von allen. Es schien daher passend, die Vereinigten Staaten als Primärquelle heranzuziehen."

Eher Klanginstallationen als Popmusik

Zum Beispiel verwendet Al Qadiri Auszüge aus TV-Nachrichten, es heulen Sirenen, Helikopter kreisen. Die meiste Zeit aber ist in den elf Tracks, die mehr an Klanginstallationen als an Popmusik erinnern, nur Al Qadiris Synthesizer zu hören. Dann vermittelt sich der Inhalt der Stücke nur vage, trotz Titeln wie "Curfew", also "Ausgangssperre", oder "10-34", dem Polizeicode für einen Aufstand. Was sich durch alle Tracks zieht, sind im Wesentlichen zwei Gefühle: Zorn und Verzweiflung.
Als bildende Künstlerin gehört Fatima Al Qadiri zum Kollektiv GCC, zu dem neun Künstlerinnen und Künstler aus den Golfstaaten zählen. Als Future Brown ist sie Teil einer Gruppe von Produzenten. Auf "Asiatisch", ihrem Solodebüt von 2014, beschäftige sich Al Qadiri mit dem westlichen Blick auf ein imaginäres China. Al Qadiri ist Konzeptkünstlerin, aber im Kern sind die Arbeiten der Diplomatentochter persönlich motiviert. Das Album "Brute" spiegelt auch ihre Enttäuschung von den westlichen Demokratien:
"Der Unterschied zwischen einer Diktatur und einer Demokratie ist die Versammlungsfreiheit. Und wenn du die außer Kraft setzt, handelt es sich in beiden Fällen um autoritäre Regierungsformen. Die eine lässt dich shoppen und in die Schwulenbar gehen, die andere nicht. Aber wenn die Regierung dich nicht mehr demonstrieren lässt, dann gibt es keinen Unterschied mehr. Weder auf dem Papier noch in der Praxis."

Re-Politisierung des Pop

Zuletzt erfährt der Pop eine Re-Politisierung. Beyoncé unterstützt die Black-Lives-Matter-Kampagne, beim Super Bowl ließ sie ihre Tänzerinnen in der Uniform der Black Panther Party auftreten. Eine Woche später performte der schwarze Rapper Kendrk Lamar beim Grammy in Häftlingskleidung. Fatima Al Qadiri freut sich über diese Entwicklung:
"Wir brauchen noch mehr Leute mit ganz unterschiedlichem Hintergrund, die sich an dieser Konversation beteiligen. Denn der größte Feind des Fortschritts ist die Stille. Besonders Beyoncé erreicht so viele junge Menschen. Was sie sagt, hat extrem viel Kraft und Reichweite. Aussagen dieser Art gab es in den 80er- und 90er-Jahren viel häufiger. Ich freue mich riesig, dass es für Künstler wieder normal wird, soziopolitische Aussagen zu treffen."
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