Fasziniert vom italienischen Licht

Von Thomas Migge |
Ende des 18. Jahrhunderts entwickelte sich eine Malerei, bei der die Realität leicht verschwommen dargestellt wurde. Auf seinen Reisen nach Italien entstanden Bilder, die den englischen Maler Joseph Mallord William Turner als Vorläufer des Impressionismus ausweisen. Das Palazzo dei Diamanti im norditalienischen Ferrara zeigt derzeit sein Werk.
Schon bevor er endlich, nach Jahren des Wartens, nach Italien aufbrechen konnte, übte sich Joseph Mallord William Turner in der Malerei des sehnsüchtig erwarteten Landes südlich der Alpen. Der 1775 geborene und 1851 gestorbene englische Maler kopierte Meisterwerke von Tizian, von Veronese und Kupferstiche von Piranesi. Alles, was er in englischen Galerien und Privatsammlungen zu sehen bekam und was italienische Sujets betraf, auch von den Franzosen Poussin und Lorrain, wurde studiert und imitiert. Es war das italienische Licht, das Turner faszinierte eine ständige Sonne, die sich goldfarben auf die Ruinen und die Natur legte.

1802 war es endlich soweit. Der Frieden von Amiens zwischen England und Frankreich erlaubte es ihm, den Ärmelkanal zu überqueren. Turner überquerte die Alpen.
Turner in Italien, das ist das Thema einer großen Ausstellung in Ferrara. Andrea Buzzoni ist einer der beiden Kuratoren:
" "Das ist eine recht große Ausstellung geworden. Wir haben fast 100 Gemälde Turners zusammenleihen können, die sich direkt oder indirekt mit Italien beschäftigen, das Land als Sujet haben, oder auch stark von der italienischen Malerei, dem italienischen Licht beeinflusst sind, so dass sie perfekt in diese Ausstellung hineinpassen. Im Land der klassische Malerei begann Turner die Vorgaben ebendieser Malerei auf den Kopf zu stellen. Turner entdeckte in Italien ein großes Land, das auf ihn einen immensen Einfluß ausübte.” "
Einen Einfluss, der die britische Schule der Landschaftsmalerei, mit einer relativ haargenauen Wiedergabe der Realität, impressionistisch revolutionierte. Wie das zum Beispiel auf dem 220 Mal 370 cm großen und aus der Londoner Tate entliehenen Ölgemälde "Ruinen von Rom”, aus dem Jahr 1819, besonders deutlich wird: in weichen Gold- und Hellbrauntönen fließen die Formen barocker Kirchen, des fernen Kolosseums, antiker Säulen, der Natur, des Viehs zwischen den Ruinen, der weidenden Hirten und des Himmels zusammen – zu einem impressionistischen Stimmungsbild. Turner, das zeigt dieses Gemälde überdeutlich, muss als einer der Begründer des Impressionismus in der Malerei bezeichnet werden.

Das Gleiche gilt für seine Venedig-Bilder. Wohl keine andere italienische Stadt hatte es ihm so angetan.

Andrea Buzzoni: " "Eine Leidenschaft, die er ebenfalls schon in England entwickelte. Als er dann endlich in der Lagunenstadt ankam, schien es ihm, so schrieb er, wie ein Traum. Vor allem das schlechte Wetter, dicke Nebelbänke vor gotischen und barocken Fassaden, die Sonne, die Frühmorgens den Nebel durchscheint, das waren seine Sujets. Mit seinen Venedigbildern schuf er in England den Mythos Venedigs.” "
In seiner ersten Zeit der Italienbegeisterung, das verdeutlicht die Ausstellung in Ferrara, verschieb sich Turner klassischen Sujets: nach der Lektüre antiker Autoren wie Virgil malte er den Tempel der Sibille in Tivoli und andere altrömische Bauten. Auf seinen Italienreisen skizzierte er nur. Die Ölgemälde schuf er später, nach seiner Heimkehr, in England. Turners Reise-Skizzenbücher sind ebenfalls in Ferrara zu sehen – immer mit einem Hinweis auf die später in der Kunstschau ausgestellten Gemälde, die auf diesen Skizzen basieren.
In Rom faszinierten ihn vor allem die Ruinen des römischen Reiches, eingebettet in ein noch ungemein bukolisches Ambiente, mit Weiden mitten auf dem Forum Romanum, wo Kühe und Ziegen zu sehen sind.

Wieder in England malte er oft aus der Erinnerung: auf diese Weise gelang es ihm, die subjektive Essenz des Gesehenen wiederzugeben, ohne, wie die traditionelle Malerei seiner Zeit, sich der reinen Realität zu verschreiben. Turner malte Stimmungen, Gefühle, ganz persönliche Interpretationen, die zu Explosionen von Licht und Farben wurden
Die Aufhebung des Realen in Richtung der puren Wiedergabe von gefühlsmäßigen Eindrücken tritt dann vor allem in Turners Venedigbildern zu Tage – seine vielleicht schönsten, auf jeden Fall aber stimmungsreichsten italienischen Gemälde. Bilder, die die Entstehung der Grundideen des Impressionismus ungemein förderten.

Andrea Buzzoni: ""Dort, in Venedig, scheint seine Idee vom Impressionismus geboren zu sein. Seine Bilder sind Lichtspiele, die Farben werden zu purer Magie. In den 40er Jahren schuf er Acquarelle wie zum Beispiel ‘Der Dogenplast vor dem Kanal’, die ein Spiel der Licht- und Farbreflexe sind. Man erkannt auf den ersten Blick gar nicht die Sujets dieser Bilder. Turner war damit ungemein modern. Er stellt den subjektiven Eindruck eines Sujets dar, nicht mehr eine Realität, das alles ist ungemein neu zu seiner Zeit.” "
Diese Aufhebung der ikonographischen Realität in seiner Bildersprache, zusammen mit dem faszinierenden Licht- und Farbenspiel, das er in Italien so liebte, bestimmte seine gesamte Malerei. Ausstellungskurator Andrea Buzzoni zufolge seien Turners herrliche England-Bilder ohne die Italien-Reisen nie möglich gewesen wären.