Faszinierendes Schauspiel

Von Anke Leweke · 22.09.2013
Zwei Männer spielen sich selbst, in einer Art dokumentarischen Fiktion – das ist die Idee von "Der Glanz des Tages". Der eine ist Messerwerfer und Bärenbändiger, der andere ein gefeierter Bühnenschauspieler. Am Ende dieses filmischen Experiments haben beide ihr Leben geändert.
Tizza Corvi und Rainer Frimmel sind Regisseure mit spezieller Arbeitsmethode. Sie entwickeln ihre Geschichte immer vor einem dokumenarischen Hintergrund. Für ihren ebenfalls auf vielen Festivals ausgezeichneten Film "La Pivellina" lebten sie mehrere Monate mit einem Wanderzirkus in Italien zusammen und ihre Bobachtungen bündelten sie dann in einer kurz skizzierten Spielfilmhandlung, die zu einem bewegenden Film wurde: Eine Zirkusfamilie nimmt sich eines ausgesetzten kleinen Mädchens an.
Während dieser Zeit lernten Tizza Corvi und Rainer Frimmel auch den Artisten Walter Saabel kennen und beschlossen einen weiteren Film mit dem Allroundtalent des Zirkus zu machen. Sie holten den Schauspieler Philip Hochmair mit ins Boot und überlassen den beiden Darstellern und ihren Improvisationen im Film die Bühne. "Der Glanz des Tages" beobachtet das Zusammentreffen zweier verschiedener Arten des Sich-zur-Schau-Stellens:

"Hallo. Sind Sie der Philipp Hochmair?"

"Ja!"

"Hallo. Du wirst mich nicht kennen. Ich bin dein Onkel aus Rom, der Vater deines Bruders."

"Hallo." (verlegenes Schweigen)
"Ich habe nicht viel Zeit, ich muss zu einer Probe. Wollen wir vielleicht einen Kaffee trinken?"
"Ja. Einen Augenblick. Ich bringe nur meinen Sachen hoch."

Zwei Männer spielen sich selbst, in einer Art dokumentarischen Fiktion: Walter Saabel, der Messerwerfer und Bärenbändiger, trifft auf den gefeierten Bühnenschauspieler Philipp Hochmair, der zwischen Hamburg, Wien und Berlin hin und herpendelt. Zwei verschiedene Improvisationsstile, zwei verschiedene Leben und ihre völlig unterschiedlichen Auftritte treffen aufeinander.

Philipp ist ein Mann der Literatur, erfindet sich permanent durch seine Theater- und Filmrollen neu, lernt sich selbst erst durch die Figuren kennen, die er verkörpert.

"Also, von was handelt der?"

"Von einem einfachen Soldaten, der sein Leben an die Wissenschaft verkauft, um sein einfaches Leben zu finanzieren. Und dann am Ende aus der Gesellschaft fällt. Woyzeck. Langsam, er macht mich ganz schwindlig. Woyzeck."
"Ist er so aggressiv?"

"Ja, er ist ganz aggressiv."

Auch Walter ist wie der Bühnenschauspieler Philipp ein moderner Nomade. Sein Leben lang ist er mit dem Zirkus gereist, musste auf neue Orte und Menschen reagieren. Er führt ein Dasein in permanenter Improvisation und steht dennoch mit beiden Beinen mitten im Leben. Der Schauspieler Hochmair macht durch ihn Bekanntschaft mit einer Inszenierung, deren Material nicht Worte, sondern Taten sind.

"War das nicht gefährlich?"

"Nein. Das ist ja kalkulierbar. Er muss es ja eigentlich lernen, die hohe Kunst des Bärenbändigers, ist ja nicht den Bären auf Menschen loszulassen. Die würde er ja erschlagen. Die hohe Kunst ist, ihm beizubringen, dass er nicht losschlagen darf."
"Hast du keine Verletzungen aus dieser Zeit?"
"Natürlich. Ich bin total kaputt."

Von der Manege zur Bühne, vom Leben in die Kunstwelt. Die Begegnung dieser beiden Darsteller wird zu einer Erkundung des Mysteriums der Schauspielerei und der Schaustellerei. Was treibt einen Darsteller an? Und was einen Artisten? Was lässt beide vor das Publikum treten?

Die Kamera in diesem Film bleibt meistens im Hintergrund, um den beiden Männern die Zeit und den Raum zu geben, in dem sie den anderen kennenlernen können. So kommen sie auch sich selbst und ihrer eigenen Form der Darstellung näher. So wird "Der Glanz des Tages" zu einem faszinierenden Schauspiel, gedreht mit einfachsten Mitteln. Es ist ein bewegender Film, weil man zwei Männern dabei zusieht, wie Bewegung in ihr Leben kommt. Wie eine Verschiebung des Blickes auf die eigene Biografie stattfindet. Walter wird zum ersten Mal ins Theater gehen, während Philipp durch seinen bodenständigen Kollegen die Augen für die einfachen und schönen Dinge des Lebens geöffnet bekommt.

Für mich ist "Der Glanz des Tages", wenn ich am Fluss stehe und fange mit meiner Angel eine schöne Forelle und kann sie dann wieder in das Wasser hinablassen. Das ist für mich "Der Glanz des Tages".